Es ist eine Aussage, die mir regelmäßig
aufstößt – Jesu Verbot, zu den Nichtjuden zu gehen. "Geht
nicht den Weg zu den Heiden und betretet keine Stadt der Samaríter"
(Mt 10,5), sagt er im Evangelium
des Sonntags (Mt 9,36-10,8) zu seinen Aposteln. Nur den "verlorenen
Schafen des Hauses Israel" (v6) sollen sie die Frohe
Botschaft von Gottes heilender Nähe verkünden.
Das schockiert mich und passt nicht
recht zu meiner sonstigen Auslegung des Christentums.
Bedeutet das den Ausschluss aller
anderen Gruppen von der Gottesherrschaft? Will Gott nicht bei ihnen
sein? Kurz: Gibt es Menschen, die bei Gott nicht gewünscht sind?
Tief im Berliner Osten. Frankfurter Tor, 2014. |
Darüber hinaus aber besteht ein
problematisches Verhältnis zu den weiteren, universalistischen
Aussagen des Neuen Testaments, wie beispielsweise am Ende des
gleichen Evangeliums (Mt 28,19f), wo die Jünger vom Auferstandenen
zu allen Völkern geschickt werden (vgl. auch 1Tim 2,4).
Nur dadurch, dass die Jünger diesen
letzteren Auftrag in die Tat umsetzten, blieb der Sonderweg um Jesus
keine kleine jüdische Sekte unter vielen anderen, sondern wurde eine
große weltumspannende Religion.
Entweder also gab es zwei verschiedene
Phasen von Jesu (und der Jünger) Wirken oder die Zielgruppe vor
Ostern unterscheidet sich eminent von der Zielgruppe nach Ostern.
Außerdem könnte man entweder eine spätere "Ausweitung"
des Missionsbefehls oder aber eine "Ablösung" der
einen Gruppe (Israel) durch die andere Gruppe (die Völker)
annehmen.1
Doch das ist für mich hier nicht
entscheidend – die Praxis der frühen Christen um Paulus spricht
ihre eigene Sprache der Fakten: das Christentum ist ein Angebot für
alle geworden.
Was aber kann uns heute der exklusive
Befehl Jesu sagen, zu bestimmten Gruppen zu gehen und zu anderen
gerade nicht? Bei allen Theorien zur möglichen inneren Entwicklung
Jesu, bei allen Kontextualisierungen und bei aller historischen
Einordnung lässt sich ja immerhin fragen, ob sich daraus auch für
unsere Zeit etwas gewinnen lässt.
Der Zugang, der mir am
nachvollziehbarsten erscheint, ist ein pragmatischer.
Bei den Nichtjuden hatte die Botschaft
eines jüdischen Messias für das jüdische Volk naturgemäß weniger
Chancen, ein positives Echo zu finden. Schon der Eingottglaube an
sich war für das polytheistische Umfeld eine Herausforderung –
bisweilen eine positive, bisweilen eine, die Abwehr produzierte.
Für Jesus auf der anderen Seite war
seine Frohbotschaft von der herandrängenden Gottesherrschaft so
dringend, dass er sie rasch und mit bestmöglicher Wirkung unter die
Leute bringen wollte. Ehe dann aber erst der ganze Hintergrund der
Thora für Nichtjuden dargelegt und einladend verständlich gemacht
worden wäre, hätte man bei den anderen Völkern und Samaritern viel
Energie aufwenden müssen – diese außen vor zu lassen war dann
allein aus Effizienzgründen sinnvoll.
Abgesperrter Baum. Blossin, 2020. |
Tatsächlich stelle ich mir
gelegentlich die Frage, ob die christliche Botschaft in den urbanen
Milieus überhaupt eine Chance haben kann. Wo die persönliche
Leidenschaft in erster Linie darauf geht, sich selbst zu entdecken,
die eigenen Bedürfnisse zu befriedigen oder das materielle Auskommen
zu sichern, bleibt für ein transzendentes Welterklärungsmodell
wenig Raum. Doch auch weniger hedonistische Lebensperspektiven sind
schwer erreichbar – religiöse Riten, Schriften und Gemeinschaften
scheinen für die Welt- und Lebensdeutung zunehmend einfach
unerheblich. Dieser Relevanzverlust und eine Vielzahl an alternativen
Sinnangeboten machen es der christlichen Botschaft schwer, sich Gehör
und Verständnis zu verschaffen.
Wenn ich Jesu Aufruf also dahingehend
interpretiere, dass ich dorthin gesandt bin, wo es sich auch lohnt,
wo es überhaupt realistisch erscheint, den barmherzigen Gott zu
verkünden – dann muss ich mich natürlich fragen, welche Chance
ich an bestimmten Orten in unserer Gesellschaft überhaupt habe.
Dann steht auch nicht mehr die Frage im
Vordergrund, welche Art von "Mission" die Welt heute
braucht, sondern eher, welche Zielgruppe ich mit meiner Botschaft
überhaupt noch erreichen kann. Möglicherweise gibt es auch in
unserer Gesellschaft Menschen ("Heiden"), die ich besser
meide, weil ich meine Kraft dort nur verschwende. Habe ich dort eine Verantwortung zu verkündigen?
Aber natürlich ist das nicht das
letzte Wort – zum einen verheißt Jesus seine Gegenwart selbst als
Unterstützung "bis zum Ende der Welt" (Mt 28,20). Zum
anderen gibt es möglicherweise "Gesandte" mit anderem
Profil und anderen Talenten, die wiederum genau dorthin gesandt sind,
wo ich nicht weiterkomme. Und schließlich bin ich überzeugt, dass
auch eine Gesellschaft, die sich weitgehend selbst genügt, von den
überzeugend gelebten Werten des Evangeliums (um)geprägt werden
kann.
Ich glaube also, dass alle Menschen bei
Gott gewünscht sind – aber manche für uns menschliche Gesandte
Gottes nur sehr schwer zu erreichen sind.
1 Vgl.
U. Luz, Das Evangelium nach Matthäus (Mt 8-17) I/2. Zürich /
Braunschweig, Neukirchen-Vluyn 1990, 91ff.
Auch bei den Samaritanern ist die Torah (5 Bücher Mose) heilige Schrift.
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