Sonntag, 9. Mai 2021

Demut, Geborgenheit, Entgrenzung – Eine Predigt über drei Dimensionen der Liebe.

Das große Thema der heutigen Lesungen (Apg 10, 25–26.34–35.44–48; 1 Joh 4, 7–10; Joh 15, 9–17) lautet – Sie werden es erraten haben – Liebe.

Nicht nur, dass Jesus im Evangelium von seiner Liebe zu seinen Jüngern spricht und sie auffordert, einander nach seinem eigenen Beispiel zu lieben. Sogar von Gott selbst wird der biblische Spitzensatz ausgesagt, dass er selbst Liebe sei (1Joh 4,8).

Während die beiden Johannestexte sehr auf Gott und Jesus fokussiert sind, hat die Apostelgeschichte die Menschen und ihr Handeln im Blick. Und auch hier, bei den Fragen der ersten Christen nach Zugehörigkeit und Abgrenzung, zeigt sich die Liebe.


Aufgerichtet.
Rostock, 2017.
1. Demut

"Petrus aber richtete ihn auf und sagte: Steh auf! Auch ich bin nur ein Mensch." (v26)

Wie leicht wäre es für Petrus gewesen, seine Macht über diesen Menschen auszunutzen. Wie schnell hätte er sich erheben können über diesen Soldaten, der sich – als Teil der Besatzermacht merkwürdig genug – vor einem Juden erniedrigte und niederwarf. Wie schnell hätte er religiöse Macht für sich beanspruchen können und den anderen beherrschen.

Doch Petrus agiert als Liebender: Die Liebe überhebt sich nicht. Sie nutzt ihre Macht über andere nicht aus. Sondern richtet auf und rückt die Relationen wieder zurecht.

Die Frage, die ich mir für meine Liebe stellen kann, ist einfach und klar: Wann bin ich in meinem Leben in der Versuchung, meine Position auszunutzen? Wann kann ich stattdessen jemanden liebevoll aufrichten, der sich erniedrigt? Und wo kann ich eine Einschätzung, dass ich mehr wert sei, korrigieren?


2. Willkommenskultur und Geborgenheit

"Wahrhaftig, jetzt begreife ich, dass Gott nicht auf die Person sieht, sondern dass ihm in jedem Volk willkommen ist, wer ihn fürchtet und tut, was recht ist." (v34f)

Gott sieht nicht auf die Person – das ist wahrscheinlich eine erklärungsbedürftige Formulierung. In der Bibel taucht sie öfter auf und sie meint, dass Gott sich nicht von gesellschaftlichen Übereinkunften oder Reichtum, nicht von der Pose oder sozialen Position eines Menschen blenden lässt. "Gott sieht nämlich nicht auf das, worauf der Mensch sieht. Der Mensch sieht, was vor den Augen ist, der HERR aber sieht das Herz." (1Sam 16,7)
Hier heißt das: Gott sieht, ob jemand ihn fürchtet (also an ihn glaubt) und dementsprechend lebt.

Gott schaut auch nicht auf Nation und Religion, sondern bei ihm sind alle willkommen. Alle, die Gott als Gott anerkennen, können sich bei ihm bergen. Dieses Willkommen, das Petrus im Namen Gottes ausspricht, ist die Einladung in die liebevolle Geborgenheit Gottes.

Wir sind wahrscheinlich selten in der Versuchung, andere Menschen direkt auszuladen, wenn sie Christen werden wollen. Aber indirekt besteht diese Gefahr natürlich schon – wir sehen das aktuell bei den Fragen rund um die Segnung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften (mehr hier und hier).

Für mich heißt die Frage dann: Wo kann ich einladend sein, in meinem Alltag? Wo kann ich eine Atmosphäre der Geborgenheit und des Willkommens schaffen?


3. Entgrenzung und Ehrlichkeit

"Kann jemand denen das Wasser zur Taufe verweigern, die ebenso wie wir den Heiligen Geist empfangen haben?" (v47)

"Moslem --- welcome"
Gott außerhalb meiner Grenzen.
S-Bahn Berlin, 2017.


Petrus sieht hier ein, dass Gott außerhalb der zuvor gesteckten Grenzen ja schon wirkt.

Der Apostel macht sich also ehrlich, wenn er zugibt, dass er das anders gedacht und geplant hätte, aber nun von Gottes Größe überrascht und schockiert ist.Obwohl es nicht zu seinen Grenzziehungen passt, gibt Petrus zu: Gott ist auch dort, wo ich es nicht vermutet hätte.

Und auch wir kennen das: Wir haben alle unterschiedliche Grenzen gezogen. Doch Gott fordert unsere Liebe heraus.

Aber wollen wir das überhaupt? Konkret gefragt: Kann ich Gott zugestehen, dass er auch in einer Tridentinischen Messe wirkt? Oder in einem Worship-Event? Je nach eigenem Standpunkt...
Kann ich mir vorstellen, dass mein Gott auch das Fasten meines muslimischen Nachbarn im Ramadan liebevoll anschaut? Dass Gott in seiner Liebe – als Liebe! – anwesend ist, wo sich die nichtgläubige Berlinerin liebevoll um benachteiligte Jugendliche kümmert?

Die Liebe kann dem anderen seinen Weg lassen, auch wenn er anders ist als der eigene. Und ehrliche Liebe wird sogar bereit sein, zuzugeben, dass Gottes Liebe größer ist als unser menschliches Herz.

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