1.
Zuerst war da nur der in jeder
Messfeier genannte Name des Papstes, für den gebetet wurde. Sonntag
für Sonntag, Jahr für Jahr der gleiche. Da ich es nicht anders
kannte, fiel mir erst später auf, dass Johannes Paul II. auf diese
Weise in meiner ganzen Kindheit und Jugend präsent war.
2.
Dann beschäftigte ich mich mit seinen
Schriften,
da ich (immer noch) der Meinung bin, dass es gut ist, sich mit
grundlegenden Texten der eigenen Tradition auseinanderzusetzen. Die
päpstlichen Lehrschreiben des aktuellen Pontifex zählte ich dazu.
Ich muss zugeben, dass ich den Stil der Enzykliken von Johannes Paul
II. schätze. Nicht an jedem Punkt teile ich seine theologische
Meinung, aber er bringt seine Themen elegant auf den Punkt und hat
eine überaus spirituelle Perspektive auf alle Fragestellungen.
Außerdem bildete er mit der Vielzahl seiner Äußerungen zu den
unterschiedlichsten Fragestellungen – von der menschlichen Arbeit
über die Ostkirchen und die Frage der Mission bis hin zu Trinität
und Eucharistie – eine gute Basis zum Verständnis des
Katholischen, jedenfalls des Katholischen aus seiner Sicht. Es ist
ein sehr kirchliches Katholischsein, das aber gleichzeitig eine große
Weite über die Grenzen der Kirche hinaus kennt.
3.
Blick empor, Blick hinab. Petersplatz, Rom, 23.03.2005. |
Während meines einjährigen
Studienaufenthaltes in Lublin erreichte meine Beschäftigung mit
Johannes Paul II. seinen Höhepunkt.
Das ist aus mehreren Gründen
kein Wunder. Denn erstens war der spätere Papst selbst für kurze
Zeit Professor an der dortigen Katholischen Universität Lublin (KUL)
und wird an diesem Ort in hohen Ehren gehalten. Zweitens bestanden
weite Teile der moraltheologischen Lehre meiner Professoren aus
Versatzstücken der Lehrschreiben des polnischen Papstes. Das war ein
völlig anderer Stil von Theologiestudium, als ich ihn aus
Deutschland kannte. Eine Bezugnahme auf den Papst kam dort in den
Vorlesungen praktisch nicht vor, und wenn überhaupt, dann als
historischer Exkurs.
Aber der Grund, weshalb Johannes Paul
II. mein Jahr an der KUL besonders prägte, war sein Tod. Zu Ostern
2005 war ich noch mit meinem polnischen Studienjahrgang in Rom, als
sich der todkranke Papst ein letztes Mal am Fenster des Apostolischen
Palastes zeigte. Direkt nach unserer Rückkehr fanden tägliche
Nachtwachen für den sterbenden Pontifex statt. Die Nachricht seines
Todes hörte ich dann auch am späten Abend in der Universitätskirche
der KUL.
Anschließend versank das ganze Land in
Trauer – und Heldenverehrung.
4.
Die jahrzehntelange Fixierung der
polnischen Kirche auf "ihren" Papst hat augenscheinlich
kein selbstkritisches Bewusstsein gefördert. So wenig der heilige
Johannes Paul II. konsequent und durchschlagend gegen
Missbrauchstäter unter seinen Klerikern vorgegangen war (im
Gegensatz zu missliebigen Theologen), so wenig tut es der polnische
Episkopat bis
heute, wie die inzwischen jährlich aufbrandenden Skandale um
pädophile Priester zeigen.
Die Unfähigkeit, sich der
erschreckenden Wahrheit zu stellen, dass da hochkriminelle
Einzelpersonen im Klerikerstand und nicht minder kriminelle
Strukturen in vielen Bistumsleitungen existieren, schockiert mich
immer wieder, ebenso wie die Tatsache, dass die Überlebenden des
Missbrauchs durch Geistliche immer noch weitgehend ungehört und
ungesehen bleiben.
Auch das gehört zum langen Erbe von
Johannes Paul II.
5.
Für mich persönlich ist das ein
schwer zu fassendes Gesamtbild (von allen zusätzlichen welt- und
kirchenpolitischen Komponenten mal abgesehen): Die Angst vor dem
Ansehensverlust der Kirche war auch bei Johannes Paul II. so viel
größer als das Mitgefühl mit ihren Opfern. Daneben steht seine
tiefe Frömmigkeit, die zugleich tief reflektiert ist und vielen
Menschen Kraft gegeben hat, auch mir.
Ich bringe es nicht zusammen.
Grau und Feuer. Sonnenuntergang über Lublin, 2014. |
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