Es ist so gemein – um einschlafen zu
können, bekommt das Kind einen Finger oder Nuckel in den Mund
gesteckt, damit es ruhig wird und schläft.
Es saugt und nuckelt und zieht und –
beruhigt sich wirklich. In diesem Moment braucht es gar nicht die
nährende Milch, sondern ist mit einem Surrogat, einem Ersatzmittel,
zufrieden und schläft ein.
Spuckendes Fenster, Alt-Lobeda, Jena, 2014. |
Auf eine gewisse Weise komme ich mir
wie ein Betrüger vor, wenn ich ihm so helfe. Denn ich kann ihm nicht
das wirklich Stillende geben, nur einen einschläfernden Ersatz.
Wirkungsvoll, aber unecht.
Mir fiel dabei spontan der späte, mit
dem Buddhismus liebäugelnde Aldous Huxley ein, der sich nach einer
Weile des Experimentierens mit bewusstseinserweiternden Drogen
schließlich gänzlich gegen die Versuchung substanzinduzierter
religiöser Erfahrung aussprach und in "Drogen,
elementare[r] Sexualität und Herdenrausch [...] die drei
Hauptwege der Selbsttranszendierung nach unten"1
sah.
Natürlich trifft die Frage
drogenbewirkten Ausbrechens aus sich selbst nicht wirklich den Punkt,
wenn es um die Beruhigung eines Kleinkindes geht, aber formal ähneln
sich die Prozesse: Nicht das Gemeinte, nämlich Herauswachsen aus
sich selbst bzw. sättigende Muttermilch wird schließlich erreicht, wohl aber
ein wohltuender Nebeneffekt, nämlich sich nicht mehr spüren zu
müssen bzw. einzuschlafen.
Dazu tritt, als sich allmählich
herauskristallisierendes Problem, die Abhängigkeit von der Substanz,
also der Droge oder dem Nuckel, ohne die es schließlich nicht mehr
geht.
Aber vielleicht verdrehe ich das auch
nur und es ist alles gar nicht so schlimm und bloß natürlich. Eine
Hilfe der Übergangszeit...
Huxley sah es übrigens ähnlich:
"Kann die abschüssige Straße
auch der Weg zu echter, spiritueller Selbsttranszendenz sein?
Zunächst wird man wohl sagen, es liege auf der Hand, daß der Weg
nach unten nicht der Weg nach oben sein kann. Doch im Leben kann ein
Abstieg der Beginn eines Aufstiegs sein. [...] Jedes Ausbrechen aus
der isolierten Ichheit, und sei es auch über eine abschüssige
Straße, gibt uns zumindest für einen Augenblick und auf allen
Ebenen die Möglichkeit, des Nicht-Ich gewahr zu werden."2
Fangnetze. Hafen von Timmendorf, Mecklenburg-Vorpommern, 2014. |
1 A.
Huxley, Gott ist. Essays. München 1996,136.
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