Sonntag, 29. Mai 2016

Jugendweihe als Gegenkirche - "Hier unten leuchten wir"

Nun also das absolute Gegenprogramm zum Katholikentag. Am Samstag habe ich in Thüringen einer Jugendweihefeier beigewohnt und konnte dem Kontrast durchaus einiges abgewinnen. Wobei es gar nicht nur ein Kontrast war, sondern in manchen Äußerlichkeiten durchaus nahe an den kirchlichen Feiern. 

Der Volksatheismus ist im Osten der Republik in manchen Gegenden so etabliert wie in anderen Gegenden die Großkirchen. Inzwischen kennen ein bis zwei Generationen nicht einmal mehr die Angebote der Kirchen aus eigenem Erleben und so kann die "Interessenvereinigung Jugendweihe e.V." in manchen Schulen um die 90% der Jugendlichen erreichen. Wer sich als Elternteil nicht von der Vergangenheit der Jugendweihe in der DDR abschrecken lässt, erlebt in den selbstbewusst gestalteten Feiern, die in Verantwortung des humanistischen Verbandes stattfinden, eine selbstverständlich auch auf die eigene über 150 jährige Tradition stolze Veranstaltung. 

Performance vor weißer Wand. Rittergut Kölleda, 2016.
Nun ist meine eigene Erfahrung auf die Teilnahme bei dieser einen Jugendweihe begrenzt, was ich beim Lesen zu berücksichtigen bitte.

"Ehre, wem Ehre gebührt" - mit diesen Worten wurden die Anwesenden gebeten, sich für die einziehenden Jugendlichen zu erheben. Und tatsächlich: nicht Herrscher oder Honoratioren noch Gottheiten wurden hier gefeiert, sondern die Menschen selbst.
"Wir schauen zu den Sternen doch hier unten leuchten wir" lautete passend dazu eine Liedzeile, die von der professionell spielenden Band "Stürmisch" als Begleitperformance geboten wurde. (Im Internet wird die Vereinsphilosophie konsequenterweise u.a. durch folgendes Zitat bezeichnet: "Wir wollen durch Angebote der offenen Jugendarbeit und humanistische Lebensabschnittsfeiern dem gesellschaftlichen Bedürfnis nach nicht religiös begründeten Leistungen entsprechen sowie weltlich-humanistische Werte erlebbar gestalten.")

Dem Einzug folgte eine Ansprache, dieser wiederum die persönliche Vorstellung der Jugendlichen durch Fotos aus Kindheit und Gegenwart im Schnelldurchlauf. Anschließend kam der Höhepunkt der Feier mit Gratulation und Überreichung eines Buches an die Jugendlichen in kleinen Gruppen, flankiert vom Grußwort des Ministerpräsidenten als Videobotschaft, einem mit kitschigen Bildern unterlegten meditativen Text über das Leben im Bild einer  Bahnfahrt und schließlich einigen  Worten von ausgewählten Jugendlichen selbst.
Die persönlich auf die Teilnehmenden ausgerichtete Dramaturgie führte damit vom passiven Hören in die Beglückwünschung hin zur eigenen Handlung, insofern durchaus passend zum Anlass. Die paraliturgische Form bot ein abwechslungsreiches  Zusammenspiel von Wort / Aktion und Musik, wobei letztere durchaus jugendlich und ansprechend auch für mein Alter - und jedenfalls nicht zu getragen daherkam. 

Doch wer weiß, vielleicht hätte sich so mancher etwas Erhabeneres durchaus gewünscht - jedenfalls war die Kleidung, besonders der weiblichen Teilnehmer, sehr feierlich.

Dagegen nahm der kabarettistische Stil der Verkündigung und Auslegung des Festanlasses die äußerliche Gediegenheit auf den Arm und die leichte Schulter. Mit Witz und einer Menge jugendlichem Lebensweltbezug fragte der Redner Björn Sauer nach dem Sinn von Leben und Jugendweihe und schaffte es, das Ernste mit dem Heiteren sinnvoll zu vermischen. 
Der ganz aufs Weltliche fokussierte Tenor trat bei allem Scherz jedoch unmissverständlich hervor und zeigte mir: religiöse Fragen oder Antworten müssen gar nicht benannt oder abgewertet werden, sie spielen einfach so wenig eine Rolle, dass ihre Nichterwähnung ausreicht. 

Blick nach oben ins Licht. Jena-Lobeda, 2016.
Die einführende These des Redners war, dass aufgrund der Verschiedenheit der Menschen doch unmöglich alle den gleichen Sinn verfolgen könnten - klare Absage an einen Universalismus, wie ihn beispielsweise die großen Religionen verfolgen.
Dagegen stellte er allerdings seine ethischen Lebensmaximen, aus dem Film "Der Sinn des Lebens" von Monty Python zitiert: Freundlichkeit, Gesundheit und Friedlichkeit - bis in die Formulierungen hinein an paulinische Briefgrüße erinnernd und doch (im Gegensatz zu diesen) ganz weltimmanent bleibend. Schon die Assoziation zu Paulus zeigt, dass ich vieles vom lebenspraktisch Postulierten problemlos unterschreiben könnte.
Besonders gehört dazu die Erinnerung, dass dieser Tag zum Innehalten und Stehenbleiben einlade, was mich wiederum an die kürzeste Definition von Religion nach J.B. Metz erinnerte, wonach Religion "Unterbrechung" sei. 

Für die Zeit des Abschieds von der Kindheit und der Suche nach neuer Identität mit allem, was an sexueller oder philosophischer Fragerei dazu gehört, empfahl der Festredner "selber denken" und "Gehirn benutzen", was angesichts des sonstigen Redens von Verantwortung im diesem Alter wohltuend unverkrampft war. Wiederum aber fiel mir auf, dass die dabei in Frage stehende religiöse Fraglichkeit keines Wortes wert war, wo ja durchaus nicht wenige Menschen durch Nachdenken zur Frage nach Gott (und eventuell zu einer positiven Antwort) gelangen.

Amüsant fand ich, als der Redner einige Antworten von Jugendlichen auf die Frage, warum sie denn Jugendweihe machen würden, zum Besten gab.
Die häufigste Antwort sei gewesen: Großes Schweigen!
Dann: die Eltern wollen es. Und: Man mache ja keine Konfirmation. Schließlich, wohl am ehrlichsten: das Geld.
Sehr verwandt also den kirchlich sozialisierten Jugendlichen. Was eigentlich schon klar war: Man muss kein Hardcore-Humanist oder explizit Atheist sein, um zur Jugendweihe zu gehen. Es reicht, dass nichts anderes in Frage kommt, ein Angebot da ist, und wenn die kritische Masse erreicht ist, dann wird es, die Zustimmung der Schulen (wie in diesem Fall) vorausgesetzt, bald ganz selbstverständlich.

Natürlich frage ich mich als Christ und Theologe: Freundlichkeit und Friedlichkeit - wenn das alles an Lebenssinn ist ... Wo bleibt die Frage nach den Grenzen des Menschen, worauf gründet sich seine Würde, wo steht er im großen Ganzen? Das Leuchten hier unten kommt von oben!
Blick ins Weite. Jena-Lobeda, 2016.
Aber ist die in Reli immer richtige Antwort "Jesus" auch wirklich immer besser - und hilfreicher?
Wie, selbstkritisch an uns als kirchliche Christen gerichtet, können wir den Himmel offen halten? Wie die Selbstgenügsamkeit aufbrechen? Wie den Mehrwert des Christlichen überzeugend aufzeigen und anbieten? Bieten wir überhaupt Antworten auf die Fragen dieser Jugendlichen? Und: Nehmen wir die Entchristlichung unserer Gesellschaft ernst genug?

In der Performance jedenfalls können kirchliche Feiern die Lebenswirklichkeit von Jugendlichen durchaus noch mehr einbinden - allen Vorbehalten um der Würde des Heiligen willen zum Trotz. Und es bietet immer einen Mehrwert, wenn kompetente Jugendliche selbst zu Wort kommen!

Ungeachtet dessen darf natürlich auch die Jugendweihe den religiösen Diskurs ernst nehmen. Denn die redliche intellektuelle Auseinandersetzung bietet Herausforderung genug für alle Seiten.