Gerade habe ich einen außerordentlichen
Gottesdienst in der Kirche St. Richard im Norden Neuköllns besucht,
Erzbischof Koch und Teile des Ordinariats, viele Hauptamtliche aus
den Pfarrgemeinden und anderen Orten kirchlichen Handelns waren vor
Ort und es wurde Eucharistie gefeiert.
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Ich hatte ein eigenartiges Gefühl
dabei: man feiert den Beginn einer so genannten "Entwicklungsphase",
weil eine Umstrukturierung der kirchlichen Arbeit vorgenommen werden
muss, die auf größtenteils nicht beeinflussbaren Umständen fusst.
Es drängt sich also der Eindruck auf, dass nicht aus eigener
Entscheidung heraus, sondern aus der Notwendigkeit der Fakten
gehandelt wird, die auch auf der Homepage des Erzbistums benannt
werden: "Ein verändertes Verhältnis des modernen Menschen
zu Glaube und Kirche, die Nöte der Zeit, der demographische Wandel,
die sinkende Zahl der Priester".
Unter dem Bild der Apokalypse. St. Richard, Nordneukölln, Berlin, 10.05.2016. |
Darauf zu reagieren, ist nicht
schlecht! Natürlich muss reagiert werden, und natürlich darf es,
wie oft betont, nicht nur um die Strukturen, also um Finanzen,
Personal und betreute Orte gehen. Und sicher gibt es unter den
Organisatoren und Moderatoren des Prozesses "Wo Glauben Raum
gewinnt" viele motivierte und geistgeleitete Menschen.
Und natürlich kann und sollte viel und
oft die Eucharistie gefeiert werden, gerade an solchen Knack- und
Wendepunkten gemeindlichen und kirchlichen Lebens.
Doch wie viele Gläubige oder
kirchliche Mitarbeiter der verschiedenen Institutionen vor Ort
brennen wirklich für diese neue Art von Vernetzung, die Gemeinden
und Schulen, Kitas, Caritas-Projekte, Altenheime, Krankenhäuser,
Verbände und Gemeinschaften und viele weitere kirchliche Akteure
zusammenführen soll?
Wie feierlich ist den Gemeindegliedern
vor Ort zumute, wenn ihre kirchliche Heimat sich in absehbarer Zeit
von den bekannten Strukturen in eine nur als Nebel wahrnehmbare
Zukunft hinein entwickelt?
Werden da wirklich Glaubensräume
aufgetan oder nicht vielmehr verschlossen?
Ich möchte nicht defätistisch sein.
Und ich kann alle Ziele dieses Prozesses nur bejahen: eine
"nachhaltige Form des Kirche-Seins"
auf den Weg bringen. Und auf diese Weise "Jesus Christus für
die Menschen berührbar und erfahrbar zu machen".
In seiner heutigen Predigt hat der Erzbischof das Wort von Christen
als "Brückenmenschen" gebraucht, das ihm
augenscheinlich lieb ist
und das ich auch nur als christliches Ideal in der Nachfolge des
Himmel und Erde verbindenden Christus bejahen und bekräftigen kann.
Dunkler Aufgang nach oben. Gemeindehaus St. Clara, Nordneukölln, Berlin, 2015. |
Aber tatsächlich zweifle ich daran,
dass ein Schritt auf dieses hohe spirituelle und missionarische Ideal
zu heute schon gefeiert werden kann.
Erzbischof Koch ist realistisch und
bekundete in seinen bisher veröffentlichten Gedanken zum Prozess:
"ohne dass wir innerlich für unseren Sendungsauftrag
brennen, wird der ganze Prozess nichts werden, dann wird er zum
bloßen Strukturprozess. Den können wir uns jedoch ersparen. Das ist
die Sache nicht wert. Denn ob ich in großen oder in kleinen
Strukturen unwirksam arbeite, bleibt dasselbe."
Es käme also darauf an, dass die
kirchliche Basis Feuer fängt – doch tut sie das tatsächlich?
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Um nicht beim Unbehagen stehen zu
bleiben, versuche ich, positiv weiterzudenken und die andere Seite
anzuschauen.
a
Bemerkenswert finde ich zunächst, dass
die allzuoft spürbare Fixierung auf den Klerus jedenfalls teilweise
aufgebrochen wird – schon die ersten Stellungnahmen
verweisen auf das biblisch bekundete gemeinsame Priestertum aller
Getauften unter Hinweis auf den Ersten Petrusbrief: "Ihr seid
ein auserwähltes Geschlecht, eine königliche Priesterschaft, ein
heiliger Stamm, ein Volk, das sein besonderes Eigentum wurde, damit
ihr die großen Taten dessen verkündet, der euch aus der Finsternis
in sein wunderbares Licht gerufen hat" (1 Petr 2,9)
Das ist wohltuend – und vielleicht
besteht Hoffnung, dass wirkliches Sendungsbewusstsein aus der
Erfahrung von innerer Dunkelheit, die durch den Eintritt Gottes in
das Leben eines Menschen erleuchtet wurde, entstehen kann.
Erlöste strahlen jedenfalls mehr
Erlösungssehnsucht aus als Immer-schon-Frommgebliebene. Deren
christliches Wirken aus dem Geist nun zu stärken und zu fördern,
anstatt es institutionell zu hemmen, wird die große und nicht zu
unterschätzende Herausforderung des Prozesses sein, der die
Getauften nun richtigerweise in Verantwortung nehmen will.
b
Botschaft von oben? Kita St. Richard, Nordneukölln, Berlin, 2016. |
Ganz grundsätzlich begrüßenswert ist
selbstverständlich: Das Problem des mehr oder minder schleichenden
Verschwindens von Kirche wird wahrgenommen – und angegangen, bevor
es ganz zu spät ist. Das Eintreten für die Realität ist zugleich
ein Eintreten für den realen Gott, der überall gefunden werden
will.
c
Darum ist auch der Aufbruch und
Ausbruch aus dem Bisherigen sinnvoll. Manches wird sich nicht halten
lassen, aber auf dem (vierzigjährigem!?) Weg durch die Wüste kann
eben auch kein großer Kirchturm mitgeschleppt werden.
Und ein Christentum im Aufbruch
entspricht seinem eigenen Wesen zutiefst und wahrscheinlich mehr als
viele Formen der Volkskirchlichkeit.
d
Und was das feiernde Eröffnen angeht –
ist es nicht auch bei vielen Sakramentenspendungen de facto so, dass
sie auf Hoffnung hin gespendet werden, da keine Gewähr (und manchmal
nicht einmal die Wahrscheinlichkeit) besteht, dass die Sakramente
auch wirklich ins Leben überführt werden können?
e
Gerade die Eucharistie ist wohl die
passendste Feierform für diesen Übergang des Alten ins Neue – In
Erinnerung an die Hingabe des irdischen Jesus am Kreuz wird ja der
Brotlaib in den eucharistischen Leib der Anwesenheit Christi
gewandelt. Aus dem Sterben wächst neues Leben.
Vielleicht scheint das ein zu starkes
Bild für den Neufindungsprozess einer deutschen Diözese – aber
genau das will Gott ja: dass seine lebendige Gegenwart in den
Strukturen der Christenheit erfahrbar wird.
Das wird nicht ohne
"Opfer" abgehen – im Vertrauen auf seinen Heiligen Geist
aber neues Leben geben.
f
Der Gottesdienstraum in der Kirche St.
Richard hat durch sein auf der Offenbarung des Johannes fußendes
Wandbild einen zusätzlich sehr spannenden Effekt. So wurde der
Pastorale Raum Nordneukölln eröffnet unter der Offenbarung Gottes
als eines wehrlosen Lammes, um das sich Menschen aus allen Nationen
scharen. Das verheißt Hoffnung.
Fahrt mit Gewicht. Gemeindeparkplatz St. Richard, Nordneukölln, Berlin, 2016. |