Sonntag, 11. April 2021

Gemeinschaft und Wunden – Von zwei Ankern des Glaubens am Weißen Sonntag

Ich erkenne im heutigen Evangelium (Joh 20,19-31) zwei Pole: Gemeinschaft und Wunden.

Man wagt es in der Kirchenkrise kaum zu schreiben, aber das Evangelium vom zweifelnden Thomas ist ein Evangelium von der Bedeutung der Glaubensgemeinschaft.

Der Glaube an den Auferstandenen fußt auf Gemeinschaft, Thomas aber war nicht bei den anderen Jüngern, als Jesus sich ihnen das erste Mal zeigte, darum konnte (und wollte) er nicht glauben. Die anderen Jünger schienen ihm keine glaubwürdigen Zeugen zu sein.

Gemeinschaft: geschlossen.
Schwante, 2018.
Nun zeigt sich in Thomas jedoch nicht nur der Zweifler oder gar Ungläubige, als der er manchmal geradezu denunziert wird. Er ist vielmehr der, der sich für die Wunden interessiert. Er will ja glauben, er sucht nur nach einem anderen Kriterium, an dem sich sein Glaube festmachen kann.

Neben die Gemeinschaft tritt für ihn als zweiter Anker des Glaubens die Bereitschaft, sich mit den Wunden auseinanderzusetzen.

Ohne die Situation des Thomas als Bild für unsere heutige Kirchensituation überstrapazieren zu wollen, scheint mir das doch eine bezeichnende Spannung zu sein:
Wenn uns heute die kirchliche Gemeinschaft keine ausreichende Hilfestellung für den Glauben liefern kann, weil sie unglaubwürdig geworden oder schlicht nicht vor Ort vorhanden ist, können wir zwar in der Bibel lesen oder Meditation praktizieren oder sonstige Versuche starten, um unseren Glauben stark zu leben.

Aber ein entscheidender Anker des Glaubens wird es gerade in einer solchen Situation sein, sich an die Wunden zu halten. In den Wunden der Welt – den Wunden der Kranken, der Flüchtenden, der Einsamen, der Missbrauchten und Zurückgewiesenen – in ihren Wunden können wir den auferstandenen Christus finden, der sich mit allen Verwundeten solidarisiert (vgl. Mt 25,40). Glaube ist dann keine fromme Betulichkeit, sondern ein schmerzhafter Prozess, der aus der Wahrnehmung und der Akzeptanz der Verwundungen kommt - gerade der Verwundungen derer, die von sexuellem Missbrauch betroffen sind ebenso wie derer, die die Kirche wieder und wieder wegen ihrer sexuellen Orientierung zurückweist... 

Diese Sichtweise bürstet das Evangelium natürlich gehörig gegen den Strich. Es geht mir nicht um die Situation der ursprünglichen Adressaten, die ohne die Begegnung mit dem lebendigen Jesus glauben sollten – es geht um uns als Adressaten, die wir unseren Glauben finden und stärken müssen.

Wer bereit ist, sich den Wunden zu stellen, begegnet neuem Leben.
Oder noch klarer und personaler: Wer sich den Verwundeten und den (eigenen) Verwundungen zuwendet, findet den Auferstandenen.


Mehr Auslegungen hier, hier und hier.

 

Wunden: Offen.
Blossiner See, 2020.


2 Kommentare:

  1. Ein großartiger Auslegungstext – von den dreien, die ich zu diesem Evangelium dieses Jahr gehört bzw. gelesen habe und die alle bemerkenswert gut waren, der beste. Danke!

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