Dienstag, 10. Mai 2016

Entstehung neuer Glaubensräume? – Eröffnung eines Pastoralen Raumes in Berlin

Gerade habe ich einen außerordentlichen Gottesdienst in der Kirche St. Richard im Norden Neuköllns besucht, Erzbischof Koch und Teile des Ordinariats, viele Hauptamtliche aus den Pfarrgemeinden und anderen Orten kirchlichen Handelns waren vor Ort und es wurde Eucharistie gefeiert.

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Ich hatte ein eigenartiges Gefühl dabei: man feiert den Beginn einer so genannten "Entwicklungsphase", weil eine Umstrukturierung der kirchlichen Arbeit vorgenommen werden muss, die auf größtenteils nicht beeinflussbaren Umständen fusst. Es drängt sich also der Eindruck auf, dass nicht aus eigener Entscheidung heraus, sondern aus der Notwendigkeit der Fakten gehandelt wird, die auch auf der Homepage des Erzbistums benannt werden: "Ein verändertes Verhältnis des modernen Menschen zu Glaube und Kirche, die Nöte der Zeit, der demographische Wandel, die sinkende Zahl der Priester".

Unter dem Bild der Apokalypse.
St. Richard, Nordneukölln, Berlin, 10.05.2016.
Darauf zu reagieren, ist nicht schlecht! Natürlich muss reagiert werden, und natürlich darf es, wie oft betont, nicht nur um die Strukturen, also um Finanzen, Personal und betreute Orte gehen. Und sicher gibt es unter den Organisatoren und Moderatoren des Prozesses "Wo Glauben Raum gewinnt" viele motivierte und geistgeleitete Menschen.
Und natürlich kann und sollte viel und oft die Eucharistie gefeiert werden, gerade an solchen Knack- und Wendepunkten gemeindlichen und kirchlichen Lebens.

Doch wie viele Gläubige oder kirchliche Mitarbeiter der verschiedenen Institutionen vor Ort brennen wirklich für diese neue Art von Vernetzung, die Gemeinden und Schulen, Kitas, Caritas-Projekte, Altenheime, Krankenhäuser, Verbände und Gemeinschaften und viele weitere kirchliche Akteure zusammenführen soll?
Wie feierlich ist den Gemeindegliedern vor Ort zumute, wenn ihre kirchliche Heimat sich in absehbarer Zeit von den bekannten Strukturen in eine nur als Nebel wahrnehmbare Zukunft hinein entwickelt?
Werden da wirklich Glaubensräume aufgetan oder nicht vielmehr verschlossen?

Ich möchte nicht defätistisch sein. Und ich kann alle Ziele dieses Prozesses nur bejahen: eine "nachhaltige Form des Kirche-Seins" auf den Weg bringen. Und auf diese Weise "Jesus Christus für die Menschen berührbar und erfahrbar zu machen". In seiner heutigen Predigt hat der Erzbischof das Wort von Christen als "Brückenmenschen" gebraucht, das ihm augenscheinlich lieb ist und das ich auch nur als christliches Ideal in der Nachfolge des Himmel und Erde verbindenden Christus bejahen und bekräftigen kann.

Dunkler Aufgang nach oben.
Gemeindehaus St. Clara,
Nordneukölln, Berlin, 2015.
Aber tatsächlich zweifle ich daran, dass ein Schritt auf dieses hohe spirituelle und missionarische Ideal zu heute schon gefeiert werden kann.
Erzbischof Koch ist realistisch und bekundete in seinen bisher veröffentlichten Gedanken zum Prozess: "ohne dass wir innerlich für unseren Sendungsauftrag brennen, wird der ganze Prozess nichts werden, dann wird er zum bloßen Strukturprozess. Den können wir uns jedoch ersparen. Das ist die Sache nicht wert. Denn ob ich in großen oder in kleinen Strukturen unwirksam arbeite, bleibt dasselbe."

Es käme also darauf an, dass die kirchliche Basis Feuer fängt – doch tut sie das tatsächlich?

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Um nicht beim Unbehagen stehen zu bleiben, versuche ich, positiv weiterzudenken und die andere Seite anzuschauen.

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Bemerkenswert finde ich zunächst, dass die allzuoft spürbare Fixierung auf den Klerus jedenfalls teilweise aufgebrochen wird – schon die ersten Stellungnahmen verweisen auf das biblisch bekundete gemeinsame Priestertum aller Getauften unter Hinweis auf den Ersten Petrusbrief: "Ihr seid ein auserwähltes Geschlecht, eine königliche Priesterschaft, ein heiliger Stamm, ein Volk, das sein besonderes Eigentum wurde, damit ihr die großen Taten dessen verkündet, der euch aus der Finsternis in sein wunderbares Licht gerufen hat" (1 Petr 2,9)
Das ist wohltuend – und vielleicht besteht Hoffnung, dass wirkliches Sendungsbewusstsein aus der Erfahrung von innerer Dunkelheit, die durch den Eintritt Gottes in das Leben eines Menschen erleuchtet wurde, entstehen kann.
Erlöste strahlen jedenfalls mehr Erlösungssehnsucht aus als Immer-schon-Frommgebliebene. Deren christliches Wirken aus dem Geist nun zu stärken und zu fördern, anstatt es institutionell zu hemmen, wird die große und nicht zu unterschätzende Herausforderung des Prozesses sein, der die Getauften nun richtigerweise in Verantwortung nehmen will.

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Botschaft von oben?
Kita St. Richard, Nordneukölln, Berlin, 2016.
Ganz grundsätzlich begrüßenswert ist selbstverständlich: Das Problem des mehr oder minder schleichenden Verschwindens von Kirche wird wahrgenommen – und angegangen, bevor es ganz zu spät ist. Das Eintreten für die Realität ist zugleich ein Eintreten für den realen Gott, der überall gefunden werden will.

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Darum ist auch der Aufbruch und Ausbruch aus dem Bisherigen sinnvoll. Manches wird sich nicht halten lassen, aber auf dem (vierzigjährigem!?) Weg durch die Wüste kann eben auch kein großer Kirchturm mitgeschleppt werden.
Und ein Christentum im Aufbruch entspricht seinem eigenen Wesen zutiefst und wahrscheinlich mehr als viele Formen der Volkskirchlichkeit.

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Und was das feiernde Eröffnen angeht – ist es nicht auch bei vielen Sakramentenspendungen de facto so, dass sie auf Hoffnung hin gespendet werden, da keine Gewähr (und manchmal nicht einmal die Wahrscheinlichkeit) besteht, dass die Sakramente auch wirklich ins Leben überführt werden können?

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Gerade die Eucharistie ist wohl die passendste Feierform für diesen Übergang des Alten ins Neue – In Erinnerung an die Hingabe des irdischen Jesus am Kreuz wird ja der Brotlaib in den eucharistischen Leib der Anwesenheit Christi gewandelt. Aus dem Sterben wächst neues Leben.
Vielleicht scheint das ein zu starkes Bild für den Neufindungsprozess einer deutschen Diözese – aber genau das will Gott ja: dass seine lebendige Gegenwart in den Strukturen der Christenheit erfahrbar wird. 
Das wird nicht ohne "Opfer" abgehen – im Vertrauen auf seinen Heiligen Geist aber neues Leben geben.

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Der Gottesdienstraum in der Kirche St. Richard hat durch sein auf der Offenbarung des Johannes fußendes Wandbild einen zusätzlich sehr spannenden Effekt. So wurde der Pastorale Raum Nordneukölln eröffnet unter der Offenbarung Gottes als eines wehrlosen Lammes, um das sich Menschen aus allen Nationen scharen. Das verheißt Hoffnung.

Fahrt mit Gewicht. Gemeindeparkplatz St. Richard, Nordneukölln, Berlin, 2016.