Samstag, 1. September 2018

Es ist das Herz, das zählt! Jesus, Chemnitz und das Händewaschen

"...von innen, aus dem Herzen der Menschen, kommen die bösen Gedanken, Unzucht, Diebstahl, Mord, Ehebruch, Habgier, Bosheit, Hinterlist, Ausschweifung, Neid, Verleumdung, Hochmut und Unvernunft. All dieses Böse kommt von innen und macht den Menschen unrein."
(aus dem Sonntagsevangelium, hier Mk 7,21-23)

Ein Text, der wie gemacht ist für diese Tage, in denen Deutschland nach den Ausschreitungen in Chemnitz in Aufruhr ist.
Es gibt keinen plausiblen Grund, der die Attacken auf den Rechtsstaat, die Toleranz sowie unbeteiligte Personen und Polizisten rechtfertigte. Denn neben Gebrüll, pauschalen Schuldzuweisungen, rassistischen Ausfälle und Wut auf "die da oben" war sogar echte Sorge zu vernehmen – aber Ausdruck der Trauer um einen Getöteten, wie anfangs noch behauptet, waren die pogromartigen Szenen ganz sicher nicht.
Alarmstimmung?
Potsdamer Platz, Berlin, 2018.
Die Trauerkundgebung von Sonntag war vorgeschoben. Wichtig war den teilnehmenden Rechtsextremen und Neonazis etwas anderes, nämlich der Wut und dem Hass freien Lauf zu lassen. Gesucht wurde nur ein Anlass, um das zu verschleiern.

Im Text des Evangeliums, in dem das Eingangszitat steht, taucht ein ähnliches Muster auf: Bevor die genannten Sätze fallen, streitet Jesus mit den Pharisäern darüber, welchen Wert das Einhalten von Regeln und bestimmten religiösen Abläufen hat. Diese nämlich beschweren sich bei ihm, dass Jesu Jünger vor dem Essen keine rituelle Reinigung vornehmen.

Der Hintergrund dieser Waschung ist keine Sache der Hygiene, sondern der religiöse Wunsch, den Menschen in "einen reinen und heiligen Zustand, der ihn zur Begegnung mit der Gottheit befähigt"1, zu versetzen.
Aber dieser fromme Wunsch entwickelte ein Eigenleben: Die Pharisäer hatten diese Praxis einem Gesetz entnommen, das ursprünglich nur für die Priester bestimmt war, und es ausgeweitet auf ihren Alltag. Nun erwarteteten die Pharisäer auch von allen anderen Juden, sich in dieser Weise zu reinigen. „Alle Handlungen des Alltagslebens werden sakralisiert, indem man sie als Handlungen interpretiert, die Gott betreffen“.2
An sich ist der Wunsch, alle mögen Gott nahe sein, ja nicht schlecht, aber er hat eine problematische Kehrseite: "Die kleinlichen Vorschriften nahmen das Denken und Handeln der religiösen Menschen gefangen."3
Statt also Gott durch ihr Tun tatsächlich näher zu kommen, verfingen sie sich in den Äußerlichkeiten der Gebote, die damit einhergehende Kleinlichkeit unterhöhlte allzuoft das gute Anliegen.

Bezüglich der Auschreitungen in Chemnitz kann man in diesem Sinne formulieren, dass der berechtigte Wunsch, seiner Trauer Ausdruck zu verleihen, unterhöhlt wurde durch das, was tatsächlich passierte: nämlich Gewaltausbrüche und Hetzjagden.
So wie die Pharisäer die göttlichen Gebote instrumentalisieren, um Jesus fertig zu machen, wird dort die Trauer instrumentalisiert, um den liberalen Staat und seine Hüter vorzuführen.

Und damit komme ich wieder zu dem Eingangsstatement: Entgegen der vielen äußeren Handlungen und ihrer Instrumentalisierungen geht es Jesus um das Herz des Menschen und um das, was aus seinem Inneren hervorkommt.
Dort können sich, so realistisch ist die Bibel, sehr furchtbare Dinge befinden, die ihren Weg nach draußen suchen. Doch egal, wie es im Herzen eines Menschen aussieht: das Befolgen von Gesetzen wird dadurch nicht überflüssig. Inneres und Äußeres, Herz und Gesetz, Denken und Tun gehören zusammen. Das zu betonen, kann im Gefängniskontext sicher nicht schaden.

Aber nicht das blinde Befolgen von Regeln sagt nichts darüber aus, wie es tatsächlich um einen Menschen bestellt ist. Auch in Chemnitz wuchs der Hass ja nicht von einem Tag auf den anderen in denen, die sich an den Demonstrationen beteiligten. Viele haben wahrscheinlich sehr lange die gesellschaftlichen Konventionen mitgetragen, bevor sich das, was sich da im Inneren aufgestaut hatte, in dieser Woche entlud.

Für das religiöse Leben Einzelner ebenso wie für das soziale Leben in einer Gesellschaft gilt darum das, was der Kern der Aussage Jesu ist:
"Die wahre Unreinheit ist in dem zu erkennen, was der Mensch redet und tut",4 nicht im sturen Klein-Klein der Einhaltung von Regeln, deren Sinn sich langsam entleert.

Jesus führt die Fixierung aufs religiöse Ritual und das heuchlerische Getue um das Händewaschen der Frommen auf die entscheidende Frage zurück, der sich auch die vorgeblich Trauernden in Chemnitz und anderswo zu stellen haben: Was hast du im Herzen?

Hoffentlich nicht nur die von Jesus genannten Laster!
Das Evangelium wäre schließlich keine frohe Botschaft, wenn wir nicht wüssten, dass Jesus uns Menschen auch Umkehr und Gemeinschaft mit Gott zutraut.

Sachsen von der schönen Seite.
Elbufer, Dresden, 2017.

1   J. Gnilka, Das Evangelium nach Markus. (Mk 1-8,26) Zürich, Einsiedeln u.a. 1978, 279 [EKK NT II/1].
2   J. Miles, Gott. Eine Biographie. 3. Aufl. München 2000, 155.
3   J. Gnilka, a.a.O., 280.
4
   Ebd., 284.