Oft sind mir Menschen, die ihre
Überzeugung und Meinung mit aller Macht laut in die Welt
hinausposaunen, etwas unsympathisch. Ich möchte lieber nicht
behelligt werden von den vielen Vorteilen veganer Ernährung oder den
ungeheuerlichen Verbrechen, derer sich die Politiker oder
Asylsuchenden wieder einmal schuldig gemacht haben. Wer eine Vorliebe
und einen wie auch immer ausgeprägten säkularen Glauben hat, möge
damit glücklich werden ohne mir seine Gedanken dazu in die
Magengrube zu rammen.
Aufmerksamkeitshascher im Straßenbild. Rostock, 2015. |
Dies sage ich, wohlwissend, dass
Christen in vielen Jahrhunderten genau nach solcher Maßgabe und mit
einem überbordenden Selbst- und Sendungsbewusstsein andere Menschen
mit ihrer Glaubensüberzeugung vor den Kopf gestoßen haben und dies
zum Teil auch heute noch tun. Worte wie die Aufforderung des Paulus
an Timotheus, dass dieser Christi Botschaft verkünden müsse, "ob
man es hören will oder nicht" (2Tim 4,2), scheinen dazu ja
geradezu aufzurufen.
Und dann auch noch diese Feier in den
Straßen der Städte – wo Christen herumlaufen und ihren Heiland im
Brot allen, die ihre Wege kreuzen, zeigen, was diese nun immer davon
halten mögen. Von verschiedenster Seite drängt sich Protest auf:
Muss man im Straßenbild nun auch damit noch belästigt werden?
Können die Katholiken ihre Prozessionen nicht in ihrer Kirche und
ihren Glauben in Ruhe und zu Hause pflegen? Doch auch mancher Fromme
sträubt sich: Sollen wir den Heiland wirklich so allen ungläubigen
Augen zur Schau stellen? Machen wir uns nicht lächerlich mit dem
Heiligsten, das wir haben, wenn wir es den unvorbereiteten Nicht-
oder Andersgläubigen derart aufdrängen?
Zwischen der Scheu, den heiligsten
Heiland lieber doch im Tabernakel zu lassen und der Angst, andere
mit dem eigenen Glaubensausdruck zu vergrämen, klafft indes kein so
großer Spalt – es ist die Zurückhaltung, in einer säkularisierten
Welt noch für den eigenen Glauben einzustehen. Und trotzdem ziehen
wir mit Monstranzen durch die Straßen unserer Städte und Dörfer.
Viele überzeugte Menschen nehmen sich
heute heraus, andere bekehren zu wollen zu ihren ökologischen oder
politischen, esoterischen oder Ernährungsansichten. Christen gehören
da in unseren Breiten eher zu den zurückhaltenderen Akteuren und
müssen sich den Verdacht von Ideologieverbreitung oder anmaßender
Auftrumpferei nun wirklich nicht anziehen.
Wäre da nicht Fronleichnam mit seinen
Prozessionen.
Straßengerüst. Berlin-Mitte, 2014. |
Denn ist eben dieses Fest nicht der
Prunk, der die Kirche so unglaubwürdig macht; das Rechthabenwollen,
das die eigene, ach so wahre Meinung wie einen Gott zur Schau stellt;
das Bild des thronenden Herrschers über den niedrigen Geschöpfen,
den Theologie und Frömmigkeit doch abschütteln mögen?
Ich möchte hier (und zwar ausdrücklich
gegen das, was die historische Genese dieses Festtages ist) die These
aufstellen, dass die Fronleichnamsprozessionen heute am besten als
eine Aussetzung Gottes anzusehen sind.
Fronleichnam ist Verängerung der
Kenosis, der Erniedrigung Gottes in diese Welt hinein.
Jener im Stall in einem verlassenen
Winkel der Welt geborene Gottessohn endet nicht nur als Verbrecher am
Kreuz der herrschenden Großmacht, sondern wird auch von seinen
Anhängern über lange Zeit hin missverstanden (Stichwort
Machtgebaren in kirchlicher Leitung) und in der Radikalität seiner
ganz auf Gott hin ausgerichteten Botschaft an allen Enden
beschnitten, um nur ja in das Bild eines freundlichen Schwiegersohnes
zu passen.
Auf diese Weise jedoch kann
Fronleichnam tatsächlich als Auslieferung
und Aussetzung Gottes verstanden werden – denn in der winzigen
Oblate kommt am besten zum Ausdruck, wer Gott wirklich ist:
Keiner, der überwältigt oder zwingt,
sondern einer, der durch Liebe gewinnen will.
Keiner, der auftrumpft
und protzt, sondern einer, der im Kleinen groß sein kann.
Keiner,
der sich in der Enge steinerner Bauten wohlfühlt, sondern einer, der
auf der Straße zu finden ist.
Keiner, der sich zu fein ist für der
Menschen Augen, sondern einer, der nahe bei denen sein wollte, die
ihn nicht kennen.
Keiner, der irgendeinen Geschmack
dieser Welt annimmt, sondern einer, der unseren Augen bisweilen unscheinbar, blass und
farblos wirkt.
Straßenszene. Warschau, 2015. |