Für heutige Christen ist
klar, dass unser ganzes religiöses Leben ebenso eine Zwischenzeit
ist: Jesus können wir nicht mehr sehen, wir leben alle nach seiner
Himmelfahrt. Vom Heiligen Geist spüren wir mal mehr und mal weniger.
Das Weltende ist noch fern. Dieser Zustand der Zwischenzeit kennt
wenig Klarheit und fördert die Unsicherheit, wo Gott denn in unserem
Leben zu finden sei.
In der Bibel und der
christlichen Tradition kommen verschiedene Vorstellungen zum Tragen,
wo Gott zu finden ist. Hier können wir auch einiges lernen für
unsere persönliche Beziehung zu Gott.
Der eine Mensch. Kreuzweg in St. Rita, Tegel, Berlin, 2018. |
1. Gott in dem einen
Menschen Jesus
Das klarste Moment der
Gegenwart Gottes unter den Menschen ist für Christen natürlich sein
Menschwerden in Jesus Christus. In ihm und seinem Tun leuchten die
Barmherzigkeit, Liebe und Großmut Gottes auf. Wir erkennen Gott, wie
er als Mensch sein will. Dabei tritt nicht die apokalyptische
Herrlichkeit in den Vordergrund (wie sie viele Menschen im Anschluss
an die Bilder der Johannes-Offenbarung beschäftigt), sondern das
Rufen in die persönliche Nachfolge und der freiwillige Gang ins
Leiden aus Liebe.
Jesu Gegner bezweifelten
und bezweifeln bis heute gerade das: In einem einzelnen Menschen soll
der ganze Gott da sein? Liebe soll seine hervorstechendste
Eigenschaft sein? In einem Leidenden soll er sich zu erkennen geben?
Uns Christen ist
aufgetragen, diese Weise der göttlichen Gegenwart immer tiefer zu
verstehen und zu leben.
Besonders die synoptischen Evangelien betonen dies.
Das Fest der Himmelfahrt
kann für diese Weise der göttlichen Gegenwart einen aufklärerischen
Charakter bekommen. Der Theologe Michael Seewald schreibt: „Der
Selbstentzug Jesu durch die Himmelfahrt hat für Augustinus (...)
einen gnoseologischen Mehrwert. Er führt die Kirche vom
fleischlichen Sehen zum geistigen Schauen – und ist damit ein
Fortschritt an Erkenntnis...“1
Wenn wir also nicht mehr
den Menschen Jesus ("fleischlich") sehen können, müssen
wir uns an etwas anderes halten. Wir können dafür zurückschauen in
die Evangelien und uns durch diese schriftlichen Zeugnisse von Gottes
Wort inspirieren lassen, schon das ist sicher eine Form des
"geistigen Schauens". Oder aber wir nehmen ernst, was die
Bibel außerdem noch vorschlägt.
2. Gott im Heiligen
Geist
An mehreren Stellen
verspricht Jesus seinen Jüngern eine andere Form der Gegenwart
Gottes, der zugleich ein Beistand, ein Lehrer, eine innere Kraft ist.
Besonders im Johannesevangelium ist oft die Rede von diesem Heiligen Geist Gottes.
Im Hintergrund steht eine
Logik von Abstieg und Aufstieg. In der Geburt Jesu als Mensch wird
der ewige Logos Fleisch, Kreuzigung und Auferstehung werden als
"Erhöhung" verstanden. Was wir als Christi Himmelfahrt
feiern, verleiht diesem Gedanken noch einmal Ausdruck in einem
eigenen Fest. Doch es bleibt nicht bei der Erhöhung. Mit der Sendung
des Heiligen Geistes will Gott weiter unter den Menschen präsent
sein.
In allen Menschen. Kloster Alexanderdorf, 2020. |
In der Apostelgeschichte
bezieht sich der predigende Petrus auf ein Gotteswort beim Propheten
Joel, das folgendermaßen zitiert wird: "Ich werde von meinem
Geist ausgießen über alles Fleisch." (Apg 2,17)
Das heißt: Gottes ist
nicht mehr nur in diesem einen Menschen Jesus gegenwärtig –
sondern durch den Heiligen Geist in jedem Menschen, der bereit ist,
Ihn aufzunehmen. Das ist das große Thema des Pfingstfestes, das wir
in der nächsten Woche feiern.
3. Gott in allem und
alles in ihm
Neben diesen beiden
Weisen, wie Gott in der Welt anwesend sein will, gibt es jedoch noch
eine viel grundlegendere Weise von Gottes Gegenwart: Gott ist immer und überall gegenwärtig.
Besonders der Epheser- und
der Kolosserbrief, aber auch die frühen Paulusbriefe berichten
davon.
Und auch spirituelle
Menschen in allen anderen Religionen beschreiben diese Erfahrung in
ähnlicher Weise. Sehr eindrücklich macht dies der Franziskaner
Richard Rohr in seinem neuen Buch "Alles trägt den einen
Namen".2
Darin betont er zu Recht,
dass wir oft dazu tendieren, zu eng zu schauen und Gottes Wirken auf
die Geschichte Gottes mit dem Volk Israel und mit Jesus zu
beschränken. So als ob Gott alle anderen Völker egal wären und als
ob nur bestimmte Auserwählte eine Chance bei ihm hätten.3
Dagegen zeigt er, dass Gott immer schon alle Menschen in allen Zeiten
im Blick hat.
In Bezug auf Jesus
Christus ist Rohr wichtig, dass wir "Christus" nicht als
eine Art Nachname für Jesus verstehen. Sondern dass "Christus"
sozusagen die kosmische Seite der Zuwendung Gottes zur Welt ist.
Der Kolosserbrief drückt
das so aus: In Christus "wurde alles erschaffen im Himmel und
auf Erden, das Sichtbare und das Unsichtbare, Throne und
Herrschaften, Mächte und Gewalten; alles ist durch ihn und auf ihn
hin erschaffen. Er ist vor aller Schöpfung und in ihm hat alles
Bestand." (Kol 1,16f)
Schon in der Schöpfung
der Welt wird Gott durch Christus das Licht, das in allem Sein
aufleuchtet. "Alles, was sichtbar ist, ist Selbstmitteilung
Gottes. Ohne Ausnahme."4
Denn alles, was Gott
geschaffen hat, hat er, so umschreibt es das Johannesevangelium, in
seinem Wort geschaffen (Joh 1,3). Im Griechischen heißt das, es war
Gottes "Logos". Alles, was ist, ist im Logos
geschaffen worden, also ist der Logos eine Art "Ur-Muster der
Wirklichkeit"5.
Weil dieses Muster (wir könnten auch sagen dieses "Wasserzeichen")
in ihr ist, können wir es auch in der gesamten Wirklichkeit
entdecken. Oder noch einmal anders: Es bedeutet, dass "die
göttliche 'DNA' des Schöpfers in allen Geschöpfen angelegt ist.
Was wir die 'Seele' jeder Kreatur nennen, kann man einfach als das
Selbst-Erkennen Gottes in diesem spezifischen Wesen sehen."6
So besteht schon dadurch,
dass wir existieren, eine enge Verbindung zu Gott.
Aber was ist dann mit
Jesus? Der Mensch Jesus ist höchster Ausdruck der
Gottesverbundenheit. Rohr schreibt: "Christus ist Gott, und
Jesus ist die historische Gestaltwerdung des Christus in der Zeit."7
In allem. Grünheide, 2017. |
Das klingt vielleicht
alles ein bisschen kompliziert und unklar.
Wichtig bleibt bei allem:
Gott ist immer schon da. Egal, wo wir sind; egal, was wir tun, wir
können ihn entdecken.
Rohr ist außerdem
wichtig: Wir können unseren Weg zu Gott über den Zimmermann und
Wanderprediger aus Israel nehmen, es ist ein guter Weg, den Gott uns
gebahnt hat. Aber anwesend ist Gott über Jesus hinaus auch in der
ganzen Welt.
Wenn wir diese Sichtweise
in unser Herz lassen, weitet sich unser Blick – über unsere je
persönlichen Anliegen und über unsere gesamtmenschlichen Probleme
hinaus.
Der Apostel Paulus hat, so
schreibt Rohr, das religiöse Leben in ein Kürzel gefasst: 164-mal
schreibt er sein Codewort "en christo" an seine
Adressaten.8
In Christus sein heißt sein Ziel. Dafür müssen wir in erster
realisieren und annehmen, dass wir sind.
Jesus mag in den Himmel
aufgestiegen sein.
Aber auf Erden sind wir
gerufen, immer mehr zu erkennen und zu realisieren, dass wir sind. So
wie die Engel in der Lesung die Jünger zurechtweisen: „Ihr
Männer von Galiläa, was steht ihr da und schaut zum Himmel empor?“
(Apg 1,11)
Es ist, als ob sie auch zu
uns sagen: Seid hier. Seid achtsam. In der Gegenwart, hier in dieser
Welt, in unserem jeweiligen Leib.
Dann bekommen wir
vielleicht eine Ahnung, dass wir immer schon "in Christus"
sind.
1 M.
Seewald, Dogma im Wandel. Wie Glaubenslehren sich entwicklen.
Freiburg i.Br. 2018, 120f.
2 R.
Rohr, Alles trägt den einen Namen. Die Wiederentdeckung des
universalen Christus. Gütersloh 2019.
3 Vgl.
ebd., 66f.
4 Ebd.,
22.
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