Dienstag, 20. August 2019

Das Medium der Differenz: Monotheismus als Medienrevolution in "Corpora" von Eckhard Nordhofen.

Mit seinem Buch "Corpora. Die anarchische Kraft des Monotheismus" ist Eckhard Nordhofen ein großer Wurf gelungen.
Die Herausbildung der monotheistischen Religion in Israel führt er zurück auf eine "Medienrevolution": anstatt Götterbilder herzustellen und anzubeten, bezieht sich das kleine Volk Israel auf eine Heilige Schrift.
Den Grund dafür sieht Nordhofen in einer neuartigen Gottesvorstellung.

Weiß vor Grau.
Peetzsee, Grünheide, 2019.
Besonders deutlich wird dieser Gedanke an Nordhofens Deutung der Geschichte vom Goldenen Kalb im Buch Exodus, wo der Autor exemplarisch zusammenfasst, um was es ihm geht und die aus diesem Grund ausführlich zitiert sei.

"Der Sieg der Schrift über das Bild, den das Bilderverbot besiegelt, ist die Konsequenz einer hochdramatischen Erzählung, man könnte sie auch als erzähltes Drama bezeichnen: Das Konkurrenzdrama vom Sinai. Es kann als Aitiologie, d.h. als Vorbereitung und Begründung des Götterbilderverbots gelten. Erster Akt: Mose verweilt 40 Tage auf dem Berg. Dort spricht Gott zu ihm und übergibt ihm schließlich die Bundesurkunde, steinerne Tafeln, auf die der Finger Gottes geschrieben hatte. Das Volk vermisst Mose und wird ungeduldig. ... Die nun folgende Passage (32,2-4) kann als Parallele zu den detailreichen Schilderungen, mit denen (Deutero)Jesaja die Herstellung der Götterbilder beschreibt. Wieder werden die einzelnen Arbeitsschritte im Detail beschrieben, um zu zeigen, dass das Götzenbild ein selbstgemachtes Menschenwerk ist. ...
JHWH ist nicht entgangen, was da geschehen ist. Zu Mose spricht er: 'Jetzt lass mich, damit mein Zorn gegen sie entbrennt und sie verzehrt. Dich aber will ich zu einem großen Volk machen.' (Ex 32,10) Der erschrockene Mose versucht Gott zu besänftigen, und es gelingt ihm fürs erste. ...
Wenn wir uns vergegenwärtigen, dass dieser Text immer laut vorgelesen wurde, dürfen wir uns das Wechselbad der Gefühle vorstellen, dem der fromme Israelit, unser impliziter Rezipient, ausgesetzt war. Haarscharf ist gerade das eigene Volk – sein Volk, seine Vorfahren, an der völligen Vernichtung vorbeigeschrammt. In den Augen JHWHs hatten sie es ja verdient. Glück gehabt! Es hätte auch anders kommen können. Und dann hört er den folgenden Vers mit seinen feierlichen Wiederholungen: 'Mose kehrte um und stieg den Berg hinab, die zwei Tafeln der Bundesurkunde in der Hand, die Tafeln, die auf beiden Seiten beschrieben waren. Auf der einen wie auf der anderen Seite waren sie beschrieben. Die Tafeln hatte Gott selbst gemacht und die Schrift, die auf den Tafeln eingegraben war, war Gottes Schrift.' (Ex 32,15f)
... Kann es für unseren impliziten Leser etwas Kostbareres geben als diese Tafeln? Gott selbst, die große Alternative zu den selbstgemachten Göttern, bietet sein ureigenes Medium, seine eigene Schrift gegen das Götzenbild auf.
Die Herstellungsprozesse der beiden konkurrierenden Medien laufen erzähllogisch parallel. Während am Fuß des Berges das Kalb gegossen wird, hatte Gott geschrieben.
Und noch eine Parallele ist wichtig: Es ist wieder die Hand Gottes am Werk. Mit ihr hatte er einst aus dem Ackerboden den Adam geformt. Und mit dem Finger dieser Hand setzt er nun das Schöpfungswerk fort. Zunächst hatte Gott den Kosmos erschaffen. Dieser legt als Ganzer Zeugnis ab von seiner Präsenz. Als das große Gegenüber der Welt kommt er in ihr als kontingente Einzelerscheinung nicht vor. Nun aber setzt er sein Schöpfungswerk fort, er erschafft die Schrift. In ihr, seinem ureigenen Medium, gewinnt er eine ganz eigene einmalige Art von Präsenz, denn die Schrift ist ein Medium, wie für ihn gemacht. Sie unterscheidet sich von allen anderen Dingen auf der Welt. Diese sind da oder sie sind nicht da. Die Schrift, ganz gleich auf welcher Materie sie haftet, steht als Hervorbringung eines Schreibers zwischen diesem und den Dingen. Sie ruft Bewusstseinsinhalte hervor, die nur dort, nicht aber schon in der Realität gegenwärtig sind. Sie erzeugt den Brathähnchen-Effekt, diese besondere Simultaneität von Präsenz und Entzug, wie sie schon der gesprochenen Sprache eigen ist. Das Wort 'Brathähnchen' ist da, das Brathähnchen aber nicht. Wenn die gesprochene Sprache zur Schrift gerinnt, ist sie zu einem Objekt geworden. Und sie hat eine entscheidend Eigenschaft, die das Bild nicht hat. Sie ist niemals das, was sie bedeutet. Sie ist das Medium der Differenz und kann niemals mit dem verwechselt werden, was sie bezeichnet. Diese Eigenschaft prädestiniert sie zum Gottesmedium für den neuen Gott Israels, denn genau das, die Verwechslung eines Gottes mit seinem Bild, ist nicht unbegründete Vorwurf der biblischen Aufklärung an das dreidimensionale Bild, das Medium des Polytheismus."1

Schrift statt Bild: Dieser Medienwechsel ist der erste Schritt, den Nordhofen darstellt und auf dem die großen monotheistischen Religionen gründen. Auf diese Weise wird die Unvergleichlichkeit Gottes herausgestellt, die in der Gleichzeitigkeit von unfassbarer Anwesenheit und erfüllter Abwesenheit besteht.

Dabei muss betont werden, dass es hier im Kern um die Abkehr von sehr primitiv-animistischen Gottesbildvorstellungen geht. Der damalige Kampf war also mitnichten ein Kampf gegen selbstgezimmerte Feindbilder, sondern eine reelle Alternative für die damals religiös Suchenden. Bisweilen lebt diese Alternative jedoch auch in aufgeklärten Zeiten noch weiter..

Abgesehen davon ergibt sich aber auch eine spezifische Versuchung aus diesem neuen Gottesmedium: Statt eines Bildes kann nun die Schrift mit Gott selbst verwechselt und angebetet werden. Nicht mehr Idolatrie, sondern Grapholatrie heißt dann die Gefahr, die wir bei manchen christlichen und muslimischen Fundamentalisten beobachten können.

Doch das Christentum, so Nordhofen, geht noch einen Schritt weiter.
Diesen werde ich bei Gelegenheit in einem zweiten Beitrag zu diesem Buch darlegen...


Sein und Schrift.
Neukölln, Berlin, 2019.


1   E. Nordhofen, Corpora. Die anarchische Kraft des Monotheismus. 2., durchgesehene und ergänzte Auflage, Freiburg i.Br. 2018, 81.83f.