Wenn Pfingsten bedeutet, dass Gott
selbst in seinem Geist mitten unter den Menschen gegenwärtig ist,
dann bedeutet das eine Relativierung aller anderen Wege und Mittel,
mit Gott in Verbindung zu treten, weil er ja schon unmittelbar da
ist. Auch der wichtigsten christlichen Bezugsgrößen.
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Noch oben offen. Baustelle, Neukölln, Berlin, 2014. |
Traditionell ist die Versuchung, der
Bibel einen zu großen Stellenwert im Gegensatz zum Heiligen Geist
selbst beizumessen, eher unter den aus der Reformation kommenden
Christen beheimatet. Die ständige Bezugnahme auf die Schrift als
Hinweis auf das, was Gott heute zu sagen hat, kann im Extremfall zu
einem ungesunden Biblizismus führen, den schon die Schrift selbst
anprangert. In den Worten des Paulus: "der Buchstabe tötet,
der Geist aber macht lebendig." (2Kor 3,6)
Denn wenn der Bezug auf biblische
Buchstäblichkeit nicht zu Gott hinführt, dann ist der Alleinbezug
auf die Schrift eben die falsche Prämisse. Der Rückgriff auf die
Glaubenswahrheit, dass Gott sich in der Schrift offenbart hat, kann
nämlich nicht entbinden von der Achtsamkeit auf das heutige Wirken
des Geistes. Alles andere hieße Zensur Gottes durch seine in der
Schrift geoffenbarten Worte.
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Ähnlich steht es mit der Tradition,
die tendenziell eher in der Orthodoxie ein ungutes Übergewicht
bekommen kann. Werden aus der Vielfalt der Traditionen, die der
Heilige Geist eröffnet, sklerotische Härten, die eine bestimmte
theologische Denkform oder Zeit oder Liturgieform so absolut setzen,
dass alles andere nur noch Häresie sein soll, dann ist der Geist
Gottes schon erstickt worden.
Traditionalismus hört nicht mehr auf
den Geist in der Tradition, sondern folgt blind und taub Formen, die
in einer bestimmten Zeit und unter bestimmten Umständen gut waren,
das aber nicht bleiben müssen. Die Kirche in der Verfolgung und die
Kirche im Wachstum braucht je andere theologische Schwerpunkte, die
nicht ohne weiteres auf jede Zeit und jede Bedingung übertragbar
sind – so zeigt sich der Geist auch in den vom Konzil erörterten
"Zeichen der Zeit" (GS 4).
Transparent für Geist? Neukölln, Berlin, 2016. |
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Schließlich die Gefährdung durch den
Klerikalismus, die sich gern in der katholischen Kirche findet: Durch
Taufe und Firmung haben alle Christen den gleichen Geist erhalten,
aus ihrer Mitte aber ruft Gott Menschen zu einem Dienstamt. So
erinnert der Apostel Paulus den Bischof Timotheus, dass dieser durch
die Handauflegung "den Geist der Kraft, der Liebe und der
Besonnenheit" (2Tim 1,7) bekommen habe und sein Amt
dementsprechend ausüben soll. In "Evangelii Gaudium"
warnt Papst Franziskus diese Amtsträger und hält ihnen (und sich)
vor: "Häufig verhalten wir uns wie Kontrolleure der Gnade
und nicht wie ihre Förderer." (EG 47) Doch gerade das
sollen die Amtsträger ja sein: indem sie die Charismen
(Geistesgaben) aller Getauften anerkennen und förderen, werden sie
"Helfer zu eurer Freude" (2Kor 1,24) und nicht
"Herren über euren Glauben" (ebd.)
Diese drei Gegenüberstellungen sind
sehr pauschal und zielen auf (leider nicht zu seltene) Extremfälle.
Im Hintergrund steht bei diesen Gedanken, dass der richtige Rahmen
gefunden wird. Denn selbstverständlich sind die drei genannten
Größen tradtionell die legitimen Bezeugungsinstanzen des
Christentums, für die jeweils neu unterschieden werden muss, was der
Geist mit ihnen für das Heil eines konkreten Menschen oder einer
konkreten Gemeinschaft in einer konkreten Zeit tatsächlich vorhat.
Theologisch heißt das, dass der Geist
Gottes durch diese Instanzen wirkt und sich in ihnen
zeigt. Das Ideal wäre also: Im Geist lesen wir die Bibel, der Geist
strukturiert und öffnet Traditionen, der Geist belebt und erfüllt
das kirchliche Amt.
Wenn menschliche Engführungen ihm
diese Möglichkeiten nicht mehr lassen, dann ist Gefahr im Verzug und
besonders dann ist der Horizont neu zu weiten auf den je größeren
Gott selbst hin.
"Der Geist ergründet nämlich
alles, auch die Tiefen Gottes." (1Kor 2,10)
Tiefer! Lübbenau / Spreewald, 2015. |