Donnerstag, 4. Juni 2020

Das Kreuz auf dem Schloss mit der Schrift. Eine Berliner Farce

Wäre es nicht so bitter, so müsste man es als wirre Komödie ansehen.
Da wird mit ungeheurem Aufwand und nach vielerlei Diskussionen in der bundesdeutschen Politik ein neues Schloss nach altem Maß ins Herz Berlins gesetzt. Die Wierderherstellung des zerstörten Baus von Andreas Schlüter aus der Zeit der preußischen Könige soll mit seinen Ausstellungen und Aktionen fortan für Berlins Aufgeschlossenheit und Multikulturalität stehen.
Schon hier verbergen sich eine Reihe ungelöster Fragen und Probleme zwischen dem architektonisch manifestierten Anspruch der deutschen Monarchen und dem heutigen Wunsch, sich als Wegbereiter von Weltoffenheit und Toleranz zu präsentieren.

Als noch kein Schloss war...
Baustelle, Berlin-Mitte, 2013.
Und dann das Kreuz! 
Von König Friedrich Wilhelm IV. nachträglich gewünscht und durch Friedrich August Stüler realisiert, war das Kreuz seit Bekanntwerden seiner geplanten Rekonstruktion im Jahr 2017 eine Last für das neue Humboldt-Forum. Während die Mittel für den Aufbau durch den Bundestag auf 590 Millionen Euro beschränkt wurden, musste die Fassadengestaltung aus Spenden finanziert werden. Auch die Kuppel wurde erst durch eine anonyme Spende realisiert. Gleiches gilt für das Kreuz, das nun als private Zugabe über dem staatlich finanzierten Bau thront.
Allein die Zusammensetzung der Finanzierung ist spannungsreich – einerseits wird kein staatliches Geld für das christliche Symbol aufgewendet, andererseits aber gestattet die Stiftung, die als Eigentümerin und Bauherrin fungiert, die private Ermöglichung des weithin sichtbaren Abschlusses mit dem Kreuz.

Aber auch unabhängig vom schnöden Mammon – Christen müssten doch vorsichtig sein, wenn um irgendeiner historischen Genauigkeit willen das Ursymbol des christlichen Bekenntnisses bloß noch als kulturprägende Kraft vorkommt. Verwischt man nicht das theologische Spezifikum des Kreuzes, wenn man es auf dem neuen Schloss verteidigt wie Monika Grütters es 2017 auf dem Höhepunkt der Debatte tat? "Unsere Kultur der Offenheit, Freiheit und Barmherzigkeit hat ihre Wurzeln in unserem christlichen Menschenbild" sagte sie damals.
So richtig das ist, so wenig kann die Freiheit in einem Land, das auf der Trennung von Staat und Religion besteht, als ursprünglich irgendwie christlich vereinnahmt werden. Dafür sind die Erinnerungen an kirchliche Engstirnigkeit und dogmatische Reaktionäre zu deutlich, wenn wir die Frontverläufe der Geschichte im Kampf um Aufklärung, Demokratie und Menschenrechte ansehen.
Und: Zu wichtig ist das Kreuz für Christen in seinem Bezug auf Jesus Christus, als dass es überall als beliebiges Symbol für gute Werte verkümmern sollte.

Inzwischen ist auch der neu geschaffene Spruch unter der Kuppel wieder sichtbar geworden, der vom damaligen Preußenkönig selbst aus zwei biblischen Zitaten zusammengestellt worden war: "Es ist in keinem andern Heil, ist auch kein anderer Name den Menschen gegeben, denn in dem Namen Jesu, zur Ehre Gottes des Vaters. Dass in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind." (vgl. Apg 4,12 und Phil 2,10)

Für die säkular bestimmte Hauptstadt ist das ein Affront: Erst der wiedererstandene Barock, darin das Museum mit unklarer Ausrichtung, dann auch noch das christliche Symbol über allem und schlussendlich die exklusive Auslegung des Christentums durch einen Monarchen des 19. Jahrhunderts. Kunst und Politik und Religion werden auf diese Weise zu einer unästhetischen Gemengelage.

Stellas Wand unter Wolken.
Baustelle, Berlin-Mitte, 2015.
Als Theologe bin ich in der Lage, den Spruch zu deuten und als gläubiger Christ ist Jesus Christus für mich der Bezugspunkt meines Lebens.
Aber wie kann eine solche Deutung all jenen zugemutet werden, die keine Christen sind? Ich erwarte in Deutschland, dass der Staat und seine angegliederten Institutionen mich nicht religiös vereinnahmen oder bevormunden. Und dieser Anschein muss bei einem solchen Bauwerk ja geradezu entstehen.
(Nebenbei: Das spricht nicht gegen die Kooperation von Staat und Kirche an bestimmten Punkten, auch nicht gegen das prinzipielle staatliche Wohlwollen gegenüber den Aufgaben, die die Kirchen und andere Religionsgemeinschaften übernehmen.)

Eine solche Unsensibilität ist mir unverständlich. Auch der Berliner Erzbischof hat sich da nach meiner Meinung sehr missverständlich geäußert. Er begrüße die Inschrift, unter anderem mit der Begründung: "Wenn Christen sich vor dem aufgerichteten Kreuz verneigen, verneigen sie sich vor Gott. Es gehört zum Kern unseres Glaubens, dass sich Jesus Christus am Kreuz als der alle Menschen liebende Gott zeigt. Die beiden Bibelverse auf der Kuppel des Stadtschlosses betonen, dass die Menschen sich nur vor Gott verbeugen und keiner irdischen Macht diese Ehre erweisen sollen."
Die bei Frau Grütters vermisste theologische Bedeutungsebene macht Erzbischof Koch mit seinem Statement stark. Und für eine Kirche oder ein anderes religiöses Bauwerk wäre dies auch angemessen. Aber lässt sich die monarchische Ursprungsintention dieses Schriftzugs so einfach ausklammern? Lässt sich vermeiden, dass Menschen sich dann gegängelt fühlen? Und was sagt es über die unter diesen Worten präsentierte Kunst aus aller Welt?
Mit solchen Schriftzügen macht man das Christentum in unserem Land schwächer. Und mit ihrer Verteidigung leistet man der christlichen Botschaft einen Bärendienst. Deshalb täten wir Christen gut daran, uns vor solchen kulturell verbrämten Absolutheitsansprüchen zu hüten!

Der Glaubwürdigkeit der Christen und ihrer Kirchen würde es guttun, wenn sie sich in ökumenischer Gemeinsamkeit von der Inschrift distanzieren (der neue evangelische Landesbischof geht hier zum Glück schon voran). Angesichts der neu entfachten Debatte um die Ablösung der Staatsleistungen an die Kirchen wäre dies ein weiterer hilfreicher Schritt, um die innere und äußere Entflechtung von Staat und Kirche (bei bleibender Zusammenarbeit) auch von Seiten der Kirchen voranzubringen. 
 
Aus der Berliner Komödie, die in eine peinliche Tragödie umschlagen könnte, könnte auf diese Weise ein dramatisches Ringen werden, bei dem sich Klarheit und christliches Zeugnis mit einer Haltung der Demut zeigen.

Blick von oben, noch unbekreuzt.
Fernsehturm, Berlin-Mitte, 2019.

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