In Tagen wie diesen, wo religiös
motivierte Gewalt und Hass auf Anderslebende an vielen Orten neu
aufbrechen, stelle ich mir die Frage, wie die Gestalt von Johannes
dem Täufer, dessen Geburtstag die Kirche heute begeht, dazu
positioniert ist.
Die Evangelien malen ihn als den
letzten Propheten der alten Zeit, mit dem schon die neue Zeit des
Messias anbricht. Wie so viele alttestamentliche Gottesmänner eifert er für den Gott Israels und predigt in drastischen Bildern die
innere Umkehr zu diesem Gott, deren äußeres Zeichen er mit seinen
Taufen anbietet.
Seine Urteile über seine Zeitgenossen
sind extrem: "Ihr Schlangenbrut, wer hat euch denn gelehrt,
dass ihr dem kommenden Gericht entrinnen könnt? ... Schon ist die
Axt an die Wurzel der Bäume gelegt; jeder Baum, der keine gute
Frucht hervorbringt, wird umgehauen und ins Feuer geworfen."
(Lk 3,7.9)
Alles mal so richtig kürzen? Körnerpark, Rixdorf, Berlin, 2016. |
Führen solche Worte nicht zwangsläufig
auch zu gewalttätigen Handlungen, wie wir es derzeit bei brennenden
Flüchtlingsunterkünften, bei der Attacke auf die damalige Kölner
Bürgermeisterkandidatin Henriette Reker oder beim Mord an der
britischen Politikerin Jo Cox sehen?
Das Aufheizen der
politisch-gesellschaftlichen Sphäre mit aggressiver
Abgrenzungsrhetorik und brutaler Abwertung anders Eingestellter
scheint immer wieder zu Gewaltausbrüchen zu führen.
Gerade auf dem Feld des Monotheismus
sammeln sich durch den mit ihm einhergehenden Wahrheitsanspruch
potenziell gewaltlegitimierende Momente, denn: "Glauben ist
eine hochemotionale Sache, Liebe und Zorn, Treue und Verrat, Huld,
Gnade und unnachgiebige Strenge sowie leidenschaftlicher Eifer für
die Sache Gottes gehören hier untrennbar zusammen. Die Sache Gottes
aber – das darf man nicht vergessen – ist nicht Gewalt und Krieg,
sondern Frieden und Gerechtigkeit, auch wenn es manchmal oder manchen
scheint, dass dieses Ziel nur mit Gewalt zu erreichen sei."1
Der hochemotionale Gehalt des Glaubens
muss also immer wieder an weitere, höhere Motive und Ziele
rückgebunden werden.
Wenn wir auf einen anderen biblischen
Eiferer, nämlich auf Paulus, blicken, bestätigt sich das. Im
Auftrag der jüdischen Obrigkeit, so bezichtigt er sich später
selbst, habe er die ersten Christen "maßlos"
verfolgt und zu vernichten gesucht (vgl. Gal 1,13; 1Kor 15,9). Die
Apostelgeschichte berichtet von "Drohung und Mord"
(Apg 9,1) im Bestreben, die Anhänger Jesu klein zu halten.
Wie Thomas Söding analysiert hat,
ergibt seine Selbstkritik nach seiner radikalen Bekehrung darum:
"Gewalt gegen Andersgläubige im Namen Gottes ist kein gutes
Werk, sondern Sünde, für die Gott um Vergebung gebeten werden
muss."2
Den Grund seiner Gewalttätigkeit sieht Paulus in seinem Übereifer:
"Das Hauptgebot Dtn 6,4f. fordert die Liebe zum einen Gott;
der Eifer aber schlägt in Hass um, wenn er Gottes Gericht über die
Frevler in die eigenen Hände nimmt."3
Hier
zeigt sich bei Johannes dem Täufer in der Praxis eine eigentümliche
Zurückhaltung, die in merkwürdigem Kontrast zu seinen Worten steht:
Als einige Juden argwöhnen, dass er selbst der Messias sei und darum
für das Gericht zuständig, lehnt er diese Meinung scharf ab und
verweist für die Frage von bleibendem Heil und Unheil auf den nach
ihm Kommenden: "Ich taufe euch nur mit Wasser. Es kommt aber
einer, der stärker ist als ich, und ich bin es nicht wert, ihm die
Schuhe aufzuschnüren. Er wird euch mit dem Heiligen Geist und mit
Feuer taufen. Schon hält er die Schaufel in der Hand, um die Spreu
vom Weizen zu trennen und den Weizen in seine Scheune zu bringen; die
Spreu aber wird er in nie erlöschendem Feuer verbrennen."
(Lk 3,16f.)
Aus heutiger Sicht ist diese
Demut des Täufers sicher nicht hoch genug zu schätzen,
noch dazu mit Jesus von Nazareth ein äußerst integrativer Messias
auf den Plan trat. Gottes Universalismus fand in ihm seinen Ausdruck
in der Hinwendung zu allen Ausgegrenzten und Weggedrängten, so dass
als legitimes Erbe Jesu nicht Abgrenzung und Gewalt, sondern
Zuwendung und Liebe gelten müssen.
Doch die rhetorischen
Unterscheidungsbilder Jesu und des Täufers haben zu allen Zeiten
Menschen auch zu gewalttätigen Handlungen verführt. Darum ist es
für uns Heutige (bei aller Legitimität theologischer Abgrenzung)
wichtig, nicht nur auf die eigene Sprache zu achten, sondern den
Eiferern in den eigenen Reihen immer wieder den antiaggressiven
messianischen Vorbehalt des Täufers aufzuzeigen: "Er muss
wachsen, ich aber muss kleiner werden." (Joh 3,30)
Großreinemachen? Alte Rohre in Neukölln, Berlin, 2016. |
1 J.
Assmann, Ambivalenzen und Konflikte des monotheistischen
Offenbarungsglaubens. In: J.-H. Tück (Hg.),
Monotheismus unter Gewaltverdacht. Zum Gespräch mit Jan Assmann.
Freiburg i.Br. 2015, 246-268, 253.
2 T.
Söding, Diesseits und jenseits der Gewalt. Der paulinische
Monotheismus in der Kritik. In: Ebd., 89-123, 95.