Atem trägt Leben weiter. Linum, 2018. |
"Deine Stimme, die mich umarmt
hat,
es ist viele Tage her,
ich habe jeden Tag
ein kleines Stück von ihr gegessen,
ich habe viele Tage
von ihr gelebt."
So umsingt Hilde Domin in ihrem Gedicht
"Magere Kost"1
die vertraute Stimme eines geliebten Menschen. Die ganze Beziehung
ist aufgehoben in dieser Stimme, sie ist reich an Vertrauen und
Würde, an Liebe und Stärkung.
In der Erinnerung an diese Stimme lag
die Kraftquelle der Erinnernden; so weit, dass sie ganz aus dieser
Beziehung lebte:
"So wenig, so viel
wie die Stimme,
die mich in den Arm nimmt,
mußt du mir lassen.
Ich atme nicht
ohne die Stimme."
Wenn Jesus im heutigen
Sonntagsevangelium
(Mk 7,31-37) einen Taubstummen heilt, dann befreit er ihn aus der
Isolation der Stimmlosigkeit, aus der Einsamkeit, die niemanden
kennt, der "mich in den Arm nimmt".
Und er schenkt ihm mit dem Hören und
Sprechen neu den Atem des Lebens.
Heilungserzählung und
Erinnerungsgedicht berichten beide davon, dass Leben gelingt im
vertrauensvollen Wissen darum, dass einer mich hört, dass einer zu
mir spricht.
Heilung besteht auch heute in der
Umkehr zu diesem Vertrauen, dass da einer voll Liebe den Kontakt mit
mir sucht und mir dafür Mund und Ohren öffnet.
1 In:
H. Domin, Die Rückkehr der Schiffe. Gedichte. Frankfurt a.M. 1994,
18.