Donnerstag, 1. April 2021

Poetische Fastenspeise 5 – "Judaskuß" von Josef Weinheber

Gründonnerstag ist nicht nur der Tag von Abendmahl und Fußwaschung, sondern auch der Tag des Judas und seines Verrats.

Die Gestalt bleibt in den biblischen Texten dunkel und mehrdeutig – keine Vorgeschichte, blass gezeichnet, ohne plausibles Motiv für den Verrat (Geldgier als das einzig bekannte Motiv, das in den Evangelien angeben ist, scheint nun doch arg eindimensional). Auch darum kam es zu einer Vielzahl von gegensätzlichen Deutungen des Judas – vom missverstandenen Freund über den gierigen Verwalter der Gruppenkasse bis hin zum eigentlich besten Anhänger, der Jesu großen Auftritt provozieren wollte – es bleibt unklar.

Bei Josef Weinheber (1892-1945)1 schlüpft das lyrische Ich in die Person des Jüngers und reflektiert das Zustandekommen des Verrats auf eigene Weise:

Judaskuß2

Jesus reicht dem Verräter die Eucharistie.
Polyptychon eines unbekannten Künstlers
vom Anfang des 16.Jh.
aus dem Warschauer Nationalmuseum.


Ihr seht nur das verfluchte Geld,
das ich genommen hab.
Und schweigt davon, daß Er mir doch
beim Mahl den Bissen gab.

Damit die Schrift erfüllet sei,
sollt es an mir geschehn.
Er trug mir auf, es bald zu tun.
Und also mußt ich gehn

und ging und kam zurück, und nahm
und hatte meinen Lohn.
Doch jener, der am Kedron stand,
er wußte alles schon,

und sah mich an und redete
und ließ mir keine Frist:
"Mit einem Kuß verrätst du mich?"
So hab ich Ihn geküßt.

Sie griffen Ihn und banden Ihn
und schleppten Ihn davon.
Und ob mir fast das Herz zerriß,
ich hatte meinen Lohn.

Du bittre Reue, Scham und Gram!
Er gab mir mein Geschick.
Er starb für euch den Kreuzestod.
Ich ging und nahm den Strick.

 

Ist das nun die große Entschuldigung des Judas? Jesus wollte es, darum musste er all das tun?

Jedenfalls ist die Grundlage der biblische Befund, auf eine bestimmte Weise ausgelegt...

Was mir besonders auffällt, ist die Spannung zwischen Anfang und Ende – am Anfang steht die Verteidigung mit dem Hinweis, Jesus habe ihn, den Verräter, am Abendmahl teilnehmen lassen. Am Ende der Hinweis auf den Tod durch den Strick, verbunden mit der Aussage, dass Jesus für "euch" – also nicht für ihn! – gestorben sei. Doch in der gleichen Strophe sind auch Schuldeinsicht und Reue zentral.

Mein Eindruck ist, dass auch hier ein ambivalentes Bild bleibt.

Ich selbst halte am liebsten den Anfang des Gedichtes hoch:
Der Verrat ist wirklich und abscheulich gewesen ("das verfluchte Geld") – mehr Aufmerksamkeit aber verdient Jesus, der das sehr wohl wusste:

Er reicht dem Verräter dennoch das Brot, durch das uns Menschen Heil geschenkt wird.

Dieses liebevolle "dennoch" ist ein wichtiger Baustein des Gründonnerstags.

Platz ist im Dunkeln ja genug...
Linum, 2018.

 

1   Bei der Recherche zum Autor erschrak ich über seine NS-Verbundenheit. Seinen Zeitgenossen als einer der angsehensten österreichischen Dichter bekannt und vielgelesen, identifizierte er sich früh mit dem Nationalsozialismus, stieg zu einem hofierten Dichter auf, wurde aber wegen als kritisch angesehener Texte auch zensiert. Er beging am 8.4.1945 Suizid, weil die Rote Armee sich Wien näherte. Mehr hier.
Ich erkenne in obigem Gedicht keine einschlägigen Thesen, die eine Vorstellung in meinem Blog problematisch machen sollten. Trotzdem möchte ich auf den Hintergrund hinweisen, da mir Weinhebers politische Anschauungen ferner nicht liegen könnten (wie im Blog vielfach zu erkennen).
2
   J. Weinheber, Judaskuß. In: G. Langenhorst (Hg.), Und er spricht mit leisen Deuteworten... 164 Gedichte zu biblischen Themen, Motiven und Figuren. Stuttgart 2019, 243.

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