Freitag, 7. Juli 2017

Ein Busch und ein Fisch – Zwei Tabernakelbetrachtungen

Gottes Gegenwart wird in Gotteshäusern katholischer Provenienz vornehmlich in der geweihten Hostie gesucht. Dieses kleine Stück Brot hat seinen regulären Aufbewahrungsort im Tabernakel. In Erinnerung an Gottes Anwesenheit bei seinem durch die Wüste wandernden Volk im Bundeszelt gilt für Christen nun dieses vergängliche "Zelt" (lat. tabernaculum) als Möglichkeit, dem Gott, der über alles hinaus ist, verlässlich zu begegnen.
In der Kunst- und Architekturgeschichte hat der Tabernakel verschiedenste Formen mit unterschiedlichen theologischen Akzentuierungen erhalten:
Von der hängenden Taube, in der die Heilige Gabe als Geschenk des göttlichen Geistes herabzuschweben scheint, über das Schmuckkästchen, das den größten Schatz der Christen bewahrt, bis zur Himmel und Erde, Boden und Gewölbe verbindenden Stele sind zahlreiche Ausformungen zu finden (vgl. auch die Gedanken zum Tabernakel in der Kirche St. Canisius in Berlin Charlottenburg).

An dieser Stelle möchte ich zwei Tabernakel aus meinem derzeitigen Umfeld vorstellen: den Tabernakel aus St. Clara in Berlin Neukölln und den aus dem Christian-Schreiber-Haus in Alt-Buchhorst.
Tabernakelgestalt und theologischer Hintergrund können sich dabei gegenseitig erhellen.

Tabernakel in St. Clara, Neukölln, Berlin, 2017.
1 Der Busch
Eine Anknüpfung an das Alte Testament bietet der Tabernakel in der St.-Clara-Kirche in Berlin Neukölln (zum Bau selbst hier). Nach der Liturgiereform des Zweiten Vatikanums wurde der Innenraum (vornehmlich durch Paul Brandenburg) sukzessive neu gestaltet und erhielt im Rahmen dessen auch eine neue, aus rotem Tuff bestehende Tabernakelstele. Sie deutet einen abstrakten, über zwei Meter hohen Dornbusch an, dessen Spitze von Flammenformen gekrönt wird.
Im Hintergrund dieser Darstellung steht die Begegnung des Schafe weidenden Mose mit Gott im brennenden Dornbusch – verewigt in vielerlei Bildwerken.
Als Mose einen brennenden, doch nicht verbrennenden Busch sieht, wird er aufmerksam und nähert sich ihm. Da spricht Gott ihn bei seinem Namen an und fordert ihn auf: "Leg deine Schuhe ab; denn der Ort wo du stehst, ist heiliger Boden." (v5) Anschließend gibt er sich zu erkennen als Gott seiner Vorfahren. Nach diesem Einstieg erklärt er dem Mose, dass er "das Elend meines Volkes in Ägypten gesehen und ihre laute Klage über ihre Antreiber" (v7) gehört habe und sein Volk durch die Hand des Mose retten wolle. Auf die Frage des Mose, welchen Namen er denn habe, benennt er sich mit der bekannten Formulierung "Ich bin, der ich bin." (v14)
Gott wird also qualifiziert als so übergroß, dass man vor ihm ehrfurchtsvoll die Schuhe ablegt, zugleich aber ist er schon durch seine Kontakte mit den Vorfahren bekannt. Noch dazu hat er ein solches Interesse an den Seinen, dass er sich Menschen sucht, die mit ihm sein Volk retten. Dafür zeigt er sich, wie er ist – als der Anwesende.
Als Tabernakel hieße der Dornbusch somit, dass Gott in der Eucharistie zugleich ehrfurchtgebietend und altbekannt ist. Die mittelalterliche Schaufrömmigkeit und eucharistische Opferrhetorik erhellt den ersten Aspekt ganz gut.
Der zweite Aspekt, dass Gott ein altbekannter sei, findet sich wieder im Brot als dem Grundnahrungsmittel vieler Gesellschaften. Doch erscheint Gott im eucharistischen Brot eben nicht so wie immer, sondern, genau wie dem Mose im Dornbusch, in neuer Weise, nämlich als rettender Gott.
Ebenso wird die Eucharistie theologisch verstanden als die "rettende Speise". Denn Rettung verheißt der Christenheit schon Gottes beseligende Anwesenheit in den Gestalten von Brot und Wein.
Ein Dornbusch-Tabernakel spricht mithin die unverhoffte Anwesenheit Gottes in einem vertrauten Alltagsgegenstand an. Es wird der Gott erinnert, der sich als der bleibend Anwesende, als der Treue zusagt.
Doch der Präsenz Gottes in einem nicht verzehrenden Feuer entspricht nichts im Brot – hier sind die Christen aufgefordert, im Glauben den Glanz des göttlichen Brotes selbst zu erspüren. Der Tabernakel in St. Clara setzt dafür symbolisch zwei Halbedelsteine.

Christkönigskapelle, Christian-Schreiber-Haus, Grünheide, 2017.
2 Der Fisch
Auch der zweite Tabernakel rekurriert auf das Alte Testament. Die in den 1970er Jahren von Lothar Feitel neu gestaltete Kapelle des Jugendhauses und insbesondere die Altarwand sind gewöhnungsbedürftig. Die Abstraktion mag viele Betrachter abschrecken, doch hält die Wand einige theologisch interessante Anregungen bereit.

Um den Tabernakel herum kann man mit etwas Phantasie die Form eines Fisches entdecken – das Erkennungszeichen der ersten Christen und auch heute noch (bevorzugt auf Autos) als christliches Symbol zu finden. Das griechische Akronym Ichthys deutet hin auf Jesus Christus, den Sohn Gottes und Retter der Menschen.
Schon damit wäre die Einbettung des Tabernakels in den Fisch verständlich gemacht: Das kurze Glaubensbekenntnis hat seinen Kern in der Gegenart des Gottessohnes in der Eucharistie.
Doch ich lade ein, etwas weiter zu denken:
Denn in der Bibel fällt vielen christlich Sozialisierten (vor allem Kindern) beim Stichwort Fisch als erstes der vom Fisch verschluckte Prophet Jona ein.

Und wie Jesus Jona als Zeichen für sich selbst und das eigene Hindurchgehen durch den Tod ansah (vgl. Mt 12,38-41), lässt sich der im Fisch betende Prophet durchaus auch im Zusammenhang dieses Tabernakels deuten.
Wie Jona drei Tage im Bauch des Fisches war, so war auch Jesus drei Tage im Grab – und so wie Jonas ausgespuckt wurde, so wurde auch Jesus aus den Toten auferweckt. Ein Tabernakel im Bauch des Fisches ist also dafür da, das in ihm Enthaltene wieder herauszugeben.
Jona geht anschließend nach Ninive und nimmt seinen göttlichen Auftrag endlich wahr. Jesus erscheint den Jüngern und sendet sie in seinem Auftrag. Genauso weist der Tabernakel in der Form des Fisches jetzt uns darauf hin, dass auch wir mit der im Tabernakel enthaltenen Stärkung wieder hinausgehen müssen aus dieser Kirche und dort von unserem Glauben an Gott und von seiner Gegenwart unter uns erzählen sollen.

Der Fisch-Tabernakel erinnert also nicht nur an die Mitte unseres Glaubens, sondern enthält die Aufforderung, von diesem Glauben nun ein eucharistisch bestärktes Zeugnis zu geben.