Samstag, 20. Juni 2020

Fürchte dich nicht! Du bist ein wertvoller Mensch

Bist du ein wertvoller Mensch?
Wenn ja, woran erkennst du das?
Es sollte nicht an einer Uniform oder einer Hautfarbe hängen!
Was macht deinen Wert aus?
Kann man dir deinen Wert nehmen?
Und überhaupt: Was macht es aus, ob du wertvoll bist oder nicht?

Das sind einige der Fragen, die in mir auftauchten, als sich meine Aufmerksamkeit an einigen Zeilen des Sonntagsevangeliums festhakte.

Kunstvoll kurvt dieser Text (Mt 10,26-33) an verschiedene Themen heran – an den Stellenwert von Heimlichkeiten, an das Verhältnis von Leib und Seele, an die Bedeutung von missionarischen Bekenntnissen – und eben an die Frage nach dem Wert eines Menschen.

Durchblick.
Stadtpark, Kronberg, 2020.
Es scheint fast, als hörten wir verschiedene Strophen eines Liedes, dessen Refrain wir dazwischen dreimal zu hören bekommen. Der Refrain lautet: "Fürchtet euch nicht!" (v 26.28.31)
Und aus diesem Refrain, dieser Grundmelodie, dieser ständigen Wiederholung heraus erheben sich die verschiedenen anderen Themen:

Fürchtet euch nicht – vor allem nicht vor den Heimlichkeiten, die sowieso irgendwann herauskommen.
Fürchtet euch nicht – denn ihr könnt die Dinge richtig einordnen und Leib und Geist ins richtige Verhältnis bringen.
Fürchtet euch nicht – denn ihr seid wertvoll.
Fürchtet euch nicht – von Gott zu sprechen.

Mich hat nun, wie gesagt, die "Strophe" über den Wert eines Menschen besonders angesprochen:

"Verkauft man nicht zwei Spatzen für einen Pfennig?
Und doch fällt keiner von ihnen zur Erde ohne den Willen eures Vaters.
Bei euch aber sind sogar die Haare auf dem Kopf alle gezählt.
Fürchtet euch also nicht!
Ihr seid mehr wert als viele Spatzen." (vv29-31)

Spatzen, so sagt Jesus es hier, sind in unseren Augen zwar billig zu haben, aber für Gott sind sie wertvoll, er hält sogar sie in seiner Hand.
Vor dem aktuellen Hintergrund, dass sich das Corona-Virus erneut in Schlachthöfen ausbreitet, stellen viele Menschen wieder die Frage nach dem Wert tierischen Lebens und wie gut es uns als Gesellschaft tut, wenn Schweine nur noch Produkte sind. Dazu entbrennt neu die Debatte über die Arbeitsbedingungen der Arbeiterinnen und Arbeiter in den Schlachthöfen.
Welchen Wert hat der Schutz vor Infektionen, oder deutlicher: Welchen Wert haben Menschenleben, wenn es um die Fleischproduktion zu preisgünstigen Bedingungen geht?

Und Jesus kommt gar noch mit den Spatzen, die nun völlig unnütz erscheinen. Der Spatz war "mit Abstand der billigste Vogel" auf dem Markt zur Zeit Jesu und eine Art "Geflügelbraten der kleinen Leute".1 Einer mehr oder weniger machte nichts aus.Um solchen billigen Ramsch kümmert sich niemand weiter!

Nur Gott.
Der hat auch den billigsten Ramsch und die letzten Reste noch im Blick.
In einer Haftanstalt wie hier mag sich der eine oder andere dieselbe Frage stellen:
Bin ich für die da draußen nur noch der letzte Rest? Oder habe ich noch einen Wert für jemanden? Und wenn ich mich darum sorge: Kann ich etwas tun, damit mein Wert nicht verblasst?

Wir alle, Inhaftierte und nicht Inhaftierte, wollen wertvoll sein. Wir fürchten uns (mal mehr mal weniger) davor, nicht mehr als wertvoll angesehen zu werden. Und manchmal versuchen wir dann, unseren Wert zu steigern.

Flüchtige Wertsteigerung?
Zinnowitz, 2019.
- Einer schickt regelmäßig Geld raus. Denn wenn die Familie Geld bekommt, kann sie ihn, so die Rechnung, ja schlecht im Stich lassen.

- Einer wird kreativ und versucht sich auszudrücken in der einen oder anderen Kunstform. Wer malt oder musiziert oder dichtet, schafft sich ja eine Art Ewigkeitswert.

- Einer ist ständig am Pumpen und versucht, seinen Körper in Form zu halten. So sehen wenigstens die Oberarme luxuriös aus.

- Einer will das alles hinter sich lassen und zieht sich alle möglichen Substanzen rein. Das macht vielleicht nicht wertvoller, aber es lässt viel von dem verkorksten Alltag vergessen.

- Einer sucht möglichst engen Kontakt mit den Bediensteten. Solche Beziehungen zahlen sich meistens irgendwie aus.

- Einer arbeitet wie ein Berserker. In der Annahme, dass einer, der tut und schafft und macht, doch nun wirklich nicht wertlos sein kann.

Jeder von Ihnen wird wahrscheinlich an einer anderen Stelle merken, dass es da klingelt. Ich selber finde mich am ehesten bei der Arbeit wieder, hier definiere ich mal mehr mal weniger bewusst meinen eigenen Wert.

Aber Jesus macht uns mit seinen Worten klar: Auch wenn ihr in den Augen anderer fast wertlos seid, auch wenn die Gesellschaft ehemalige Straftäter nicht wirklich gern wieder aufnimmt, auch wenn dich draußen niemand in die Arme schließt – auch dann bist du ein wertvoller Mensch.

Das ist die Essenz dieser Stelle:
Fürchtet euch nicht.
Ihr seid wertvoll.
Denn ihr seid von Gott geliebt.

Egal, wie viel ihr kaputt gemacht habt in eurem Leben oder im Leben anderer – "bei euch sind sogar die Haare auf dem Kopf gezählt." (v30) So wertvoll seid ihr für Gott.
Wer das wirklich an sich heranlässt (und davon bin auch ich oft noch weit entfernt), der kann innerlich viel freier leben. Wer das glaubt, den kann nichts kleinkriegen (vgl. v28) und der kann es auch weitererzählen (vgl. v32).

Der wird keine Angst davor haben, von Gottes Liebe zu sprechen. Von seinem liebevollen Blick auf jede Person – hier im Raum und darüber hinaus.

Amen


Zettelwirtschaft - Was ist wichtig, was ist's wert?
Neukölln, Berlin, 2019.


1   U. Luz, Das Evangelium nach Matthäus (Mt 8-17) I/2. Zürich / Braunschweig, Neukirchen-Vluyn 1990, 128.

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