Wie die Jünger Jesu über
ihren Meister dachten, darüber können wir zu großen Teilen nur
spekulieren. Nach dem Matthäusevangelium erkennt Petrus in ihm den
Gesalbten Gottes, den Christus (16,16). Sonst gibt es wenige
Anhaltspunkte, als wen die Fischer und Zöllner, die Zeloten und
sonstigen frommen Juden den predigenden Zimmermann Jesus aus Nazareth
angesehen haben.
Sicher als einen Rabbi, der mit Autorität lehrt, als Lehrer, der dem Streit mit anderen Lehrern nicht aus dem Weg geht, als Wunderheiler, mit dem man was erleben kann, als religiösen Reformer, von dem etwas zu erwarten ist, vielleicht auch als spirituellen Guru, dem nachzueifern sich lohnt.
Sicher als einen Rabbi, der mit Autorität lehrt, als Lehrer, der dem Streit mit anderen Lehrern nicht aus dem Weg geht, als Wunderheiler, mit dem man was erleben kann, als religiösen Reformer, von dem etwas zu erwarten ist, vielleicht auch als spirituellen Guru, dem nachzueifern sich lohnt.
Hügel, Britzer Garten, Neukölln, Berlin, 2014. |
Bei allem, was Jesus tat
und sagte, war seine Person nicht unwesentlich. Es ging denen, die ihn aufsuchten, augenscheinlich nicht nur um ein Wort oder ein
Wunder, sondern auch um die Begegnung. Jesus seinerseits ging es
ebenso: er brachte nicht nur eine Botschaft oder half Menschen, die
es nötig hatten, sondern sein Fokus war, dass jemand ihm
folgte, um seinetwillen in Verfolgung standhielt, in ihm
und seinen Taten das anbrechende Gottesreich erfuhr.
In einem Buch, das ich
neulich mit großer Begeisterung las, bringt es der Autor Jacob
Neusner, ein gläubiger Jude, der sich mit Jesus auf der Basis der
Thora auseinandersetzen will, auf den Punkt, als er sich mit dem
Anspruch Jesu als jüdischer Lehrer auseinandersetzt: Er weist hin
auf "den ganz persönlichen Charakter der Lehre Jesu, in der
das Augenmerk auf ihn selbst und nicht auf die Botschaft gerichtet
ist. Wir sehen, dass jeder ein Gelehrter der Thora werden und zu
einem bestimmten Status gelangen kann. Im Umgang mit Jesus hingegen
ist Jesus das einzige Vorbild. Der Satz 'Nimm das Kreuz und folge
mir' heißt nicht das gleiche wie 'Studiere die Thora, die ich lehre,
die ich zuvor bei meinem Meister studiert habe'. Die Aufforderungen
'folge mir' und 'folge der Thora' klingen ähnlich, sind es aber
nicht. Vielmehr drücken sie einen Gegensatz aus. Jeder Israelit
(früher, und heute auch jede Israelitin) kann die Thora beherrschen
und Gelehrter (oder Gelehrte) werden, aber nur Jesus kann Jesus
Christus sein."1
Jesus versteht sich als
mehr als ein Lehrer – deshalb stellt er sich über die Gebote der
Thora.
An anderer Stelle spricht
Neusner Jesus darum direkt an und konfrontiert ihn mit dem Anspruch,
den Jesus aus seiner Person begründet: "Meister, wie kannst
du für dich selber sprechen und dich nicht auf die Lehren der Thora
berufen, die Gott uns am Sinai gegeben hat? Es hat den Anschein, als
betrachtetest du dich selbst als Mose oder als über Mose stehend.
Die Thora des Mose erwähnt aber nicht, dass außer Mose und den
anderen Propheten noch ein weiterer uns Unterweisung – Thora –
bringen soll. So weiß ich nun wirklich nicht, was ich von deinem
Anspruch halten soll. Du sprichst als 'Ich', aber die Thora wendet
sich an ein 'Wir', das sind 'wir' vom Volke Israel, zu dem auch du
gehörst."2
Treppenhaus, Kreuzberg, Berlin, 2014. |
Nicht Anführer des
Volkes, nicht prophetisch-mahnende Gestalt, nicht Lehrmeister,
sondern Sohn des Höchsten.
Wer das erkennt, wer es
mitvollziehen kann – Neusner tut es mit seinen guten Gründen nicht
– der wird die Konsequenzen im eigenen Leben ziehen, auch ohne
Bergtour.
1 J.
Neusner, Ein Rabbi spricht mit Jesus. Freiburg i.Br. 2007, 67f.