Samstag, 21. Mai 2016

Nicht tragbare Botschaft? - 100. Katholikentag im Osten

"Noch vieles habe ich euch zu sagen, aber ihr könnt es jetzt nicht tragen." (Joh 16,12)

Der Katholikentag in Leipzig naht geschwind. Einige Aufmerksamkeit ist ihm im Vorfeld ja deshalb zuteil geworden, als die Wahl für diesen 100. Jubiläums-Katholikentag auf eine Stadt im weitgehend entchristlichten Osten der Republik fiel.
Wenn ich vor diesem Hintergrund einen Blick auf das Evangelium des Dreifaltigkeitssonntags werfe, dann sticht mir der erste, oben zitierte Satz in die Augen – Jesu Botschaft ist größer als das, was in die Herzen der Menschen passt. Vielleicht bietet der Satz darum eine passende Einstimmung auf das Umfeld des großen Treffens am langen Fronleichnamswochenende.

Kirche hoch oben?
Hochstraße in Halle / Saale, 2016.
Ich stamme ursprünglich aus Thüringen und bin doch katholisch sozialisiert. Die Spannung zwischen einem christlichen Elternhaus mit Kirchenbindung und der sozialistischen Schule habe ich als sehr personenabhängig und im Alltag als äußerst dehnbar erlebt – allerdings war ich auch nicht in einem Alter, in dem große schulische oder berufliche Entscheidungen anstanden.

Doch diese Umwelt meiner Kindheit, die heute größtenteils auch die Welt in den neuen Bundesländern ist, brauchte schon damals die Frage nach Gott (mindestens aus eigener Sicht) nicht. Es stellt sich in diesem Zusammenhang schlicht keine Frage. Der Alltag und auch die normalen Lebensläufe funktionieren ohne Anbindung an etwas Höheres – selbst im Staatssozialismus war vielen Menschen, je später, desto klarer, dass die marxistische Ideologie nicht für einen grundlegenden Zusammenhalt mit den Bruderstaaten oder gar innerhalb der Republik taugte.

Aber der praktische Atheismus, jener Alltagsmaterialismus, der nicht mehr braucht und nicht mehr sucht als ein ruhiges alltägliches Auskommen ist jenseits des religiösen Fragens angekommen: Ostdeutsche "sind weder atheistisch noch gläubig, sondern gelten schlicht als religiös desinteressiert. Jedwede spirituelle Dimension spielt in ihrem Alltag keine Rolle."1

Ich glaube, hier ist die heutige Bundesrepublik mit ihrer zunehmenden Säkularisierung viel mehr "verostet" als die (mit Verlaub) westdeutschen Kirchenleitungen das wahrhaben wollen. Sicher gibt es eine irgendwie geartete christliche Prägung unseres Gemeinwesens und eine immer noch starke soziale Mitwirkung der Kirchen auf dem Gebiet von Caritas und Bildung, aber alle Kirchenstrukturreformprogramme können nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Glaubensuntergrund schon längst vermodert ist. Gott spielt keine Rolle im Alltag. Im Mainstream zu schwimmen, heißt in der Bundesrepublik heute: religiös indifferent oder abwehrend oder allenfalls multireligös "offen" und auf jeden Fall ohne klares religiöses Bekenntnis zu sein.

Um Jesu Wort zu modifizieren: "Viel hätte ich ihnen zu sagen, aber sie wollen es nicht hören."
Leerraum im Osten?
Nische im Körnerpark, Neukölln, Berlin, 2014.
Doch selbst dieser Befund ist nicht erst in unseren Tagen schon wieder ein alter Hut, sondern Jesus selbst kämpft ja wie alle Propheten des Alten Testamentes schon mit der Schwerhörigkeit seiner Zeitgenossen. (vgl. z.B. Mk 8,17f)

Darum mag die Wahl des Ortes für den 100. Katholikentag der Situation des Christlichen in unserem Lande eher angemessen sein als unpassend. Auch die thematische Ausrichtung auf den Menschen und der Wunsch der Veranstalter, in der Stadt wahrgenommen zu werden, statt sich in Messehallen zurückzuziehen, passt in dieses Bild.

Das Evangelium dieses Sonntags jedenfalls weiß, dass ein tieferes Vertrauen auf den Geist die passende Reaktion auf die eben beschriebenen Bedingungen ist.
"Wenn aber jener kommt, der Geist der Wahrheit, wird er euch in die ganze Wahrheit führen." (Joh 16,13)

Er wird tun, was nötig ist. Auf dem Katholikentag und auch sonst.