"...von innen, aus dem Herzen
der Menschen, kommen die bösen Gedanken, Unzucht, Diebstahl, Mord,
Ehebruch, Habgier, Bosheit, Hinterlist, Ausschweifung, Neid,
Verleumdung, Hochmut und Unvernunft. All dieses Böse kommt von innen
und macht den Menschen unrein."
(aus dem
Sonntagsevangelium, hier Mk 7,21-23)
Ein Text, der wie gemacht ist für
diese Tage, in denen Deutschland nach den Ausschreitungen in Chemnitz
in Aufruhr ist.
Es gibt keinen plausiblen Grund, der
die Attacken auf den Rechtsstaat, die Toleranz sowie unbeteiligte Personen und Polizisten
rechtfertigte. Denn neben Gebrüll, pauschalen
Schuldzuweisungen, rassistischen Ausfälle und Wut auf "die da oben"
war sogar echte Sorge zu vernehmen – aber Ausdruck der
Trauer um einen Getöteten, wie anfangs noch behauptet, waren die
pogromartigen Szenen ganz sicher nicht.
Alarmstimmung? Potsdamer Platz, Berlin, 2018. |
Im Text des Evangeliums, in dem das
Eingangszitat steht, taucht ein ähnliches Muster auf: Bevor die
genannten Sätze fallen, streitet Jesus mit den Pharisäern darüber,
welchen Wert das Einhalten von Regeln und bestimmten religiösen
Abläufen hat. Diese nämlich beschweren sich bei ihm, dass Jesu
Jünger vor dem Essen keine rituelle Reinigung vornehmen.
Der Hintergrund dieser Waschung ist
keine Sache der Hygiene, sondern der religiöse Wunsch, den Menschen
in "einen reinen und heiligen Zustand, der ihn zur Begegnung
mit der Gottheit befähigt"1,
zu versetzen.
Aber dieser fromme Wunsch entwickelte
ein Eigenleben: Die Pharisäer hatten diese Praxis einem Gesetz
entnommen, das ursprünglich nur für die Priester bestimmt war, und
es ausgeweitet auf ihren Alltag. Nun erwarteteten die Pharisäer
auch von allen anderen Juden, sich in dieser Weise zu reinigen. „Alle
Handlungen des Alltagslebens werden sakralisiert, indem man sie als
Handlungen interpretiert, die Gott betreffen“.2
An sich ist der Wunsch, alle mögen
Gott nahe sein, ja nicht schlecht, aber er hat eine problematische
Kehrseite: "Die kleinlichen Vorschriften nahmen das Denken
und Handeln der religiösen Menschen gefangen."3
Statt also Gott durch ihr Tun
tatsächlich näher zu kommen, verfingen sie sich in den
Äußerlichkeiten der Gebote, die damit einhergehende Kleinlichkeit
unterhöhlte allzuoft das gute Anliegen.
Bezüglich der Auschreitungen in
Chemnitz kann man in diesem Sinne formulieren, dass der berechtigte
Wunsch, seiner Trauer Ausdruck zu verleihen, unterhöhlt wurde durch
das, was tatsächlich passierte: nämlich Gewaltausbrüche und
Hetzjagden.
So wie die Pharisäer die göttlichen
Gebote instrumentalisieren, um Jesus fertig zu machen, wird dort die
Trauer instrumentalisiert, um den liberalen Staat und seine Hüter vorzuführen.
Und damit komme ich wieder zu dem
Eingangsstatement: Entgegen der vielen äußeren Handlungen und ihrer
Instrumentalisierungen geht es Jesus um das Herz des Menschen und um
das, was aus seinem Inneren hervorkommt.
Dort können sich, so realistisch ist
die Bibel, sehr furchtbare Dinge befinden, die ihren Weg nach draußen
suchen. Doch egal, wie es im Herzen eines Menschen aussieht: das
Befolgen von Gesetzen wird dadurch nicht überflüssig. Inneres und
Äußeres, Herz und Gesetz, Denken und Tun gehören zusammen. Das zu
betonen, kann im Gefängniskontext sicher nicht schaden.
Aber nicht das blinde Befolgen von
Regeln sagt nichts darüber aus, wie es tatsächlich um einen
Menschen bestellt ist. Auch in Chemnitz wuchs der Hass ja nicht von
einem Tag auf den anderen in denen, die sich an den Demonstrationen
beteiligten. Viele haben wahrscheinlich sehr lange die
gesellschaftlichen Konventionen mitgetragen, bevor sich das, was sich
da im Inneren aufgestaut hatte, in dieser Woche entlud.
Für das religiöse Leben Einzelner
ebenso wie für das soziale Leben in einer Gesellschaft gilt darum
das, was der Kern der Aussage Jesu ist:
"Die wahre Unreinheit ist in
dem zu erkennen, was der Mensch redet und tut",4
nicht im sturen Klein-Klein der Einhaltung von Regeln, deren Sinn
sich langsam entleert.
Jesus führt die Fixierung aufs
religiöse Ritual und das heuchlerische Getue um das Händewaschen
der Frommen auf die entscheidende Frage zurück, der sich auch die
vorgeblich Trauernden in Chemnitz und anderswo zu stellen haben: Was
hast du im Herzen?
Hoffentlich nicht nur die von Jesus genannten Laster!
Das Evangelium wäre schließlich keine frohe Botschaft, wenn wir nicht wüssten, dass Jesus uns Menschen auch Umkehr und Gemeinschaft mit Gott zutraut.
Hoffentlich nicht nur die von Jesus genannten Laster!
Das Evangelium wäre schließlich keine frohe Botschaft, wenn wir nicht wüssten, dass Jesus uns Menschen auch Umkehr und Gemeinschaft mit Gott zutraut.
Sachsen von der schönen Seite. Elbufer, Dresden, 2017. |
1 J.
Gnilka, Das Evangelium nach Markus. (Mk 1-8,26) Zürich, Einsiedeln
u.a. 1978, 279 [EKK NT II/1].
2 J.
Miles, Gott. Eine Biographie. 3. Aufl. München 2000, 155.