Donnerstag, 23. Juni 2016

Axt und Schlangenbrut - Predigte Johannes der Täufer Gewalt im Namen Gottes?

In Tagen wie diesen, wo religiös motivierte Gewalt und Hass auf Anderslebende an vielen Orten neu aufbrechen, stelle ich mir die Frage, wie die Gestalt von Johannes dem Täufer, dessen Geburtstag die Kirche heute begeht, dazu positioniert ist.
Die Evangelien malen ihn als den letzten Propheten der alten Zeit, mit dem schon die neue Zeit des Messias anbricht. Wie so viele alttestamentliche Gottesmänner eifert er für den Gott Israels und predigt in drastischen Bildern die innere Umkehr zu diesem Gott, deren äußeres Zeichen er mit seinen Taufen anbietet.
Seine Urteile über seine Zeitgenossen sind extrem: "Ihr Schlangenbrut, wer hat euch denn gelehrt, dass ihr dem kommenden Gericht entrinnen könnt? ... Schon ist die Axt an die Wurzel der Bäume gelegt; jeder Baum, der keine gute Frucht hervorbringt, wird umgehauen und ins Feuer geworfen." (Lk 3,7.9)

Alles mal so richtig kürzen?
Körnerpark, Rixdorf, Berlin, 2016.
Führen solche Worte nicht zwangsläufig auch zu gewalttätigen Handlungen, wie wir es derzeit bei brennenden Flüchtlingsunterkünften, bei der Attacke auf die damalige Kölner Bürgermeisterkandidatin Henriette Reker oder beim Mord an der britischen Politikerin Jo Cox sehen? 
Das Aufheizen der politisch-gesellschaftlichen Sphäre mit aggressiver Abgrenzungsrhetorik und brutaler Abwertung anders Eingestellter scheint immer wieder zu Gewaltausbrüchen zu führen.

Gerade auf dem Feld des Monotheismus sammeln sich durch den mit ihm einhergehenden Wahrheitsanspruch potenziell gewaltlegitimierende Momente, denn: "Glauben ist eine hochemotionale Sache, Liebe und Zorn, Treue und Verrat, Huld, Gnade und unnachgiebige Strenge sowie leidenschaftlicher Eifer für die Sache Gottes gehören hier untrennbar zusammen. Die Sache Gottes aber – das darf man nicht vergessen – ist nicht Gewalt und Krieg, sondern Frieden und Gerechtigkeit, auch wenn es manchmal oder manchen scheint, dass dieses Ziel nur mit Gewalt zu erreichen sei."1
Der hochemotionale Gehalt des Glaubens muss also immer wieder an weitere, höhere Motive und Ziele rückgebunden werden.

Wenn wir auf einen anderen biblischen Eiferer, nämlich auf Paulus, blicken, bestätigt sich das. Im Auftrag der jüdischen Obrigkeit, so bezichtigt er sich später selbst, habe er die ersten Christen "maßlos" verfolgt und zu vernichten gesucht (vgl. Gal 1,13; 1Kor 15,9). Die Apostelgeschichte berichtet von "Drohung und Mord" (Apg 9,1) im Bestreben, die Anhänger Jesu klein zu halten.
Wie Thomas Söding analysiert hat, ergibt seine Selbstkritik nach seiner radikalen Bekehrung darum: "Gewalt gegen Andersgläubige im Namen Gottes ist kein gutes Werk, sondern Sünde, für die Gott um Vergebung gebeten werden muss."2 Den Grund seiner Gewalttätigkeit sieht Paulus in seinem Übereifer: "Das Hauptgebot Dtn 6,4f. fordert die Liebe zum einen Gott; der Eifer aber schlägt in Hass um, wenn er Gottes Gericht über die Frevler in die eigenen Hände nimmt."3

Hier zeigt sich bei Johannes dem Täufer in der Praxis eine eigentümliche Zurückhaltung, die in merkwürdigem Kontrast zu seinen Worten steht: Als einige Juden argwöhnen, dass er selbst der Messias sei und darum für das Gericht zuständig, lehnt er diese Meinung scharf ab und verweist für die Frage von bleibendem Heil und Unheil auf den nach ihm Kommenden: "Ich taufe euch nur mit Wasser. Es kommt aber einer, der stärker ist als ich, und ich bin es nicht wert, ihm die Schuhe aufzuschnüren. Er wird euch mit dem Heiligen Geist und mit Feuer taufen. Schon hält er die Schaufel in der Hand, um die Spreu vom Weizen zu trennen und den Weizen in seine Scheune zu bringen; die Spreu aber wird er in nie erlöschendem Feuer verbrennen." (Lk 3,16f.)

Aus heutiger Sicht ist diese Demut des Täufers sicher nicht hoch genug zu schätzen, noch dazu mit Jesus von Nazareth ein äußerst integrativer Messias auf den Plan trat. Gottes Universalismus fand in ihm seinen Ausdruck in der Hinwendung zu allen Ausgegrenzten und Weggedrängten, so dass als legitimes Erbe Jesu nicht Abgrenzung und Gewalt, sondern Zuwendung und Liebe gelten müssen.
Doch die rhetorischen Unterscheidungsbilder Jesu und des Täufers haben zu allen Zeiten Menschen auch zu gewalttätigen Handlungen verführt. Darum ist es für uns Heutige (bei aller Legitimität theologischer Abgrenzung) wichtig, nicht nur auf die eigene Sprache zu achten, sondern den Eiferern in den eigenen Reihen immer wieder den antiaggressiven messianischen Vorbehalt des Täufers aufzuzeigen: "Er muss wachsen, ich aber muss kleiner werden." (Joh 3,30)

Großreinemachen? Alte Rohre in Neukölln, Berlin, 2016.

1   J. Assmann, Ambivalenzen und Konflikte des monotheistischen Offenbarungsglaubens. In: J.-H. Tück (Hg.), Monotheismus unter Gewaltverdacht. Zum Gespräch mit Jan Assmann. Freiburg i.Br. 2015, 246-268, 253.

2   T. Söding, Diesseits und jenseits der Gewalt. Der paulinische Monotheismus in der Kritik. In: Ebd., 89-123, 95.


3   Ebd., 96.