Donnerstag, 20. Juli 2017

"Die Liebe Christi ist nicht trennbar" – Ökumenischer Gottesdienst am 73. Jahrestag des 20. Juli 1944

In seiner heutigen Predigt im Ökumenischen Gottesdienst in der Gedenkstätte Plötzensee, der zum Gedenken an die Widerstandskämpfer gegen das NS-Regime gefeiert wurde, fasste P. Klaus Mertes SJ seine Eindrücke aus Abschiedsbriefen Inhaftierter zusammen.
Was einem Menschen besonders lieb und wichtig ist, so Mertes, das möchte er am Ende seines Lebens noch einmal unmissverständlich zum Ausdruck bringen. "Das ganze Leben noch einmal ausgedrückt im Wort", sagte Mertes.
So tut es Jesus in seinen Abschiedsreden im Johannesevangelium, so tun es die Verurteilten oder auf das Todesurteil Wartenden.

Drei Dinge, die ihm aufgefallen sind, hebt Mertes dabei heraus: Den Dank als die Abwesenheit von Verbitterung; die Reue als die Abwesenheit von Selbstgerechtigkeit; die Liebe als Abwesenheit von Einsamkeit.

Stühle für die Gedenkfeier.
Gedenkstätte Plötzensee, 2017
Als Beispiel für die Dankbarkeit während der Zeit der Haft und des Wartens auf den Tod zitiert Mertes u.a. den lutherischen Pastor Karl Friedrich Stellbrink: "Ich danke euch für alle Liebe, die ihr mir gezeigt habt, für alle Freude, die ihr mir gemacht habt, alle Geduld, mit der ihr mich ertragen habt."
Nicht Groll und Ärger findet Mertes also, sondern das tiefe Gefühl des Dankes.
Besonders deutlich wird dies in einem Brief von Heinrich Graf von Lehndorf an seine Frau: "Ich habe Momente gehabt, wo ich richtig vergnügt war." In der Situation der Isolierung und Demütigung wachsen Menschen doch über die konkrete Situation hinaus und finden in eine größere Tiefe.

Auch moralische Selbsterhebung angesichts der ungerechten Haft entdeckt Mertes nicht. Statt dessen Reue. So entschuldigt sich Stellbrink und bittet: "Denkt stets an mich, denn hier auf Erden habe ich vieles falsch gemacht."
Vor dem Ende seines Lebens, so scheint es, will er seine Beziehungen klären – und dazu gehört es auch, um Vergebung zu bitten, selbst wenn er sich moralisch im Recht gegenüber dem Unrechtsregime fühlt. Mehrfach findet sich auch die Bitte um Entschuldigung, dass die Tat auch der Familie noch Unglück bringen wird: "Und es ist dann die Gewissheit barmherziger Liebe, in der die aufgewühlte Seele Frieden findet." schreibt beispielsweise Hermann Lange an seine Eltern.

Schließlich nennt Mertes die Liebe, die der Einsamkeit zu trotzen vermag. Es geht ihm, im Anschluss an Jesu Bitte in seinen Abschiedsreden, darum, dass da jemand ganz füreinander da ist. Das eigene Leben wird riskiert. Und die Verurteilten entdecken, dass da jemand "für mich" da ist. Besonders eindrücklich finde sich dieser Gedanke, so Mertes, im evangelischen Abendmahl wieder, wenn beim Austeilen von Brot und Wein gesagt wird: "Christi Leib für dich gegeben". In diesem Satz drückt sich aus, dass es um die persönliche Beziehung geht.
Laut Mertes ist es die tröstende Erfahrung, die sich auch am Grunde religiösen Erlebens findet: "Ich bin nicht allein."

Vor dem Hintergrund der Erfahrung des Paulus, die sich im Galaterbrief (v.a. 2,20) findet, könne dann, so Mertes, nicht mehr fein säuberlich geschieden werden zwischen der Liebe Christi und der Liebe geliebter Menschen – "Die Liebe Christi ist nämlich nicht trennbar von der Liebe der Anderen."
Das ist es, was auch die moralische Stärke der Märtyrer des Widerstands ausmacht – das ist es auch, was Jesus meint, wenn er von der Hingabe aus Liebe spricht: "Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt." (Joh 15,13) 

Hinrichtungsstätte. Gedenkstätte Plötzensee, 2017.