Mittwoch, 25. Mai 2016

Protzposaune oder Kenosis? Fronleichnam zwischen den Fronten

Oft sind mir Menschen, die ihre Überzeugung und Meinung mit aller Macht laut in die Welt hinausposaunen, etwas unsympathisch. Ich möchte lieber nicht behelligt werden von den vielen Vorteilen veganer Ernährung oder den ungeheuerlichen Verbrechen, derer sich die Politiker oder Asylsuchenden wieder einmal schuldig gemacht haben. Wer eine Vorliebe und einen wie auch immer ausgeprägten säkularen Glauben hat, möge damit glücklich werden ohne mir seine Gedanken dazu in die Magengrube zu rammen.

Aufmerksamkeitshascher im Straßenbild.
Rostock, 2015.
Dies sage ich, wohlwissend, dass Christen in vielen Jahrhunderten genau nach solcher Maßgabe und mit einem überbordenden Selbst- und Sendungsbewusstsein andere Menschen mit ihrer Glaubensüberzeugung vor den Kopf gestoßen haben und dies zum Teil auch heute noch tun. Worte wie die Aufforderung des Paulus an Timotheus, dass dieser Christi Botschaft verkünden müsse, "ob man es hören will oder nicht" (2Tim 4,2), scheinen dazu ja geradezu aufzurufen.

Und dann auch noch diese Feier in den Straßen der Städte – wo Christen herumlaufen und ihren Heiland im Brot allen, die ihre Wege kreuzen, zeigen, was diese nun immer davon halten mögen. Von verschiedenster Seite drängt sich Protest auf: Muss man im Straßenbild nun auch damit noch belästigt werden? Können die Katholiken ihre Prozessionen nicht in ihrer Kirche und ihren Glauben in Ruhe und zu Hause pflegen? Doch auch mancher Fromme sträubt sich: Sollen wir den Heiland wirklich so allen ungläubigen Augen zur Schau stellen? Machen wir uns nicht lächerlich mit dem Heiligsten, das wir haben, wenn wir es den unvorbereiteten Nicht- oder Andersgläubigen derart aufdrängen?

Zwischen der Scheu, den heiligsten Heiland lieber doch im Tabernakel zu lassen und der Angst, andere mit dem eigenen Glaubensausdruck zu vergrämen, klafft indes kein so großer Spalt – es ist die Zurückhaltung, in einer säkularisierten Welt noch für den eigenen Glauben einzustehen. Und trotzdem ziehen wir mit Monstranzen durch die Straßen unserer Städte und Dörfer.

Viele überzeugte Menschen nehmen sich heute heraus, andere bekehren zu wollen zu ihren ökologischen oder politischen, esoterischen oder Ernährungsansichten. Christen gehören da in unseren Breiten eher zu den zurückhaltenderen Akteuren und müssen sich den Verdacht von Ideologieverbreitung oder anmaßender Auftrumpferei nun wirklich nicht anziehen.

Wäre da nicht Fronleichnam mit seinen Prozessionen.
Straßengerüst. Berlin-Mitte, 2014.
Denn ist eben dieses Fest nicht der Prunk, der die Kirche so unglaubwürdig macht; das Rechthabenwollen, das die eigene, ach so wahre Meinung wie einen Gott zur Schau stellt; das Bild des thronenden Herrschers über den niedrigen Geschöpfen, den Theologie und Frömmigkeit doch abschütteln mögen?

Ich möchte hier (und zwar ausdrücklich gegen das, was die historische Genese dieses Festtages ist) die These aufstellen, dass die Fronleichnamsprozessionen heute am besten als eine Aussetzung Gottes anzusehen sind.
Fronleichnam ist Verängerung der Kenosis, der Erniedrigung Gottes in diese Welt hinein.
Jener im Stall in einem verlassenen Winkel der Welt geborene Gottessohn endet nicht nur als Verbrecher am Kreuz der herrschenden Großmacht, sondern wird auch von seinen Anhängern über lange Zeit hin missverstanden (Stichwort Machtgebaren in kirchlicher Leitung) und in der Radikalität seiner ganz auf Gott hin ausgerichteten Botschaft an allen Enden beschnitten, um nur ja in das Bild eines freundlichen Schwiegersohnes zu passen.

Auf diese Weise jedoch kann Fronleichnam tatsächlich als Auslieferung und Aussetzung Gottes verstanden werden – denn in der winzigen Oblate kommt am besten zum Ausdruck, wer Gott wirklich ist: 

Keiner, der überwältigt oder zwingt, sondern einer, der durch Liebe gewinnen will. 
Keiner, der auftrumpft und protzt, sondern einer, der im Kleinen groß sein kann.
Keiner, der sich in der Enge steinerner Bauten wohlfühlt, sondern einer, der auf der Straße zu finden ist.
Keiner, der sich zu fein ist für der Menschen Augen, sondern einer, der nahe bei denen sein wollte, die ihn nicht kennen.
Keiner, der irgendeinen Geschmack dieser Welt annimmt, sondern einer, der unseren Augen bisweilen unscheinbar, blass und farblos wirkt.

Straßenszene. Warschau, 2015.