Samstag, 23. Mai 2020

Immer und überall. Christi Himmelfahrt und die Weisen der göttlichen Präsenz

Wir feiern an Christi Himmelfahrt ein Fest der Zwischenzeit – zwischen Ostern und Pfingsten, zwischen Frühling und Sommer, in diesem Jahr außerdem zwischen Corona-Shutdown und dem noch unklaren Danach.
Für heutige Christen ist klar, dass unser ganzes religiöses Leben ebenso eine Zwischenzeit ist: Jesus können wir nicht mehr sehen, wir leben alle nach seiner Himmelfahrt. Vom Heiligen Geist spüren wir mal mehr und mal weniger. Das Weltende ist noch fern. Dieser Zustand der Zwischenzeit kennt wenig Klarheit und fördert die Unsicherheit, wo Gott denn in unserem Leben zu finden sei.

In der Bibel und der christlichen Tradition kommen verschiedene Vorstellungen zum Tragen, wo Gott zu finden ist. Hier können wir auch einiges lernen für unsere persönliche Beziehung zu Gott.

Der eine Mensch.
Kreuzweg in St. Rita, Tegel, Berlin, 2018.
1. Gott in dem einen Menschen Jesus
Das klarste Moment der Gegenwart Gottes unter den Menschen ist für Christen natürlich sein Menschwerden in Jesus Christus. In ihm und seinem Tun leuchten die Barmherzigkeit, Liebe und Großmut Gottes auf. Wir erkennen Gott, wie er als Mensch sein will. Dabei tritt nicht die apokalyptische Herrlichkeit in den Vordergrund (wie sie viele Menschen im Anschluss an die Bilder der Johannes-Offenbarung beschäftigt), sondern das Rufen in die persönliche Nachfolge und der freiwillige Gang ins Leiden aus Liebe.
Jesu Gegner bezweifelten und bezweifeln bis heute gerade das: In einem einzelnen Menschen soll der ganze Gott da sein? Liebe soll seine hervorstechendste Eigenschaft sein? In einem Leidenden soll er sich zu erkennen geben?
Uns Christen ist aufgetragen, diese Weise der göttlichen Gegenwart immer tiefer zu verstehen und zu leben.
Besonders die synoptischen Evangelien betonen dies.
Das Fest der Himmelfahrt kann für diese Weise der göttlichen Gegenwart einen aufklärerischen Charakter bekommen. Der Theologe Michael Seewald schreibt: „Der Selbstentzug Jesu durch die Himmelfahrt hat für Augustinus (...) einen gnoseologischen Mehrwert. Er führt die Kirche vom fleischlichen Sehen zum geistigen Schauen – und ist damit ein Fortschritt an Erkenntnis...1
Wenn wir also nicht mehr den Menschen Jesus ("fleischlich") sehen können, müssen wir uns an etwas anderes halten. Wir können dafür zurückschauen in die Evangelien und uns durch diese schriftlichen Zeugnisse von Gottes Wort inspirieren lassen, schon das ist sicher eine Form des "geistigen Schauens". Oder aber wir nehmen ernst, was die Bibel außerdem noch vorschlägt.

2. Gott im Heiligen Geist
An mehreren Stellen verspricht Jesus seinen Jüngern eine andere Form der Gegenwart Gottes, der zugleich ein Beistand, ein Lehrer, eine innere Kraft ist. Besonders im Johannesevangelium ist oft die Rede von diesem Heiligen Geist Gottes.
Im Hintergrund steht eine Logik von Abstieg und Aufstieg. In der Geburt Jesu als Mensch wird der ewige Logos Fleisch, Kreuzigung und Auferstehung werden als "Erhöhung" verstanden. Was wir als Christi Himmelfahrt feiern, verleiht diesem Gedanken noch einmal Ausdruck in einem eigenen Fest. Doch es bleibt nicht bei der Erhöhung. Mit der Sendung des Heiligen Geistes will Gott weiter unter den Menschen präsent sein.
In allen Menschen.
Kloster Alexanderdorf, 2020.
In der Apostelgeschichte bezieht sich der predigende Petrus auf ein Gotteswort beim Propheten Joel, das folgendermaßen zitiert wird: "Ich werde von meinem Geist ausgießen über alles Fleisch." (Apg 2,17)
Das heißt: Gottes ist nicht mehr nur in diesem einen Menschen Jesus gegenwärtig – sondern durch den Heiligen Geist in jedem Menschen, der bereit ist, Ihn aufzunehmen. Das ist das große Thema des Pfingstfestes, das wir in der nächsten Woche feiern.

3. Gott in allem und alles in ihm
Neben diesen beiden Weisen, wie Gott in der Welt anwesend sein will, gibt es jedoch noch eine viel grundlegendere Weise von Gottes Gegenwart: Gott ist immer und überall gegenwärtig. 
Besonders der Epheser- und der Kolosserbrief, aber auch die frühen Paulusbriefe berichten davon.
Und auch spirituelle Menschen in allen anderen Religionen beschreiben diese Erfahrung in ähnlicher Weise. Sehr eindrücklich macht dies der Franziskaner Richard Rohr in seinem neuen Buch "Alles trägt den einen Namen".2
Darin betont er zu Recht, dass wir oft dazu tendieren, zu eng zu schauen und Gottes Wirken auf die Geschichte Gottes mit dem Volk Israel und mit Jesus zu beschränken. So als ob Gott alle anderen Völker egal wären und als ob nur bestimmte Auserwählte eine Chance bei ihm hätten.3 Dagegen zeigt er, dass Gott immer schon alle Menschen in allen Zeiten im Blick hat.
In Bezug auf Jesus Christus ist Rohr wichtig, dass wir "Christus" nicht als eine Art Nachname für Jesus verstehen. Sondern dass "Christus" sozusagen die kosmische Seite der Zuwendung Gottes zur Welt ist.
Der Kolosserbrief drückt das so aus: In Christus "wurde alles erschaffen im Himmel und auf Erden, das Sichtbare und das Unsichtbare, Throne und Herrschaften, Mächte und Gewalten; alles ist durch ihn und auf ihn hin erschaffen. Er ist vor aller Schöpfung und in ihm hat alles Bestand." (Kol 1,16f)
Schon in der Schöpfung der Welt wird Gott durch Christus das Licht, das in allem Sein aufleuchtet. "Alles, was sichtbar ist, ist Selbstmitteilung Gottes. Ohne Ausnahme."4
Denn alles, was Gott geschaffen hat, hat er, so umschreibt es das Johannesevangelium, in seinem Wort geschaffen (Joh 1,3). Im Griechischen heißt das, es war Gottes "Logos". Alles, was ist, ist im Logos geschaffen worden, also ist der Logos eine Art "Ur-Muster der Wirklichkeit"5. Weil dieses Muster (wir könnten auch sagen dieses "Wasserzeichen") in ihr ist, können wir es auch in der gesamten Wirklichkeit entdecken. Oder noch einmal anders: Es bedeutet, dass "die göttliche 'DNA' des Schöpfers in allen Geschöpfen angelegt ist. Was wir die 'Seele' jeder Kreatur nennen, kann man einfach als das Selbst-Erkennen Gottes in diesem spezifischen Wesen sehen."6
So besteht schon dadurch, dass wir existieren, eine enge Verbindung zu Gott.

Aber was ist dann mit Jesus? Der Mensch Jesus ist höchster Ausdruck der Gottesverbundenheit. Rohr schreibt: "Christus ist Gott, und Jesus ist die historische Gestaltwerdung des Christus in der Zeit."7

In allem.
Grünheide, 2017.
Das klingt vielleicht alles ein bisschen kompliziert und unklar.
Wichtig bleibt bei allem: Gott ist immer schon da. Egal, wo wir sind; egal, was wir tun, wir können ihn entdecken.
Rohr ist außerdem wichtig: Wir können unseren Weg zu Gott über den Zimmermann und Wanderprediger aus Israel nehmen, es ist ein guter Weg, den Gott uns gebahnt hat. Aber anwesend ist Gott über Jesus hinaus auch in der ganzen Welt.
Wenn wir diese Sichtweise in unser Herz lassen, weitet sich unser Blick – über unsere je persönlichen Anliegen und über unsere gesamtmenschlichen Probleme hinaus.

Der Apostel Paulus hat, so schreibt Rohr, das religiöse Leben in ein Kürzel gefasst: 164-mal schreibt er sein Codewort "en christo" an seine Adressaten.8 In Christus sein heißt sein Ziel. Dafür müssen wir in erster realisieren und annehmen, dass wir sind.


Jesus mag in den Himmel aufgestiegen sein.
Aber auf Erden sind wir gerufen, immer mehr zu erkennen und zu realisieren, dass wir sind. So wie die Engel in der Lesung die Jünger zurechtweisen: „Ihr Männer von Galiläa, was steht ihr da und schaut zum Himmel empor?“ (Apg 1,11)
Es ist, als ob sie auch zu uns sagen: Seid hier. Seid achtsam. In der Gegenwart, hier in dieser Welt, in unserem jeweiligen Leib.
Dann bekommen wir vielleicht eine Ahnung, dass wir immer schon "in Christus" sind. 



1   M. Seewald, Dogma im Wandel. Wie Glaubenslehren sich entwicklen. Freiburg i.Br. 2018, 120f.

2   R. Rohr, Alles trägt den einen Namen. Die Wiederentdeckung des universalen Christus. Gütersloh 2019.

3   Vgl. ebd., 66f.

4   Ebd., 22.

5   Ebd., 33. 
6   Ebd., 40. 
7   Ebd., 30.
8
   Vgl. ebd., 58.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen