"Noch vieles habe ich euch zu
sagen, aber ihr könnt es jetzt nicht tragen." (Joh 16,12)
Der Katholikentag in Leipzig naht
geschwind. Einige Aufmerksamkeit ist ihm im Vorfeld ja deshalb zuteil
geworden, als die Wahl für diesen 100. Jubiläums-Katholikentag auf
eine Stadt im weitgehend entchristlichten Osten der Republik fiel.
Wenn ich vor diesem Hintergrund einen
Blick auf das Evangelium des Dreifaltigkeitssonntags werfe, dann
sticht mir der erste, oben zitierte Satz in die Augen – Jesu
Botschaft ist größer als das, was in die Herzen der Menschen passt.
Vielleicht bietet der Satz darum eine passende Einstimmung auf das
Umfeld des großen Treffens am langen Fronleichnamswochenende.
Kirche hoch oben? Hochstraße in Halle / Saale, 2016. |
Ich stamme ursprünglich aus Thüringen
und bin doch katholisch sozialisiert. Die Spannung zwischen einem
christlichen Elternhaus mit Kirchenbindung und der sozialistischen
Schule habe ich als sehr personenabhängig und im Alltag als äußerst
dehnbar erlebt – allerdings war ich auch nicht in einem Alter, in
dem große schulische oder berufliche Entscheidungen anstanden.
Doch diese Umwelt meiner Kindheit, die
heute größtenteils auch die Welt in den neuen Bundesländern ist,
brauchte schon damals die Frage nach Gott (mindestens aus eigener
Sicht) nicht. Es stellt sich in diesem Zusammenhang schlicht keine
Frage. Der Alltag und auch die normalen Lebensläufe funktionieren
ohne Anbindung an etwas Höheres – selbst im Staatssozialismus war
vielen Menschen, je später, desto klarer, dass die marxistische
Ideologie nicht für einen grundlegenden Zusammenhalt mit den
Bruderstaaten oder gar innerhalb der Republik taugte.
Aber der praktische Atheismus, jener
Alltagsmaterialismus, der nicht mehr braucht und nicht mehr sucht als
ein ruhiges alltägliches Auskommen ist jenseits des religiösen
Fragens angekommen: Ostdeutsche "sind weder atheistisch noch
gläubig, sondern gelten schlicht als religiös desinteressiert.
Jedwede spirituelle Dimension spielt in ihrem Alltag keine Rolle."1
Ich glaube, hier ist die heutige
Bundesrepublik mit ihrer zunehmenden Säkularisierung viel mehr
"verostet" als die (mit Verlaub) westdeutschen
Kirchenleitungen das wahrhaben wollen. Sicher gibt es eine irgendwie
geartete christliche Prägung unseres Gemeinwesens und eine immer
noch starke soziale Mitwirkung der Kirchen auf dem Gebiet von Caritas
und Bildung, aber alle Kirchenstrukturreformprogramme können nicht
darüber hinwegtäuschen, dass der Glaubensuntergrund schon längst
vermodert ist. Gott spielt keine Rolle im Alltag. Im Mainstream zu
schwimmen, heißt in der Bundesrepublik heute: religiös indifferent
oder abwehrend oder allenfalls multireligös "offen" und
auf jeden Fall ohne klares religiöses Bekenntnis zu sein.
Um Jesu Wort zu modifizieren: "Viel
hätte ich ihnen zu sagen, aber sie wollen es nicht hören."
Leerraum im Osten? Nische im Körnerpark, Neukölln, Berlin, 2014. |
Doch selbst dieser Befund ist nicht
erst in unseren Tagen schon wieder ein alter Hut, sondern Jesus
selbst kämpft ja wie alle Propheten des Alten Testamentes schon mit
der Schwerhörigkeit seiner Zeitgenossen. (vgl. z.B. Mk 8,17f)
Darum mag die Wahl des Ortes für den
100. Katholikentag der Situation des Christlichen in unserem Lande
eher angemessen sein als unpassend. Auch die thematische Ausrichtung
auf den Menschen und der Wunsch der Veranstalter, in der Stadt
wahrgenommen zu werden, statt sich in Messehallen zurückzuziehen,
passt in dieses Bild.
Das Evangelium dieses Sonntags
jedenfalls weiß, dass ein tieferes Vertrauen auf den Geist die
passende Reaktion auf die eben beschriebenen Bedingungen ist.
"Wenn aber jener kommt, der
Geist der Wahrheit, wird er euch in die ganze Wahrheit führen."
(Joh 16,13)
Er wird tun, was nötig ist. Auf dem
Katholikentag und auch sonst.
1 So
Thomas Klatt im Deutschlandfunk:
http://www.deutschlandfunk.de/gottvergessenheit-und-der-atheismus-im-alltag.886.de.html?dram:article_id=228673