Es ist nicht wichtig, wie dieses Brot
schmeckt. Es ist nicht wichtig, wie es aussieht. Es ist noch nicht
einmal besonders wichtig, aus welchen Körnern es zubereitet wurde.
Wichtig ist in erster Linie das, was es
zuinnerst ausmacht, also sein Wesen, seine tiefste Bedeutung. Noch
konkreter schreibt Eckhard Nordhofen: "Sein Wesen ist seine
Geschichte. Die ist unsichtbar, man kann sie aber erzählen."1
1.
In seinem viel diskutierten Buch
"Corpora. Die anarchische Kraft des Monotheismus",
dem ich hier
auch schon einen begeisterten Beitrag gewidmet habe, beschäftigt
sich Nordhofen mit den Medien, durch die Gott mit den Menschen in
Kontakt tritt. Waren für die Israeliten das Offenbaren des
göttlichen Namens und die Heilige Schrift die entscheidenden
Kontaktstellen Gottes mit der Welt, so steht für die Christen mit
dem Johannesprolog fest: "Gott, das ewige Wort, wird nicht
Schrift, sondern Fleisch."2
(Auch Jesus selbst hat in seiner Auseinandersetzung mit besonders
schrifttreuen Juden regelmäßig die Schrift relativiert und das
menschliche Herz
ins Zentrum gestellt.)
Das neue Gottesmedium ist ein Mensch.
Doch Jesus ist nicht nur als Mensch geboren, sondern auch als Mensch
gestorben – wie aber kann der in Jesus menschgewordene Gott dann
seine Gegenwart in der Welt retten?
Die liturgische und die literarische
Tradition sind diesbezüglich recht eindeutig: "Jesus, der
für die Evangelisten in Bethlehem, dem 'Haus des Brotes' geboren
war, identifizierte sich im großen Gedächtnismahl am Vorabend
seines Todes mit dem großen Sinnträger seines Volkes, dem
ungesäuerten Brot des Exodus, der Befreiung aus dem Sklavenhaus."3
Auf diese Weise verknüpft Jesus das
Wesen des Brotes mit der Geschichte des Volkes Israel und mit seinem
eigenen Schicksal. Das Brot wird zum Medium des menschgewordenen
Gottes. Das ist die Geschichte dieses Brotes, um die es geht.
Durch Jesu Identifikationshandeln wird
das eucharistische Brot die Materie seiner Hingabe.
2.
Doch Nordhofen weist noch auf eine viel
interessantere Ebene hin.
Er verbindet die eucharistische
Brotfrage mit der Brotbitte des Vaterunsers. Beim Blick in den Urtext
beschäftigt ihn insbesondere das ungewöhnliche, weil sonst
nirgendwo in der antiken griechischsprachigen Welt gebräuchliche
Adjektiv "epioúsion", das näher beschreibt, was
für ein Brot die Jünger mit ihrem Gebet erbitten (vgl. Mt 6,11; Lk
11,3).
Mit "täglich" kann
dieses (wie gesagt sonst unbekannte) Wort eigentlich nicht übersetzt
werden, aber dazu gleich noch ausführlicher.
Nordhofen referiert ausführlich die
lateinische Übersetzung des Hieronymus und seinen Kommentar. Auch
der Theologe aus der alten Kirche wählt nämlich einen Neologismus
und übersetzt "supersubstantialem".4
Das ergibt sich aus den beiden Teilen,
aus denen das griechische Wort zusammengesetzt ist; beides kann im
Deutschen mit "überwesentlich" wiedergegeben
werden. Was das bedeutet, erläutert Nordhofen zum einen an der
Brotrede Jesu bei Johannes, aus der auch das Evangelium des heutigen
Festes stammt: Im Gegensatz zum Wüstenbrot, das die Israeliten in
Form des Manna bekamen, um ihren täglichen Hunger zu stillen, sieht
Jesus sich selbst als "das Brot, das vom Himmel herabgekommen
ist" (Joh 6,41; vgl. v49f). Er ist also nicht das Brot, das
den Bauch satt macht, sondern ein (wie bei Jesus so oft) im
übertragenen Sinn verstandenes, himmlisches Brot.
Warum nun "epioúsion"
trotzdem mit "tägliches" übersetzt worden ist,
erklärt der Autor nach Marc Philonenko mit der eschatologischen
Ausdeutung der Brotbitte durch Bezugnahme auf das Manna-Wunder in der
Wüste (vgl. Ex
16), das sich täglich ereignete, und dessen endzeitliche
Auslegung. Das Brot wird so (unter Herbeiziehung von Off
2,17) das "Brot für morgen", das die Menschen
als Gottes Gabe erhalten. "Falsch wird diese Übersetzung
erst, wenn dieser Rezeptionsrahmen wegfällt und der Resonanzraum mit
seinen eschatologischen, man könnte auch freier formulieren,
'überwesentlichen' Manna-Bezügen nicht mehr existiert."5
Auch der Auftrag Jesu, dies zu seinem
Gedächtnis zu tun, weist schließlich in die Zukunft.
Auf diese Weise verbinden sich zwei die
beiden Deutungen: „Was überwesentlich ist, ist auch und gerade
das, was wir morgen und in Zukunft brauchen.“6
Das Vaterunser bietet damit einen
anderen Weg, der aber in die gleiche Richtung führt wie das
eucharistische Brot. Zur dort versprochenen Gottesnähe gehört hier
die Frage nach dem Gotteswillen.
Denn zur Probe aufs Exempel passt diese
Deutung auch in den Kontext des Vaterunsers. Nordhofen konstatiert,
dass die Brotbitte eine Art Antwort auf die vorhergehende Bitte "Dein
Wille geschehe" (Mt 6,10) darstellt.
Es ergibt einen "anschlussfähigen
Sinn", wenn es eben nicht ausreicht, in eine heilige Schrift
zu schauen, um den Willen Gottes zu erfahren und geschehen zu lassen,
sondern stattdessen wie oben beschrieben interpretiert wird: "Jeden
Tag himmlisches Brot essen, jeden Tag maximale Gottesnähe
herstellen, das ist die Antwort Jesu auf die Frage aller Fragen, die
Frage nach dem Willen Gottes... Der Wille Gottes muss inkorporiert
werden – wie eine Speise, wie Brot.
Und schlagartig wird klar, dass wir
hier vor der großen Medienalternative stehen, die Jesus, der bei der
Schriftkritik nicht stehen bleibt, nun anbietet: Wer jeden Tag das
überwesentliche, himmlische Brot für morgen empfängt und sich
einverleibt, stellt jeden Tag neu die Frage nach dem Willen Gottes
und er muss sie aus der Gottesnähe, die das Brot herstellt, jeden
Tag neu beantworten."7
Dass wir Gott diese Frage nach seinem
Willen für uns täglich stellen und für Gott durchlässige
Brot-Menschen werden können, das wünsche ich uns allen an diesem
Fest.
1 E.
Nordhofen, Corpora. Die anarchische Kraft des Monotheismus. 2.,
durchgesehene und ergänzte Auflage, Freiburg i.Br. 2018, 245.
2 E. Nordhofen, Gott ist anders. Plädoyer für den Zölibat und seine Alternativen. In: Herder Korrespondenz 2/2020, 27-39, hier: 37.
3 Ebd.
4 Vgl. E. Nordhofen, Corpora, a.a.O., 244f.
5 Ebd., 249.
2 E. Nordhofen, Gott ist anders. Plädoyer für den Zölibat und seine Alternativen. In: Herder Korrespondenz 2/2020, 27-39, hier: 37.
3 Ebd.
4 Vgl. E. Nordhofen, Corpora, a.a.O., 244f.
5 Ebd., 249.
6 Ebd.,
251.
7 Ebs.,
253.
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