Samstag, 8. Mai 2021

Zumutung der Rückkehrer. Das Kriegsende und die versehrten Väter

Das Gedenken an das Kriegsende ist ein Grund zur Freude – wir leben im Frieden! Tod und Zerstörung haben ein Ende gefunden und ein Neuanfang war möglich.

So das gängige Narrativ. Allerdings lag Deutschland moralisch, materiell und ideologisch am Boden. Für einen Anfang mit etwas Neuem mag das einerseits eine gute Ausgangsposition sein. Doch andererseits schleppte die kaputte Nation die Geister ihrer braunen Vergangenheit, Schuld und Leid, weiter mit sich. Da gab es keinen sauberen Schnitt (wie ich hier und hier auch schon anmerkte).
Gerade in den Familien mussten sich die versehrten Väter, Brüder, Söhne neu einfinden, teilweise nach jahrelanger traumatisierender Kriegsgefangenschaft.

Monika Maron beschreibt in ihrem tragisch-genialen Wende-Liebes-Roman „Animal Triste“ die als hochproblematisch empfundenen Emotionen:

Zumutung für die weiße Reinheit.
S-Bahnhof Sonnenallee, Berlin, 2021.
Sie hätten nicht zurückkommen dürfen. Damals, als Hansi Petzke und ich mit den vergifteten Ratten Vater-Mutter-Kind spielten, hätten sie uns mit unseren Müttern allein lassen sollen, Hansi und mich und die anderen Kinder auch. Sie hätten sich irgendwo, fern von ihren Söhnen, einen Ort suchen sollen, wo sie ihre verwundeten Leiber und gebrandmarkten Kriegerseelen hätten kurieren können. […]

Ich stelle mir heute noch gerne vor, wie anders unser Leben verlaufen wäre, hätten sie damals ein Einsehen gehabt und verstanden, daß sie für ihre Kinder nur noch eins tun konnten: ihnen ihre Anwesenheit nicht zumuten.1

Die Gewalt und Härte, die viele der im Krieg oder kurz davor geborenen Generation erleben mussten, die Ohnmacht der Väter, die mit ihrer Schwäche und ihrem Leiden nicht umgehen konnten und auf ihren zerschlagenen Idealen sitzen geblieben waren, all das hat die beiden Deutschlands wahrscheinlich nicht unerheblich geprägt.

Angesichts dessen finde ich die 68er-Bewegung und ihre langfristigen Folgen (auch wenn das Pendel bisweilen sehr weit in die andere Richtung ausschlug) so nachvollziehbar und wichtig. Die verwundeten und „gebrandmarkten“ Seelen haben nicht alles in ihre Dunkelheit hineingezogen.

Und angesichts all dessen: was für ein Wunder, dass wir jetzt in diesem Land leben können! Natürlich hat es Fehler und Untiefen, von denen manche in der Pandemie besonders deutlich werden.

Aber manche Zumutungen, da möchte ich gegen Monika Marons Ich-Erzählerin anhoffen, können eben auch in Richtung des Guten überwunden werden.
Hoffentlich gilt das auch für die momentanen Zumutungen!

 

1   M. Maron, Animal Triste. Frankfurt a.M. 1996, 68f.

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