Das Jugendbildungshaus, in dem ich
arbeite, hat eine bemerkenswerte Kapellenarchitektur. Im Halbrund
sitzt die Gemeinde einer großen, abstrakt gestalteten Wand
gegenüber, davor befinden sich der Altar und die Sedilien der
Liturgen. In die grau gehaltene Wandgestaltung eingebunden sind
sowohl der Tabernakel als auch das Kreuz und ein buntes Fenster.
Historische Einordnung
Nachdem am 11.11.1972 der Grundstein
für die lang erwartete neue Kapelle von Weihbischof Kleineidam
gelegt wurde, konnte diese nur, wie die Chronik vermerkt, durch
„Feierabendarbeit und Eigenleistung“1 fertiggestellt werden, da sich für das
kirchliche Bauvorhaben keine Firma fand.
Architekt Lothar Feitel2 dagegen plante immer wieder
Kirchbauten, zumeist auf ehrenamtlicher Basis und war über Jahre
bekannt mit dem Haus und seinen Abläufen, so dass ihm die
Bauausführung in die Hände gelegt wurde. Im Herbst 1975 wurde die Ausgestaltung der Kapelle abgeschlossen.
In enger Abstimmung mit Feitel, dem Hausleiter und dem Jugendseelsorger schuf der Bildhauer und Theologe Werner Nickel die Altarwand. Schon zuvor mit der künstlerischen Ausgestaltung vieler Kirchen in der DDR betraut, benennt er seine künstlerische Devise so: "Immer geht es darum, das Wesentliche auf den Punkt zu bringen. Dies gelingt nicht zuletzt durch Weglassen."3
In enger Abstimmung mit Feitel, dem Hausleiter und dem Jugendseelsorger schuf der Bildhauer und Theologe Werner Nickel die Altarwand. Schon zuvor mit der künstlerischen Ausgestaltung vieler Kirchen in der DDR betraut, benennt er seine künstlerische Devise so: "Immer geht es darum, das Wesentliche auf den Punkt zu bringen. Dies gelingt nicht zuletzt durch Weglassen."3
Diese Reduktion auf den inhaltlichen
Kern zeigt sich an der Altarwand besonders deutlich.
Geist über Wassern. Christian-Schreiber-Haus, Alt-Buchhorst, 2016. |
Theologisches Programm der Altarwand
Das Bildprogramm greift auf schlichte
Formen zurück, geht aber inhaltlich in die Tiefe. Von rechts nach
links gelesen ergibt sich ein Panorama der biblischen
Heilsgeschichte, angefangen von der Schöpfung bis hin zur
eschatologischen Vollendung. Von unten wächst das Bild vertikal über
die ganze Wand in die Höhe und geht über in die Farben und Formen
der Fenstergestaltung.
Schöpfung und Alter Bund
Der Leere auf der rechten Wand entspricht das Nichts, aus dem Gott nach und nach die Dinge wirkt, indem sein schöpferischer Geist wie ein Wirbel über den Wassern schwebt. Aus den zellengleichen kleinen Punkten heraus entwickelt sich alles, was noch kommt.
Gleich daneben deutet sich durch die Schiffsform der Arche und den beginnenden Regenbogen der erste Bundesschluss Gottes mit den Menschen an. Weiter führt Gott seine Erwählten aus Ägypten heraus und mittels der hier baumartig abgebildeten Wolkensäule auch durch die Wüste in das Gelobte Land Israel.
Der Leere auf der rechten Wand entspricht das Nichts, aus dem Gott nach und nach die Dinge wirkt, indem sein schöpferischer Geist wie ein Wirbel über den Wassern schwebt. Aus den zellengleichen kleinen Punkten heraus entwickelt sich alles, was noch kommt.
Gleich daneben deutet sich durch die Schiffsform der Arche und den beginnenden Regenbogen der erste Bundesschluss Gottes mit den Menschen an. Weiter führt Gott seine Erwählten aus Ägypten heraus und mittels der hier baumartig abgebildeten Wolkensäule auch durch die Wüste in das Gelobte Land Israel.
Kreuz und Schrift. Christian-Schreiber-Haus, Alt-Buchhorst, 2016. |
In seinen Schriften hält das Volk
diese Erinnerungen fest und weist zugleich voraus auf den ersehnten
Messias.
Christus und der Neue Bund
Dieser Retter hängt als der gekreuzigte Jesus Christus im Fluchtpunkt des Blickes, in der Raumecke und damit sowohl am Scheitelpunkt des gottesdienstlichen Raumes und am symbolischen Wendepunkt der Zeiten. Ein Merkmal der Ecke ist ja, dass die Wand dort ihre Richtung ändert – und eben das ist die Bedeutung des Gottessohnes in der Heilsgeschichte: durch diesen Tod ändert sich alles.
Das Kreuz selbst wächst nach allen Seiten weiter – nach unten erweist es sich als Lebensbaum, der im Rücken des Zelebranten frische Blätter treibt, nach oben ragt es in den nun für alle offenen Himmel, der sich durch ein Dachfenster zeigt. Nach rechts hin durchdringt es die Schriften des Alten Bundes und nach links ragt es in die neue Zeit der christlichen Gemeinde.
Dieser Retter hängt als der gekreuzigte Jesus Christus im Fluchtpunkt des Blickes, in der Raumecke und damit sowohl am Scheitelpunkt des gottesdienstlichen Raumes und am symbolischen Wendepunkt der Zeiten. Ein Merkmal der Ecke ist ja, dass die Wand dort ihre Richtung ändert – und eben das ist die Bedeutung des Gottessohnes in der Heilsgeschichte: durch diesen Tod ändert sich alles.
Das Kreuz selbst wächst nach allen Seiten weiter – nach unten erweist es sich als Lebensbaum, der im Rücken des Zelebranten frische Blätter treibt, nach oben ragt es in den nun für alle offenen Himmel, der sich durch ein Dachfenster zeigt. Nach rechts hin durchdringt es die Schriften des Alten Bundes und nach links ragt es in die neue Zeit der christlichen Gemeinde.
Der alte Korpus hingegen ist ein
Geschenk des damaligen Bischofs Alfred Kardinal Bengsch; er wurde
erst nachträglich in die Planung integriert und bildet nun einen
farbigen und figürlichen Kontrast zum abstrakten Stil Nickels.
Kreuz in der Ecke. Christian-Schreiber-Haus, Alt-Buchhorst, 2016. |
Dass Gott seinen Sohn nicht im Tod
belassen hat, davon zeugt der weitere Fortgang der Wand Richtung
Fenster: In die Blumenwirbel sollten als Symbole der Gaben des
Heiligen Geistes ursprünglich Halbedelsteine eingefügt werden,
diese waren durch die politischen Verhältnisse in den 1970er Jahren
der DDR jedoch nicht zu bekommen – und als man die Kapelle 2008 neu
gestaltete, wurde bewusst darauf verzichtet, um diese Zeit zu
erinnern.
Doch auch der Tabernakel verweist auf die Gegenwart Gottes mitten in seinem pilgernden Volk. Hier ist er für die Gläubigen in der Speise der Eucharistie gegenwärtig.
Doch auch der Tabernakel verweist auf die Gegenwart Gottes mitten in seinem pilgernden Volk. Hier ist er für die Gläubigen in der Speise der Eucharistie gegenwärtig.
Blick in die
Herrlichkeit
Die Wand mündet schließlich in das aus bunten Glasbausteinen gebaute Fenster der Kapelle. Hier gerät das Ziel der Weggemeinschaft Gottes mit den Menschen in den Blick. Bewegung und Licht prägen das Fenster. Während die Formen sich fortsetzen, wandeln sich Farbigkeit und Material – ganz wie es die christliche Theologie es für das ewige Leben beschreibt: Die individuelle menschliche „Substanz“ wird in ihren entscheidenden Grundzügen bewahrt und zugleich überführt in einen gänzlich neuen Zustand in der Gegenwart Gottes. Dieser Zustand ist geprägt von der vielfarbigen Buntheit des göttlichen Lebens in den Erlösten und der Transparenz für Gottes Nähe. Ein besonderer symbolischer Effekt stellt sich ein, wenn die Sonne auf das Fenster scheint – denn dann erwärmen sich die funkelnden Lichtbausteine auch noch.
Die Wand mündet schließlich in das aus bunten Glasbausteinen gebaute Fenster der Kapelle. Hier gerät das Ziel der Weggemeinschaft Gottes mit den Menschen in den Blick. Bewegung und Licht prägen das Fenster. Während die Formen sich fortsetzen, wandeln sich Farbigkeit und Material – ganz wie es die christliche Theologie es für das ewige Leben beschreibt: Die individuelle menschliche „Substanz“ wird in ihren entscheidenden Grundzügen bewahrt und zugleich überführt in einen gänzlich neuen Zustand in der Gegenwart Gottes. Dieser Zustand ist geprägt von der vielfarbigen Buntheit des göttlichen Lebens in den Erlösten und der Transparenz für Gottes Nähe. Ein besonderer symbolischer Effekt stellt sich ein, wenn die Sonne auf das Fenster scheint – denn dann erwärmen sich die funkelnden Lichtbausteine auch noch.
All diese Assoziationen muss man nicht
mitvollziehen, aber manche davon mögen zu einem vertiefteren
Verständnis der Kapellenausgestaltung helfen und zum
Weitermeditieren anregen. Und natürlich gilt auch hier, dass Bilder
und Beschreibungen einen Besuch nicht ersetzen. Denn, wie Nickel für
seine gesamte Kunst festhält: „Es ist viel wichtiger, die
richtigen Fragen zu stellen, als Antworten zu geben … Es kommt
immer auf den Standpunkt an, von dem aus etwas gesehen wird.
Verschiedene Antworten können richtig sein."4
1 So zitiert in den „Gedanken zur Altarwand der Kapelle des CSH“
von Richard Rupprecht (Hausleiter von 1971-1980) in: M. Laschewski,
B. Simon, U. Stein, M. Hundt (Hgg.), Wie ein Baum am Wasser
gepflanzt. 75 Jahre Jugendhaus. Berlin (Eigenverlag) 2008, 30f.
2
Vgl. zum Architekten:
http://www.digiporta.net/pdf/IRS/Feitel_683455234.pdf.
3
Zit. n. E. Pohl, Im Stürzen gehalten. Der Bildhauer Werner Nickel
und sein Ansatz, Kirchenräume und Bildwerke zu gestalten. In: Tag
des Herrn 46/2010,
http://www.tdh-online.de/archiv_2008_bis_2011/tdh_artikel_16039.php.
4 Ebd.