Die Vertreter der revolutionären
Utopie der einstmaligen Arbeiterbewegung werden sich zu den bekannten
klamaukartigen Tumulten und Gewaltorgien auch in diesem Jahr wieder
in Berlin und an anderen Orten zusammenfinden.
Da das Christentum eine
Selbstentfremdung durch was auch immer ebenfalls ablehnt und vielmehr
geschwisterliche Gerechtigkeit und umfassende Befreiung sucht, ließen
sich auf inhaltlicher Ebene durchaus Berührungspunkte finden – mit
den bewährten Abgrenzungen gegenüber Hass als Grundlage des
Diskurses und brachialer Gewalt als Mittel seiner Durchsetzung.
Und mit einem anderen Ziel.
Und mit einem anderen Ziel.
Einwohnungsangang. Invalidenstraße und Kanal, Berlin-Mitte, 2016. |
Denn das eigentlich Revolutionäre des
Christentums ist sein Versprechen einer Gottesnähe ohne Vermittlung
und im Lichte Gottes. Mit einem poetischen Bild: ohne das
(eucharistische) Brot – aber im (ewigen) Glanz.
Die Lesungen des Sonntags zeigen dies
eindrücklich:
Im Evangelium (Joh 14,23-29) spricht
Jesus davon, dass Gott durch die Liebe zu einem Menschen kommen "und
bei ihm wohnen" (v23) werde. Diese "Einwohnung"
wird ein Tun des Heiligen Geistes sein, der als göttliches
Erinnerungsvermögen Jesu Worte – und das meint auch seine Haltung
und innere Lebensausrichtung – in den Herzen der Gläubigen präsent
halten und neu aktivieren wird.
Durch diese spirituelle
"Verinnerlichung" Gottes ins eigene Leben wird klar, was
der Seher Johannes meint, wenn er von der zukünftigen "heiligen
Stadt" Jerusalem, also dem Ort der ultimativen Gottesbegegnung
sagt:
"Einen Tempel sah ich nicht in
der Stadt. Denn der Herr, ihr Gott, der Herrscher über die ganze
Schöpfung, ist ihr Tempel". (Off 21,22)
Es braucht in dieser Utopie keine
vermittelnde Instanz zwischen Gott und Mensch mehr. Keinen Tempel,
keinen Ort, zu dem einer gehen müsste, damit er mit dem Höchsten in
Kontakt kommen kann. Sondern der Herrscher über alles schafft
zugleich auch absolute Nähe zu allem, wie es bisher nur ein Tempel
mit Versammlung, Gebet, Lesung und Opfer vermochte.
Das johanneische Denken spiegelt immer
wieder etwas von mehreren Seiten, wie es sich auch in den langen
Texten der Osterzeit immer wieder zeigt. Heute nun wird die
revolutionäre Unbrauchbarkeit einer Vermittlungsinstitution von zwei
Seiten erhellt – zum einen wird Gott in den Gläubigen Wohnung
nehmen, ohne dass es eine Instanz dazwischen bräuchte, zum anderen
wird auch alles in ihm sein, wenn die Vollendung da ist.
Und jetzt kommts – das alles ist gar
nicht mehr nur Utopie! Es hat schon begonnen, wie uns ein Blick in
das (ebenfalls von Johannes erzählte) Gespräch mit der Samariterin
am Jakobsbrunnen zeigt: Auch dort geht es um die Frage, wo die
verschiedenenen Denominationen zu Gott beten werden und Jesus sagt
zunächst: "Glaube mir, Frau, die Stunde kommt, zu der ihr
weder auf diesem Berg noch in Jerusalem den Vater anbeten werdet."
(Joh 4,21)
Nur um gleich hinterher zu schieben:
"die Stunde kommt und sie ist schon da, zu der die wahren
Beter den Vater anbeten werden im Geist und in der Wahrheit"
(Joh 4,23)
Heutiger Marienwallfahrtsort. Sanktuarium Pijarzy, Warschau, 2015. |
"Sie ist schon da" –
wir leben heute schon im Heiligen Geist, wollte uns der Evangelist
damit sagen, wir brauchen schon jetzt keine Instanzen mehr zwischen Gott
und Welt. Wir sind, wie die Kirchenreformer und Mystiker des 16.
Jahrhunderts, Luther oder auch Ignatius oder Johannes vom Kreuz immer
wieder betonten, Gott schon ganz und gar unmittelbar und können mit
ihm interagieren.
Vielleicht täte es der Kirche (bei
aller unbenommenen Notwendigkeit ihres sakramentalen und verkündenden
Handelns) manchmal gut, demütig an einem Exerzitienbegleiter im Sinne des
Ignatius Maß zu nehmen und "wie eine Waage unmittelbar den
Schöpfer mit dem Geschöpf wirken [zu] lassen und das Geschöpf mit
seinem Schöpfer und Herrn."1
Vermittelnde Hilfestellungen, wie das
Buch, aus dem dieser Satz entnommen ist, erfreuen sich bis zur
Vollendung im himmlischen Jerusalem natürlich trotzdem noch eines
gewissen Nutzens – doch die fromme Gegenwarts-Utopie der
Christenheit von Gottes Unmittelbarkeit wächst nur, wenn sie auch
wachsen kann.
1 Ignatius
v. Loyola, Geistliche Übungen und
erläuternde Texte. Leipzig 1978, No. 15.