Gründonnerstag ist nicht nur der Tag
von Abendmahl und Fußwaschung, sondern auch der Tag des Judas und
seines Verrats.
Die Gestalt bleibt in den biblischen Texten dunkel und mehrdeutig – keine Vorgeschichte, blass gezeichnet, ohne plausibles Motiv für den Verrat (Geldgier als das einzig bekannte Motiv, das in den Evangelien angeben ist, scheint nun doch arg eindimensional). Auch darum kam es zu einer Vielzahl von gegensätzlichen Deutungen des Judas – vom missverstandenen Freund über den gierigen Verwalter der Gruppenkasse bis hin zum eigentlich besten Anhänger, der Jesu großen Auftritt provozieren wollte – es bleibt unklar.
Bei Josef Weinheber (1892-1945)1 schlüpft das lyrische Ich in die Person des Jüngers und reflektiert das Zustandekommen des Verrats auf eigene Weise:
Judaskuß2Jesus reicht dem Verräter die Eucharistie.
Polyptychon eines unbekannten Künstlers
vom Anfang des 16.Jh.
aus dem Warschauer Nationalmuseum.
Ihr
seht nur das verfluchte Geld,
das ich genommen hab.
Und
schweigt davon, daß Er mir doch
beim Mahl den Bissen gab.
Damit
die Schrift erfüllet sei,
sollt es an mir geschehn.
Er trug
mir auf, es bald zu tun.
Und also mußt ich gehn
und ging
und kam zurück, und nahm
und hatte meinen Lohn.
Doch jener,
der am Kedron stand,
er wußte alles schon,
und sah mich an
und redete
und ließ mir keine Frist:
"Mit einem Kuß
verrätst du mich?"
So hab ich Ihn geküßt.
Sie
griffen Ihn und banden Ihn
und schleppten Ihn davon.
Und ob mir
fast das Herz zerriß,
ich hatte meinen Lohn.
Du bittre
Reue, Scham und Gram!
Er gab mir mein Geschick.
Er starb für
euch den Kreuzestod.
Ich ging und nahm den Strick.
Ist das nun die große Entschuldigung des Judas? Jesus wollte es, darum musste er all das tun?
Jedenfalls ist die Grundlage der biblische Befund, auf eine bestimmte Weise ausgelegt...Was mir besonders auffällt, ist die Spannung zwischen Anfang und Ende – am Anfang steht die Verteidigung mit dem Hinweis, Jesus habe ihn, den Verräter, am Abendmahl teilnehmen lassen. Am Ende der Hinweis auf den Tod durch den Strick, verbunden mit der Aussage, dass Jesus für "euch" – also nicht für ihn! – gestorben sei. Doch in der gleichen Strophe sind auch Schuldeinsicht und Reue zentral.
Mein Eindruck ist, dass auch hier ein ambivalentes Bild bleibt.
Ich selbst halte am liebsten den Anfang
des Gedichtes hoch:
Der Verrat ist wirklich und abscheulich
gewesen ("das verfluchte Geld") – mehr Aufmerksamkeit
aber verdient Jesus, der das sehr wohl wusste:
Er reicht dem Verräter dennoch das Brot, durch das uns Menschen Heil geschenkt wird.
Dieses liebevolle "dennoch" ist ein wichtiger Baustein des Gründonnerstags.
Platz ist im Dunkeln ja genug... Linum, 2018. |
1 Bei
der Recherche zum Autor erschrak ich über seine NS-Verbundenheit.
Seinen Zeitgenossen als einer der angsehensten österreichischen
Dichter bekannt und vielgelesen, identifizierte er sich früh mit
dem Nationalsozialismus, stieg zu einem hofierten Dichter auf, wurde
aber wegen als kritisch angesehener Texte auch zensiert. Er beging
am 8.4.1945 Suizid, weil die Rote Armee sich Wien näherte. Mehr
hier.
Ich
erkenne in obigem Gedicht keine einschlägigen Thesen, die eine
Vorstellung in meinem Blog problematisch machen sollten. Trotzdem
möchte ich auf den Hintergrund hinweisen, da mir Weinhebers
politische Anschauungen ferner nicht liegen könnten (wie im Blog
vielfach zu erkennen).
2 J.
Weinheber, Judaskuß. In: G. Langenhorst (Hg.), Und er spricht mit
leisen Deuteworten... 164 Gedichte zu biblischen Themen, Motiven und
Figuren. Stuttgart 2019, 243.
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