Samstag, 9. April 2016

Erste Gedanken zu Amoris Laetitia – Über Familie und Dreifaltigkeit

Wie viele andere medial aktive Menschen vesuche ich mir gerade eine erste Meinung zur päpstlichen Zusammenfassung der beiden Außerordentlichen Bischofssynoden zum Thema Familie zu erarbeiten. Da sowohl die Konservativen wie auch die Liberalen ihren zum Teil starken Enttäuschungen bereits mehr oder minder polemisch Luft gemacht haben, scheint es spannend, sich mit dem Text selbst auseinander zu setzen.

Ich lese also im Nachsynodalen Apostolischen Schreiben "Amoris Laetitia" und finde bisweilen pointierte Gedanken, die sich teilweise auch schon als Memes im Netz finden.
Vielleicht ist diese Weise des Herauspickens einzelner Sätze wirklich eine gute Möglichkeit der Annäherung, nämlich an mehr oder weniger exemplarischen Passagen eine individuelle Vertiefung zu wagen.

Erst mal sehen, was noch kommt.
Hofeinfahrt, Rixdorf, Berlin, 2016.
Auch Papst Franziskus selbst mahnt in den vorgeschalteten Lesehilfen und Klarstellungen, indem er den "unvermeidlichen" Umfang des Schreibens erwähnt: "Darum empfehle ich nicht, es hastig ganz durchzulesen." (AL 7)1 
Vielmehr lässt es sich meditativ lesen und "Abschnitt für Abschnitt geduldig vertiefen", Interessierte können aber auch, ganz ignatianisch, "nach dem suchen, was sie in der jeweiligen konkreten Situation brauchen." (AL 7)

Das kommt mir entgegen.
So lese ich langsam, konzentriere mich auf Weniges, was mich anspricht, positiv oder negativ. Im Sinne der Zusätze des Ignatius zum Exerzitienbuch: "Bei dem Punkt, bei dem ich finde, was ich will, dort werde ich ruhig verweilen, ohne ängstliche Sorge zu haben, weiterzugehen".2
Ich lese als Vater und Ehemann, als Theologe, als Kirchenglied, als Schulseelsorger ebenso wie als kritischer Zeitgenosse in säkularem Umfeld und entdecke im Licht dieser unterschiedlichen Perspektiven jeweils anderes, auch je nach Zeit und Stimmung.

Heute also ein paar Sätze zum ersten Kapitel (Nummern 8-30), in dem eine biblische Grundlegung erfolgt. Ich will keine Zusammenfassung geben, erwähne nur, was mir auffällt – selbst wenn ich später im Dokument entdecken sollte, dass es erweiternde oder korrigierende Gesichtspunkte gibt. Langsames Lesen beschränkt sich auch...

Allein zu folgendem Hammersatz bezüglich der Gottebenbildlichkeit des Menschen ließen sich viele Seiten füllen:

"Das liebende Paar, das Leben zeugt, ist das wahre, lebende Bildnis(nicht jenes aus Stein und Gold, das der Dekalog verbietet), das imstande ist, den Gott, der Schöpfer und Erlöser ist, darzustellen." (AL 11)

Selbstverständlich geht es nicht um ein anthropomorphes Gottesbild oder die Behauptung einer Zwiegeschlechtlichkeit in Gott. Für die theologische Korrektheit erläutert der Papst: "Die Transzendenz Gottes bleibt gewahrt; da er jedoch zugleich der Schöpfer ist, ist die Fruchtbarkeit des menschlichen Paares ein lebendiges und wirkungsvolles „Abbild“, ein sichtbares Zeichen des Schöpfungsaktes." (AL 10)

Neues Licht werfen.
Ehemalige Einflugschneise zum Flughafen Tempelhof,
Neukölln, Berlin, 2014.
Nicht nur als Menschen in unserer jeweiligen Geschlechtlichkeit sind wir Abbild Gottes, konkreter noch in der fruchtbaren Weitergabe des Lebens. Die klassischen sexualethischen Prämissen der katholischen Kirche erklären sich vor diesem Hintergrund recht einfach: wenn die Weitergabe des Lebens im sexuellen Akt zugleich ein Akt der Liebe und der Hingabe ist, die Maß nimmt an Gottes Liebe und hingebungsvoller Schöpferkraft und sich die Gottebenbildlichkeit genau hier verwirklicht, kann die Verhinderung von Leben durch diesen sexuellen Akt keine grundsätzliche Zustimmung finden (was m.E. nicht notwendigerweise etwas über die je konkrete Fragestellung aussagt).
Franziskus erweitert dementsprechend die Trinitätstheologie um die Theologie der Familie: 
"Der dreieinige Gott ist Gemeinschaft der Liebe, und die Familie ist sein lebendiger Abglanz." (AL 11)

Daraus folgt für den Papst auch, dass fruchtbares Familienleben, wie es im ersten Zitat anklang, ein Beitrag zum göttlichen Erlösungshandeln und damit zur Heilsgeschichte ist. So schreibt er später: gerade "die Gegenwart der Kinder ist in jeder Hinsicht ein Zeichen der Fülle der Familie in der Kontinuität der Heilsgeschichte selbst, von Generation zu Generation." (AL 14)

Allein die Tatsache, Kinder zu haben, sorgt mit für das Weiterlaufen der Heilsgeschichte, weil es dem Schöpfungshandeln Gottes nachfolgt und sein lebensschöpferisches Liebeswerk weiterführt. Offen gesprochen: mich baut das auf, gerade in den Niederungen des Erziehungsalltags.

Zugleich ist dieser Blick natürlich ein gewaltiger Horizont, der in der Lebenspraxis oft genug nicht ausgefüllt wird (wie Franziskus selbst auch einen "blutbefleckten Weg des Leidens" (AL 20) in vielen biblischen Familiengeschichten erkennt).

Zu guter Letzt noch ein zusammenfassender Satz in die gleiche trinitätstheologische Richtung:
"Mit diesem Blick, der Glaube und Liebe, Gnade und Engagement, menschliche Familie und göttliche Dreieinigkeit umfängt, betrachten wir die Familie, die das Wort Gottes den Händen des Mannes, der Frau und der Kinder anvertraut, damit sie eine Gemeinschaft von Menschen bilden, die ein Abbild der Einheit zwischen dem Vater, dem Sohn und dem Heiligen Geist ist." (AL 29)

Dass wir diesen Blick oft genug nicht haben, dass wir diese Zusammenhänge im Leben gerade nicht erfahren, das wissen wir auch so – dass dieser Blick aber möglich und auch legitim ist und sich darin sowohl eine göttliche Gabe als auch ein göttlicher Auftrag für uns verbirgt, das ist eine frohe Botschaft.

[Gedanken zum zweiten Kapitel hier]

Durchblicke langsam erarbeiten. Elstal, 2016.

1   Papst Franziskus, Nachsynodales Apostolisches Schreiben Amoris Laetitia, Vatikan 2016, No. 7. Zu finden unter: http://w2.vatican.va/content/dam/francesco/pdf/apost_exhortations/documents/papa-francesco_esortazione-ap_20160319_amoris-laetitia_ge.pdf.


2   Ignatius v. Loyola, Geistliche Übungen und erläuternde Texte. Leipzig 1978, No. 76.