Kurz vor Weihnachten bietet das
Evangelium vom heutigen Vierten Advent (Lk 1,26-38) einen Rückblick,
wie all das begann, was in den nächsten Tagen gefeiert wird. Der
Gruß des Engels
an Maria zeigt Gottes Vertrauen in die Aufnahmebereitschaft der
Menschen, verkörpert in der jungen Frau aus Nazareth.
1 Poetisch
Aufnahmebereit. Rixdorf, Berlin, 2014. |
Wie sich das auch deuten lässt, las
ich neulich bei der Beschreibung eines ersten Kusses in Dagmar
Leupolds empfehlenswertem Buch "Unter der Hand":
"Wir stehen still, von Lust und
Neugier in Beschlag genommen, mit der Erkundung befasst, ganz am Rand
meiner Wahrnehmung, während Zungen und Lippen sich ausfragen, treibt
der Gedanke quer, dass Verkündigung auf Italienisch sacra
conversazione heißt, heiliges Gespräch: Natürlich, der
Engel hat Maria geküsst! Ein echtes Lippenbekenntnis."1
Kurz danach heißt es über den
Kusspartner: "In seinem Blick spannt sich etwas auf, eine
Bejahung, umfassend, mit funkelnden, blinkenden Einsprengseln; eben:
ausgesäte Sterne. Noch nie hat ein Blick mich so gegrüßt."2
Die Verkündigung des Engels – ein
Kuss Gottes, mit dem er die Menschheit bejaht, wie er es noch nie
getan hat. Ein schöner Gedanke.
2 Anthropologisch-Theologisch
Gott vertraut sich dem Ja Mariens an –
diese erschrickt zwar und überlegt (v29), fragt auch nach, wie das
geschehen solle (v34), ist aber bereit und vertraut ihrerseits
darauf, dass Gott diese unmögliche Sache schon lenken werde (v37).
Entscheidend ist dabei meines Erachtens
nach nicht die biologische Frage nach der Jungfräulichkeit, sondern
die viel tiefer gehende Einsicht, dass Gott sich begrenzt in die
Aufnahmefähigkeit eines Menschen hinein. Welche Liebe, welches
Vertrauen, welcher Mut und welche Leidensbereitschaft sind nötig,
wenn man sich klar macht, dass Gott sich schon hier in die Hand
seiner Geschöpfe gibt. Die Auswanderung Gottes, die sich in der
Verkündigung abspielt, fusst auf beidseitigem Vertrauen.
3 Politisch
Christlichkeit im Sinne Gottes ist also
nicht ein paranoides Gefühl der Überfremdung und der postkommunistischen Angst vor
politischer Täuschung und Irreführung, wie es sich in
Kundgebungen wie denen von Pegida manifestiert, sondern genau andersherum das
Anvertrauen, welches das Fremde und Auswärtige willkommen heißt.
Fenster zu. Westend, Berlin, 2014. |
Wer darum abendländische Werte
verteidigen will, sollte auf die versinkenden Boote im Mittelmeer
sehen, auf die völlig unzureichende Unterbringung und Unterstützung von Flüchtlingen
in den Staaten Europas und auch in Deutschland, auf die
Arbeitsverbote, auf die Abschiebungen, auf die Erniedrigungen durch
Sicherheitspersonal und die Schikanen durch unübersetzte Bürokratie
– ob also statt falscher "Lippenbekenntnisse" wirklich
Menschlichkeit waltet (die sich noch nicht einmal
abendländisch-christlich oder sonstwie nennen muss).
Zurückgewandt auf das Evangelium: Die
politische Aufnahmefähigkeit Europas und Deutschland ist größer
als Mariens Möglichkeiten gegenüber ihrem Schöpfer – und auch
unser Vertrauen in diese Möglichkeiten kann wachsen, wenn
politischer Wille da ist und die Gegebenheiten verantwortlich
bereitet werden.
Küsse sind dann vielleicht als zweiter
Schritt möglich...