Samstag, 15. September 2018

Hohle Bekenntnisse. Oder: Das Evangelium als Religionskritik.

Petrus hat es wirklich nicht leicht.
Da ist er nun der Erste aus dem Kreis der Jünger, der ausspricht, was allen auf den Lippen brennt – und dann ist sein nächster Schritt gleich ein solcher Patzer!

Der Hergang des Sonntagsevangeliums (Mk 8,27-35) ist schnell erzählt: Als Jesus seine Jünger fragt, für wen ihn die Leute halten, zählen sie ein paar Namen auf, die im Rahmen des religiös Bekannten und Erwartbaren bleiben. Mit der weiteren Frage, wer er für sie selbst ist, bekommt Petrus seine Chance: Jetzt kann er zeigen, was er begriffen hat und wie groß sein Vertrauen in Jesus ist – "Du bist der Messias!" (v29).

Strom an oder Strom aus?
Schwante, 2018.
Weder bestätigt Jesus dies, noch widerspricht er dem Bekenntnis. Aber er verbietet ihnen, darüber zu sprechen. Und nicht nur das: Er stößt auch noch ihre Erwartungen bezüglich des Messias vor den Kopf, als er ihnen erklärt, dass er leiden müsse und getötet werde. Das kann Petrus nicht gut haben – er macht Jesus Vorhaltungen, was das denn bitteschön solle.
Jesus seinerseits stößt ihn nun zurück und spricht Petrus ab, Gottes Willen wirklich zu erkennen.

Der Clou dieses genialen Textes ist seine Allgemeingültigkeit. Denn mit dem Konflikt zwischen Petrus und Jesus spießt er ein grundsätzliches Problem vieler religiöser Menschen auf.

Denn das Problem des Petrus besteht ja nicht darin, dass er mit seinen Vorstellungen über den Messias falsch liegen würde. Das geht den anderen Jüngern sicher auch so.
Sein Fehler liegt vielmehr darin, dass er nicht wahrhaben will, wie seine religiösen Vorstellungen auf den Kopf gestellt werden und dagegen ankämpft.

Er bekennt Jesus also als den Messias Gottes und will seinem Erlöser dann Anweisungen erteilen, wie die ganze Sache nun zu laufen habe.

Hier erweist sich der Text als ein Stück fundamentale Religionskritik.
Unser menschlicher Widerstand gegen das, was wir religiös in unseren Glaubensvorstellungen nicht zusammenkriegen, wächst sich bekanntermaßen immer mal wieder zu Gewalt aus. Eine starke Glaubensüberzeugung und der Unwille, davon abzuweichen, gehören nunmal oft zusammen. Es ist ja auch nur logisch, dass man nicht sofort aufgeben will, was man als (vermeintlich) richtig erkannt hat.

Aber wenn Religion die Kommunikation mit dem je größeren Gott ist, dann müsste eine ihrer Eigenschaften die Offenheit für die Selbstüberschreitung sein. Anders gesagt: Der je größere und immer andere Gott muss in unseren religiösen Vorstellungen eine Leerstelle schaffen, die Transzendenz erst wirklich möglich macht. Sonst wird unser Bekenntnis hohl.

Leider sind gerade die religiösen Menschen oftmals weit davon entfernt, Gott diesen Freiraum zum Anderssein zu lassen. Und auch andere Menschen haben es nicht immer leicht, wenn religiöse Bedenken ihnen im Wege stehen. An dieser Stelle ist die Rede von der Toleranz als christlicher Tugend (im Gegensatz zu vielen anderen Gelegenheiten, wo sie bemüht wird) einmal richtig.

Jesu finale Aufforderung: "Wer mein Jünger sein will, der verleugne sich selbst" (v34) läßt sich in dieser Lesart des Evangeliums verstehen als Auftrag zum Aufgeben festgefahrener und fundamentalistischer eigener Vorstellungen vom Christsein. Und als Aufruf, sich die innere Freiheit für den je größer liebenden Gott zu bewahren.

Entscheidend ist, was drunter steckt.
Dresden, 2017.