Dem Apostel Thomas geht es im
Evangelium nach dem Osterfest so wie uns – auch wir haben Jesus
nicht selbst gesehen und müssen uns darauf verlassen, dass trotzdem
wahr ist, was uns da erzählt wird über seine Auferstehung.
Und doch gibt es oftmals den Wunsch,religiöse Wahrheiten selber tief und existenziell zu erfahren.
Religiöse Erfahrung als Bestätigung des Überlieferten, die Wirkung
des göttlichen Geistes oder die Gnade Gottes spürbar erleben und
sich nicht nur auf das trockene Wort verlassen müssen.
Da
spiegelt sich der Titel des Blogs – hartes Brot des Vertrauens und
Glanz des eigenen Erlebens stehen neben- und manchmal auch
gegeneinander.
Dabei ist gegen ursprüngliches
religiöses Erleben nichts zu sagen – auch die Erstzeugen hatten
schließlich ihre ganz persönlichen eigenen Erfahrungen, aus denen
heraus sie dann erzählen und bezeugen konnten. Nur ist diese
Erfahrung eben nicht jedermann gegeben.
Der Psychologe und Philosoph William James
beispielsweise "sieht Religion in erster Linie als etwas, was
Individuen erfahren. Er macht eine Unterscheidung zwischen lebendiger
religiöser Erfahrung, die eine individuelle Erfahrung ist, und dem
religiösen Leben, das davon abgeleitet ist, weil es unter der Regie
einer Religionsgemeinschaft oder Kirche stattfindet."1
Selbst hinein. Waren / Müritz, 2016. |
Für alle in solchen Gemeinschaften
Religion ausübenden Menschen bedeutet dies nach James, "aus
zweiter Hand zu leben. Bei der Weitervermittlung geht die
Kraft und Intensität der Ursprungserfahrung meistenteils verloren,
bis alles, was übrig bleibt, 'dumpfe Gewohnheit' ist."2
Es scheint, als ginge es
Thomas genau so. Er will die religiöse Erfahrung aus erster Hand
haben und dann eben glaubwürdig und erfahrungsgesättigt vom
göttlichen Glanz sein.
Doch was bedeutet das für
die Religionsausübung? In der westlichen Geistesgeschichte, so
beschreibt es der kanadische Philosoph Charles Taylor, führt die
Konzentration auf individuelle Erfahrung als eigentliche religiöse
Praxis schließlich auch zur "Ansicht, daß man mit einer
Religion brechen sollte, wenn man Schwierigkeiten mit einigen ihrer
Glaubenssätze hat."3
Sicher eine Vorstellung, die
nicht wenigen Menschen vertraut ist: Wovon ich nicht (mehr) überzeugt
bin und womit ich mich nicht (mehr) vollkommen identifizieren kann,
das lehne ich ab. Auf Thomas zurückgewendet: Wo ich mich aber
persönlich identifizieren will, dort muss ich auch persönlich
erfahren sein und auf relevante persönliche Erlebnisse zurückgreifen
können.
Dem jedoch steht gegenüber
eine andere Form religiösen Lebens, eines Lebens, das schon im
Ursprung ein religiös vermitteltes ist. Charles Taylor kommentiert
James: "Was hier nicht vorkommt, ist die Art und Weise, in
der das, was man die religiöse Beziehung nennen könnte, die
Verbindung zwischen dem Gläubigen und dem Göttlichen (oder was auch
immer), ganz wesentlich von dem körperschaftlichen, kirchlichen
Leben vermittelt sein könnte. ... Wir sind beispielsweise dazu
aufgefordert, in brüderlicher Liebe zusammenzuleben und solche Liebe
als eine Gemeinschaft nach außen wirken zu lassen. Dann ist der Ort
der Beziehung zu Gott (auch) durch die Gemeinschaft gegeben und nicht
einfach bloß im Individuum."4
Dann wäre für Menschen wie
Thomas, also für jene, die keine originale eigene Gotteserfahrung
haben (und vielleicht ist das der Großteil der heute lebenden
Christen, wenigstens in unseren Breiten), der Ort ihres
Bei-Gott-Seins die Gemeinschaft derer, die das lebendige Zeugnis
leben oder es durch Verkündigung in Gottesdiensten oder sonstwo
hören. Wenn es keine umwerfende religiöse Erfahrung gibt, dann wird
das Vertrauen in jene, die aus dieser Erfahrung leben und (bildlich
gesprochen) die Flammen des Gottesfeuers an alle anderen weitergeben,
ihr Ort sein.
Die Schrift und die
Tradition nennen dieses Vertrauen in die Zeugen: Glauben.
Und der ist keine abgeleitete Gottesbegegnung aus zweiter Hand, sondern unser Weg mit Ihm.
Zugleich aber, und dies darf
am Sonntag der Göttlichen Barmherzigkeit im Jahr der Barmherzigkeit
nicht unerwähnt bleiben, sollte man sich vor Augen führen, dass
sich Jesus dem Thomas eben auch zu erfahren gibt und Thomas nicht
"ungläubig" mit dem Zeugnis der anderen Apostel leben
muss.
Brot und Glanz –
Vertrauenmüssen und Erfahrendürfen – kommen immer wieder
zusammen, denn der barmherzige Gott überlässt seine Menschen nicht
nur anderen Menschen, die aus ihrer Erfahrung heraus recht und
schlecht auf ihn hinweisen mögen, sondern er schenkt auch heute
immer wieder die Erfahrung seiner selbst.
So müssen wir einerseits
nicht unter dem Druck leben, alles (und so auch Gott) immer selbst
erfahren zu müssen, wir stehen aber andererseits auch nicht unter
dem Urteil, dass Gott uns mit unserem vielleicht allzu kleinen
Vertrauen auf die Gemeinschaft der Kirche allein lässt.
In der sonntäglichen
Liturgie jedenfalls bietet sich beides: Das Zeugnis, dem wir
vertrauen können und die Möglichkeit der leibhaftgen Begegnung in
Brot und Wein, wenngleich ebenfalls unter dem Maß unseres Glaubens
an Gottes lebendige Gegenwart in diesen Zeichen.
Blüte aus erster Hand. Rixdorf, Berlin, 2015. |
1 C.
Taylor, Die Formen des Religiösen in der Gegenwart. Frankfurt a.M.
2002, 11.
2 Ebd.
3 Ebd.,
19.
4 Ebd.,
27.