Mein Fazit: trotz des bekannten
Endes und viel Pathos ein spannender, mit seinen existenziellen theologischen und
ethischen Fragen in die Tiefe gehender Film. Der Actionkrach rings um
den Plot kann manchmal etwas ablenken, aber insgesamt eine sehr
sehenswerte Adaption der biblischen Erzählung von der Rettung der
Schöpfung in der Arche des Noah.
Holzboot. Grünheide, 2016. |
Sich eine mythische Geschichte der
biblischen Überlieferung als Vorlage für einen Actionkracher zu
nehmen, erscheint zunächst riskant: müssen doch die Figuren
plastisch und mit nachvollziehbaren Charakteren ausgestattet werden,
ohne dass der erzählerische Gesamtbogen ins Schleudern kommt oder
der Zuschauer die Lust am vielen Lärm verliert.
Dem versierten Regisseur Darren
Aronofsky ist das Wagnis weitestgehend gelungen, auch indem er in der
aufpolierten biblischen Handlung umweltpolitische Problemaufrisse
neben der Theodizeefrage und die Herausforderungen von Gewalt und Sex
neben der Sorge um das menschliche Gewissen einfach stehen lässt.
Und das klappt ganz gut, wenn man nicht auf biblische Detailtreue aus
ist.
Sünde
Die Nachkommen Kains haben sich über
die Erde verbreitet und sind frühindustrielle Räuber an der Natur
geworden. Mehrfach wird der ökologische Widerspruch zwischen dem
Plündern der Ressourcen und der Würde der Schöpfung ins Bild
gehoben, so etwa, wenn Noah (Russel Crowe) seinem Sohn etwas plakativ
verbietet, eine Blume zu pflücken, weil sie nur nehmen würden, was
sie brauchen.
Dagegen steht die urbane Zivilisation,
die später durch Tubal-Kain (Ray Winstone) personifiziert wird und,
trotz aller sonstigen Schwarz-Weiß-Zeichnung, die auch heute
gültigen Argumente für die Nutzherrschaft des Menschen über die
Erde durchaus nachvollziehbar ins Wort bringt – überleben braucht
Wachstum.
Die Kain-Menschen erleben diese
Herrschaft durch Arbeit als den ihnen von Gott auferlegten Auftrag,
nach dem sie sich im Schweiße ihres Angesichts plagen müssen: "Er
verdammte uns zu schwerer Arbeit, um zu überleben. Verflucht will
ich sein, wenn ich nicht genau das tue." Hinter dem Raubbau
steht der Zwang zu überleben.
Zugleich zeigt sich daran, wie
unterschiedlich Gottes Wort verstanden werden kann, wenn er sonst nur
schweigt – dass Sünde ist, wenn nur der Buchstabe zählt. Und was
für Probleme entstehen, wenn jemand sich unter dem Anpruch eines so
hoch legitimerten Auftrags sieht. Doch davon gleich mehr.
Rettung
Der Gott des Filmes spricht zu Noah
durch Träume und Visionen. Diese urtümliche Form der Religiosität
liegt in den Frühformen religiöser Tradierungen nahe und so tritt
der "sprechende" Gott filmisch wunderbar zurückhaltend und
doch klar in die Handlung.
Landende. Peetzsee, Brandenburg, 2016. |
Aber auch die Ambivalenz der biblischen
Positionen wird herausgestellt – alle Menschen sollen vernichtet
werden bis auf jene, die die Arche bauen? Was für ein Gott ist das,
der die Auslöschung der Menschheit will?
Und kann dieses Ende wirklich ein neuer
Anfang sein? Die Gestalt Noahs bleibt hier ambivalent – im Gespräch
mit Schwiegertochter Ila (Emma Watson) erkennt er einen neuen Anfang,
wo sie nur das Ende von allem sehen kann; später jedoch scheint er
sich darüber nicht mehr so sicher zu sein.
Grauzonen
Denn, so lautet eine weitreichende
Einsicht des Film-Noahs, die er nach einem Ausflug zu den
Kains-Menschen seiner Frau (Jennifer Connelly) gegenüber äußert:
"Das Böse ist nicht nur in ihnen. Es ist in uns allen."
Es ist deshalb auch die Frage nach dem
Wesen des Menschen und seiner Rettungswürdigkeit, die den weiteren
Konfliktverlauf bestimmt. Aronofskys Noah meint fortan, Gottes Plan
sei es, alle Menschen auszulöschen und mit der Arche eigentlich nur
die Tiere zu retten.
Zunächst bedeutet diese Einsicht einen
Realitätsschub: Auch Gottes Erwählte sind keine Engel, sondern
Menschen mit all ihren guten und schlechten Seiten. Nicht besser als
die Anderen. Denn das Böse lauert nicht nur außen, sondern auch im
Innern der Arche und im Innern jedes Menschen.
Das können sich Muslime ebenso wie
Christen und andere nicht oft genug sagen, wenn es um ihre
Beziehungen zu Gott im Verhältnis zu Gläubigen anderer Religionen
geht.
Tubal-Kain hatte zuvor schon
unmissverständlich darauf gepocht, Ebenbild Gottes zu sein und darum
Leben geben und Leben nehmen zu können. Das aus Hybris geborene
Missverständnis, dass die ethische Verantwortung ins Abseits schiebt
und menschliche Verantwortlichkeit auf das Überleben des eigenen
Stammes beschränkt, zeigt sich in brutalster Weise.
Kein Lagerfeuerplatz. Grünheide, 2016. |
Gottes Wille
Aber durch Noahs Gedanken bricht
außerdem die Frage wieder auf, was der Wille Gottes denn nun sei und
wie er zu erkennen wäre, wenn Er ihn kundtut. Genau wie über manche
fanatische Religiöse gewinnt auch über Noah der Gedanke Macht,
dass Gottes Wille der Tod sei. Die Flut macht das für ihn offenbar.
In seiner Gewissensnot kann er auf dem
Höhepunkt seiner persönlichen Krise (deren Inhalt hier nicht
verraten sei) die Zeichen der Zeit nicht als Zeichen Gottes erkennen.
Das Ende des Regens sei Hinweis auf den
Beginn einer Zeit der Gnade und Barmherzigkeit, wie seine Frau es
nennt? Noah will davon nichts wissen.
In die Handlung eingestreut finden sich
einige Kommentare zur Frage: Wie wird ein Mann ein Mann? Durch
Sexualität und eine Frau, wie Sohn Ham es deutet? Oder ist es die
Fähigkeit zu töten, die Tubal-Kain beschwört?
Auf derselben Ebene: Oder wird man erwachsen und Mensch
durch Pflichterfüllung, wie Noah mehrfach andeutet? Der Widerspruch
sitzt hier bereits in den Startlöchern: Sollte Gottes Grund, Noah
zu erwählen wirklich einzig gewesen sein, dass der imstande war, die
Arche zu bauen?
Erst ganz am Schluss werden diese
Fragen beantwortet mit dem ethischen Grundsatz, wonach Freiheit erst
als Freiheit zum Guten die Würde der menschlichen Verantwortung voll
zur Geltung bringt. So wird Mensch zum Menschen, so erfüllt sich
Gottes Wille.
Damit schließt der Film bei allen
bleibenden Theodizee-Anfragen an die Flutgeschichte zugleich modern
und theologisch plausibel: Das ist der Wille Gottes – würde-volle
Menschen, die nicht blind gehorchen, sondern ihre Freiheit
gebrauchen, um Leben zu fördern.
Neues Land mit alten Spuren. Linum, 2016. |