Wir feiern wieder Gottesdienst. Aber
kann man das wirklich eine Feier nennen – unter diesen vom
Pandemieplan diktierten Bedingungen ? Ohne gemeinsamen Gesang, mit
riesigen Abständen zwischen uns, ohne anschließendes Beisammensein?
Es ist das, was wir daraus machen! Wir
können feiern, weil wir glauben, dass Gott in unserer Mitte sein
will, wenn wir uns treffen. Egal unter welchen Umständen.
Mit meinen Gedanken war ich in den
letzten Tagen immer wieder bei den Geschehnissen der letzten Tage des
Krieges, an dessen Ende vor 75 Jahren vielerorts erinnert wurde.
Unter welchen Umständen dort manchmal Gottesdienste gefeiert wurden.
Wie wird es diesen Menschen zumute
gewesen sein, wenn sie in den Gottesdienst gegangen sind? Waren sie
dankbar und erleichtert, dass alles vorbei ist? Oder doch eher
verbittert über die Niederlage? Ängstlich angesichts der Besatzung
und der vielen Unsicherheiten?
Auch wir haben einige der aktuellen
Einschränkungen schon hinter uns – aber gerade hier im Gefängnis
bestehen noch viele besondere Begrenzungen fort, vom Besuchsverbot
bis zum Ausfall der Gruppenangebote.
Wie die Menschen damals stehen auch wir
mit unseren unterschiedlichen Gefühlen vor Gott.
Findet seinen Weg. Saalachtal, Österreich, 2019. |
Und dazu bekommen wir einen ziemlich
verwirrenden Text zu hören (Joh 14,1-12).
Jesus verabschiedet sich in diesem Text
von seinen Jüngern – und zeigt ihnen, was sie noch erwartet. Der
Autor des Johannesevageliums schreibt dabei aus der Perspektive eines
Eingeweihten. Er legt Jesus Worte in den Mund, die klar machen,
dass die Auferstehung schon als gegeben vorausgesetzt wird. Das soll
den Hörern Hoffnung machen, dass alles gut ausgehen wird.
1. Den Weg kennen
In einer Krise ist es wichtig zu
wissen, wo es hingeht. Denn nur dann kann man aktiv dazu beitragen,
wieder einen besseren Status zu erreichen.
Allerdings ist hier in Haft vieles
vorgegeben, vieles können Sie nicht selbst entscheiden.
Trotzdem wird auch von Ihnen erwartet,
dass Sie aus dieser Krise, die eine Haft im Normalfall bedeutet,
einen guten Weg heraus finden. Sie kennen die Stichworte aus dem Haftalltag.
Für solche Situationen kann unser Text
einen Hinweis geben. Als Hörer des Textes befinden wir uns vor einer
ähnlichen Frage wie die angesprochenen Jünger: Nach welchem
Maßstab soll es nun weitergehen?
Jesus sagt dazu: "wohin ich
gehe - den Weg dorthin kennt ihr" (v4) Als der kritische
Thomas nachhakt und sagt, sie wüssten weder Weg noch Ziel, folgt der
berühmte Satz:
"Ich bin der Weg und die
Wahrheit und das Leben" (v6).
Wir konzentrieren uns mal auf den Weg:
Ihr kennt den Weg schon, weil ihr mich kennt, sagt Jesus.
Jesus kennen also. Guter Mann,
irgendwas mit Nächstenliebe, immer Stress mit Autoritäten – so
kann Jesus auf den ersten Blick erscheinen.
Drei kurze Impulse, was man noch zu ihm
sagen kann und welche Maßstäbe er angelegt hat:
Jesus hatte erstens einen klaren
Fokus – Gott war das Zentrum, Menschen sollten Gott kennenlernen
als einen liebevollen Vater. Dafür hat er gelebt. Das wollte er an
den Mann bringen. Und dafür ist er auch in viele Konflikt gegangen.
Kurz: Jesus ist also ein Modell dafür,
wie wichtig die Konzentration auf eine gute Sache ist, eine Sache
allerdings, die nicht nur man selbst ist.
Denn Jesus war zweitens bereit,
einiges auf sich zu nehmen, damit das auch ankommt. Er hat sich nicht
geschont und gerade als es kritisch wurde, bei seiner Verhaftung,
beim Prozess und bei der Bestrafung ist er nicht ausgerissen. Er
wollte sich nicht wieder aus der Affäre ziehen, sondern er stand zu
dem, was er vorher gesagt hatte.
Weg im Nebel. Bei Grünheide, 2019. |
Jesus ist also auch das Modell für
eine Standhaftigkeit, die nicht den Schwanz einzieht, wenn es hart
auf hart kommt – und dabei trotzdem liebevoll bleibt.
Und drittens war ihm klar, dass
er seine Kraft nicht aus sich selbst zieht, sondern aus Gott. "Der
Vater, der in mir bleibt, vollbringt seine Werke" (v10),
sagt er später. Er weiß, dass er in Verbindung bleiben muss mit
seiner Kraftquelle, die Gott ist.
So ist er schließlich auch Modell für
einen realistischen Lebensstil, indem er sich nicht selbst als Quelle
der eigenen Kraft ansieht, sondern Besug auf Gott nimmt.
Konzentration, Standhaftigkeit,
Verbindung zur eigenen Kraftquelle – das wären drei
Leitwerte, auf die man sich stützen kann, wenn man Jesus als Weg für
das eigene Leben ansieht. Und es sind sicher Wegweiser, die auch in
einer Haft sinnvoll sein können.
2. Große Werke vollbringen
Aber es kommt noch einen Zacken
schärfer: Der Text beschreibt eine unheimlich intensive Verbindung
Jesu mit Gott dem Vater: Sie sind nicht zu trennen. Es heißt sogar:
"Wer mich sieht, der sieht den Vater" (vgl. v9,
Übersetzung nach Luther).
Wenn wir das ernst nehmen, heißt das:
Gott will an dem erkannt werden, was Jesus getan und wie Jesus gelebt
hat.
Und dazu gehören die "Werke"
– natürlich denken wir hier sofort an die Wunder, die Jesus nach
der Bibel gewirkt hat und vielleicht an die Auferstehung.
Aber vor allem geht es um den
wichtigsten Grundzug in allem, was Jesus getan hat: Er hat alles mit
Liebe getan.
Das ist wahrscheinlich das schwierigste
"Werk" überhaupt, dass wir mit Liebe handeln.
Zu oft reißen uns Ungeduld und das
Gefühl von Ungerechtigkeit fort. Zu oft haben wir keine Geduld oder
reißen schnell etwas an uns, weil es einen Vorteil bringt. Zu oft
sehen wir zuerst uns selbst und erst viel später auch noch die
anderen.
Jesus führt seine Liebe darauf zurück,
dass er mit Gott verbunden war. Und dass Gott in ihm mit Liebe
gewirkt hat.
Aber Jesus glaubt auch an uns – und
vor allem daran, dass Gott in uns das gleiche vollbringen kann wie in
ihm, wenn wir mit ihm verbunden sind: "wer an mich glaubt,
wird noch größere Werke vollbringen" (v12).
Wenn Liebe so einfach wäre. Plänterwald, Berlin, 2020. |
Vielleicht sind wir der Meinung, dass
wir nicht besonders gut sind darin, voll Liebe zu handeln. Vielleicht
wollen wir es auch oft gar nicht. Oder wir denken im Alltag einfach
nicht daran.
Aber wir dürfen groß von uns denken.
Weil auch Gott groß von uns denkt. Und er mutet es uns nicht nur zu,
sondern er traut es uns auch zu, auch Ihnen hier im Gefängnis: ihr
könnt große Werke vollbringen und voller Liebe handeln.
3. Eine Wohnung bei Gott finden
Ein letzter Gedanke soll das Ziel in
den Blick nehmen, von dem Jesus spricht.
"Im Haus meines Vaters gibt es
viele Wohnungen" (v2), heißt es da.
Vielen, die diese Anstalt verlassen,
würde es schon reichen, wenn sie eine Wohnung in Berlin finden, in
die sie vorerst gehen können.
Jesus sagt dies hier zur Ermutigung:
Für jeden ist Platz bei Gott.
Nicht in einem Wolkenkuckucksheim oder
mit einer Halleluja-Harfe in der Hand! Diese Bilder sind verfehlt.
Unser Ziel ist die Gemeinschaft mit
Gott, die viele verschiedene Formen haben kann. Je nachdem, wie wir
sind, es ist eine Wohnung vorbereitet.
Gott wartet auf jeden Einzelnen mit
seiner Eigenart. Das ist es, was viele Wohnungen bedeutet. Es ist
Platz für die unterschiedlichsten Typen. Nicht nur eine bestimmte
Sorte Menschen ist vorgesehen.
Ich lade Sie ein, sich auf den Weg zu
machen. Die Orientierung an Jesus kann eine Hilfe sein, aber vor
allem die Ausrichtung darauf, dass es das größte "Werk"
ist, voller Liebe zu handeln. Dazu braucht man auch Frieden im
Herzen. Ich wünsche Ihnen, dass Sie diesen Frieden und diese Liebe
in ihrem Leben finden. Damit Sie Ihre ganz persönliche Wohnung bei
Gott finden.
Ich lese immer wieder gern die Predigten mit und kann manches gut nachvollziehen, weil wir auch immer wieder Gäste mit Knast-Erfahrung über kürzere oder längere Zeit haben.
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