Das Konzil von Trient (1545-1563): Man
muss es sich wohl ein bisschen so vorstellen wie die Verhandlungen,
die 2015 zum Klimaschutz-Abkommen von Paris geführt haben – eine
große Versammlung von Delegierten und Spezialisten von überall her,
die versuchen, Vereinbarungen zu finden, um möglichst einig und
effektiv auf die größten aktuellen Herausforderungen zu reagieren.
Ignatius von Loyola konnte einige
Mitbrüder aus seinem gerade entstandenen Orden als Theologen auf die
Kirchenversammlung entsenden, die sich den aktuellen theologischen
und kirchenpolitischen Herausforderungen Luthers und der Reformation
stellte.
Eine qualitätvolle Ausbildung auf der
Höhe der damaligen Theologie hatten die Jesuiten in Alcalá und an
der Pariser Sorbonne erhalten. Das machte sie theologisch geeignet –
doch wie sollten sie ihre guten Fachkenntnisse auch wirksam ins Spiel
bringen?
Durchgang. Bremen, 2015. |
Als Ordensoberen war Ignatius besonders
wichtig, dass die entsandten Jesuiten, auf deren Treue zu Kirche und
Orden er vertrauen konnte, "vorausschauend und in einiger
Ordnung" ihren Aufgaben nachgingen.
Dazu sandte er ihnen zu Beginn des
Jahres 1546 einen Brief mit Instruktionen.1
In diesem Brief fanden sich keine inhaltlichen Erörterungen von
kontroversen theologischen Fragen (dies überließ er der
theologischen Kompetenz der dafür Entsandten), sondern formale Erwägungen.
Von der konkreten Situation abgehoben
finden sich im Brief einige Kommunikationsregeln, die auch heute noch
interessant sein können, wie gleich zu sehen sein wird.
Neben diesen Regeln fordert Ignatius
die Jesuiten auf, pastoral und sozial aktiv zu bleiben und sich nicht
nur hinter der Theologie zu verstecken – theologische Wissenschaft
und Sorge um die Seelen gehören für ihn unabdingbar zusammen.
Außerdem weist er die Gruppe an, gut miteinander im Kontakt zu
bleiben, sich auszutauschen und einander ausführliche Rückmeldungen
zu geben.
Als Vorzeichen der sonst wenig
theologisch oder spirituell formulierten Umgangsregeln kann das
Vertrauen auf Gottes Gegenwart gesehen werden, wenn Ignatius zu
Beginn mehrfach betont, dass die "Gunst des Herrn"
entscheidend ist. Für den Heiligen steht eben nicht der eigene
Nutzen im Vordergrund, sondern die größere Ehre Gottes, die er
durch seine Kommunikationsvorgaben befördern will.
Zuerst fällt auf, dass er zweimal
schreibt, er "wäre langsam im Sprechen". Vor
allem hat er dabei im Blick, dass die Mitbrüder nicht anderen
ungefragt ihre vermeintlichen Richtigkeiten hinwerfen, sondern beim
Gegenüber sind, konkret, "um die Auffassungen,
Gefühle und Willen derjenigen, die sprechen, zu verspüren und
kennenzulernen, um besser zu antworten oder zu schweigen."
Zurückhaltung und die ruhige Distanz
zur eigenen Meinung helfen, angesichts des auf diese Weise besser
einzuschätzenden Gegenübers dann die eigenen Argumente besser und
zu gegebener Zeit vorbringen zu können.
Ferner fordert Ignatius auf, die
fraglichen Stoffe so durchdrungen zu haben, dass auch die Gegenseite
angemessen wahrgenommen werden kann und meint darum, die Jesuiten
sollten stets "Gründe für beide Seiten geben, um sich nicht
als durch eigenes Urteil beeinträchtigt zu zeigen". Auf
diese Weise stehen nicht der Konflikt oder die Personen, sondern das
bessere Argument im Fokus. Ignatius fügt an er würde sich bemühen,
"niemanden unzufrieden zurückzulassen". Nicht nur
im Hinblick auf die Würde des Gegenübers und seiner Meinung, aber
mehr noch im Hinblick auf die sich dadurch öffnenden Möglichkeiten
des weitergehenden Gesprächs ist das eine vernünftige
Vorgehensweise.
Dießener Himmel. Dießen, 2015. |
In eine ähnliche Richtung geht die folgende
Instruktion, dass es nämlich nicht darum gehen könne, viele
Autoritäten im eigenen Sinne zu zitieren, sondern vielmehr
anzustreben sei, "mit allen gut [zu] stehen" und
"für niemanden eine Leidenschaft [zu] haben". Je
nach Fortgang der Verhandlungen stehen so nicht nur strategisch,
sondern mehr noch mental und emotional alle Türen offen. Legte man
sich mit Nachdruck schnell und zeitig fest, würde unter Umständen
ein Zurückrudern nötig werden – und Sympathien wären auch nicht
gewonnen.
Schließlich muss auch ein geeigneter
Zeitpunkt gewählt werden, um die eigenen Argumente vorzubringen.
Dabei empfiehlt Ignatius, "nicht auf meine freie Zeit oder
Zeitmangel und Eile bei mir zu achten, das heißt, nicht ob es mir
gelegen ist, sondern ob es gelegen und angemessen ist für die
Person, mit der ich verhandeln will, um sie zu größerer göttlicher
Ehre zu bewegen."
Auch hier also der Grundtenor: absehen
von sich und den eigenen Nöten oder Wünschen und zugunsten der
Sache dem Anderen den Vortritt lassen.
Alle genannten Punkte zielen auf die
Beziehungsebene. Ignatius weiß, wie wichtig es ist, auch mit denen,
die andere Standpunkte vertreten, eine gemeinsame Basis zu haben.
Darauf sollten die Mitbrüder besonders achten, indem sie nicht sich
und ihre eigene Sicht in den Vordergrund drängeln.
Zugleich fällt auf, dass seitens der
Mitbrüder eine gewisse innere Distanz zu den eigentlichen
Problemfragen hergestellt werden soll, damit nicht das Durchdrücken
eigener Positionen Movens des jeweiligen Agierens ist, sondern die
Ausrichtung am eingangs erwähnten größeren Gut der Ehre Gottes.
Ähnlich wie beim zeitgenössischen
systemischen Ansatz des Herangehens an Problemlagen soll die
Fixierung auf einzelne Punkte und die eigene vorgefertigte Meinung
aufgehoben werden zugunsten einer inneren Freiheit und weiteren Perspektive, die auch die
jeweiligen Gegenüber mit einschließt.
In einer Zeit wie heute, in der Hetzen
und anonymes Foulen vor allem im Internet wieder en vogue zu werden
scheinen, ist die ignatianische Art des geduldigen Wartens,
Argumentierens und Eingehens auf die jeweiligen Gesprächspartner
vorbildlich.
Bei den sich anschließenden
Anweisungen zur pastoralen und caritativ-sozialen Arbeit fordert
Ignatius seine Mitbrüder dann auch zweimal auf, sich vorzustellen,
dass sie das, was sie beim Beichthören oder anderen seelsorglichen
Einzelgesprächen sagen, auch öffentlich reden könnten. Diese
Haltung innerlicher Transparenz, die auch im großen Kreis keinen
Hehl aus der eigenen Einstellung macht, wäre auch heute vielerorts
wieder Anlass für kritische Selbstreflexion.
Blick nach oben. Angermünde, 2016. |
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Zitate aus: Ignatius
von Loyola, Briefe und Unterweisungen. Übers. von Peter Knauer.
Würzburg 1993, Brief 123 an die Mitbrüder in Trient, 113-115.