Ich weiß nicht viel von
ihr, und das wenige, das ich weiß, lässt sich überall
zusammenlesen:
Nelly Sachs wurde 1891 in
Berlin in einer jüdischen Familie geboren und lebte bis zu ihrem
Exil 1940 ein recht stilles Leben, abseits vom Kulturbetrieb der
flimmernden Großstadt. Sie veröffentlichte einige wenige Gedichte
und konnte 1940 nach Schweden fliehen. Dieses Exil wurde "ihr
buchstäblich zur künstlerischen Neugeburt",1
so schreibt es Hilde Domin in ihrem Nachwort zu einer Gedichtauswahl
der Suhrkamp Bibliothek.
Schimmer am Kamin. Schwante, 2018. |
Denn so stark auch ihr
jüdisches Erbe, vor allem die chassidischen Traditionen und die
Sprache der Bibel, Nelly Sachs prägten, so sehr sind es doch der
Schrecken über den entsetzlichen Tod so vieler Juden durch das
Naziregime und die Erfahrung des Heimatverlustes, die ihre Lyrik
entscheidend prägen.
Während sie weiterhin in
Schweden wohnte, wurde sie seit Ende der 1950er im deutschen
Sprachraum bekannt und berühmt. In den 1960er Jahren folgten
schließlich Ehrung auf Ehrung, bis hin zum Nobelpreis 1966.
Mich faszinieren vor allem
die intuitiv eingängigen und zugleich rational nicht greifbaren
Sprachbilder. Aber auch die Themen, die in allem durch die Shoah
bedingten Entsetzen nahezu durchgängig religiös anschlussfähig
sind, sind fesselnd. Soweit man von Themen sprechen kann.
Zu ihrem Todestag, heute
vor 50 Jahren in Stockholm, passt wohl folgendes Gedicht2:
Sind Gräber Atempause
für die Sehnsucht?
Leises Schaukeln an
Sternenringen?
Agonie im
Nachtschatten,
bevor die Trompeten
blasen
zur Auffahrt für alle,
zum Leben verwesenden
Samenkörner?
Leise, leise,
während die Würmer
die Gestirne der
Augäpfel verzehren?
Eine Kaskade an Fragen
kommt uns entgegen, aufgeladen mit Hoffnung.
Ich höre darin das Ringen
mit dem Tod und die von Zweifel begleiteten Hoffnungen.
Es scheint fast, als sei
der Tod für Nelly Sachs nur eine kleine Zwischenzeit, ein
Möglichkeitsraum, in dem der Körper vergeht, während der Geist
sich anschickt, aufzubrechen
Aber, und darauf weist
Hilde Domin in ihrem Nachwort hin, eine Interpretation ist "nur
eine Vorübung, eine unter den möglichen: damit der Lesende das
Gedicht zu dem seinen machen kann, worauf es alleine ankommt. Ein
Gedicht geht nicht auf wie eine Rechenaufgabe, immer ist mehr in den
Worten, als der Schreibende weiß, und auch als der Lesende auspacken
kann."3
Mir sagt es hoffnungsfroh:
Das Grab ist nur ein Zwischenschritt. Alles bewegt sich Richtung
Leben.
Hoffentlich können also
noch viele Leserinnen und Leser sich der großen Texte dieser Frau
annehmen und in ihnen finden, was sie selbst bewegt: die Sehnsucht
und die Hoffnung und die Traurigkeit und ...
Licht an! Japanisches Palais, Dresden, 2017. |
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