In die Katholische Akademie Berlin
hatte Akademiedirektor Joachim Hake heute Abend den Soziologen Hans
Joas und Kardinal Reinhard Marx zum Gespräch über die Kirche und
ihre Position in der Gesellschaft geladen.
Kann die Kirche mit soziologischen
Beschreibungen gefasst werden oder entzieht sie sich aufgrund ihrer
göttlichen Stiftung dieser Perspektive?
Ein Diskussionsabbruch bezüglich der
Soziologie als möglicher Erfassungskategorie von Kirche ist heute nicht
mehr ernsthaft begründbar – Kirche muss sich den sozialen
Wirklichkeiten stellen, sie ist als soziale Gemeinschaft in der Welt
strukturiert und muss sich, gerade in einer medial geprägten
Gesellschaft, auch mit den Kategorien derselben messen lassen.
Allerdings geht Kirche auch nicht in
ihrer soziologischen Beschreibbarkeit auf, sie ist mehr als eine
soziologisch erkennbare Entität.
Gesprächsrunde, Katholische Akademie Berlin. |
Dieser Rückgriff auf die
Kirchenkonstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils "Lumen
Gentium" war ein Eckstein des Gesprächs zwischen dem
katholischen Soziologen und dem wirtschaftsethisch gebildeten
Erzbischof. Nachdem Joas in seinem Einführungsreferat aus der
Dissertation von Reinhard Marx zitiert hatte, die dieser vor über 20
Jahren unter dem Titel "Ist Kirche anders?" veröffentlicht
hatte, stellte er einige kritische Rückfragen an den
Kirchenpolitiker von heute, der als frisch gekürter Vorsitzender der
Deutschen Bischofskonferenz gerade seine Antrittstour durch das
politische Berlin macht und in derselben Eigenschaft am Tage schon
eine Pressekonferenz zur "Causa Limburg" hinter sich zu
bringen hatte.
Wie "anders" ist die Kirche,
"anders" als was ist sie und was folgt daraus?
"Die Kirche fällt nicht vom
Himmel" meinte Marx und sie wandelt sich, historisch leicht zu
beobachten, in ihrem Selbstverständnis und ihrer Sozialform
beständig, dabei durchaus auch von den sie umgebenden Gesellschaften
beeinflusst.
Ihre theandrische Struktur nach "Lumen
Gentium" 8 bedeutet aber auch, so Joas, eine beständige
menschliche Vermitteltheit allen Sprechens über sie.
Auf die konkrete Nachfrage, was diese
Doppeltheit denn für das Prinzip der Subsidiarität innerhalb der
Kirche bedeuten würde, konnte der Kardinal leider nicht konkreter
werden als die Konzilsväter – nicht bloß hierarchisch von oben
nach unten sei die Kirche zu denken, aber auch nicht bloß von unten
hinaufwachsend. Das daraus folgende Ineinander von Solidarität und
Subsidiarität ist nachvollziehbar, war aber leider keine
Konkretisierung bezüglich der Anwendung letzterer innerhalb der
Kirche.
Das war sehr diplomatisch und ein
bißchen enttäuschend. Auch die Bejahung von Partizipation und
Beteiligung bei gleichzeitiger Ablehnung von Parteienstreit und
Erdrücken der Minderheit durch eine Mehrheit waren bekannte Topoi.
Dass dadurch nicht automatisch das angestrebte "geistliche
Ringen" wird, das schließlich zur "Einmütigkeit"
führt, sondern dass es auch in der Kirche verschiedene
(unversöhnliche?) Lager und Grabenkämpfe gibt, war immerhin nicht
zu leugnen.
Dafür plauderte der Kardinal etwas aus
dem Nähkästchen: der Papst wolle die Synoden stärken und er, Marx,
habe dem Papst in der Vorbereitung der Familiensynode das Hinschauen
auf die Realitäten des Kirchenvolkes besonders ans Herz gelegt. Wie
schön.
Die Umfrage zu Ehe und Familie wiederum
hielt Joas für einen genialen Schachzug, wenngleich die Formulierung
der Fragen zu wünschen übrig lasse. Jetzt, auf die Frage nach der
Befolgung der Normen, könne man auch besser über die Normen selbst
sprechen.
An das Thema der Anwendbarkeit
soziologischer Methodik im Binnenraum der Kirche anknüpfend spann
sich das Gespräch weiter zu Chancen und Grenzen der beiden großen
Kirchen, auch bezüglich der bevorzugten kirchlichen Sozialformen
voneinander zu lernen und in einer pluralen Gesellschaft zum
Zusammenhalt beizutragen. Trotz der Kritik an der Funktionalisierung
kirchlicher Wirklichkeit sprach sich Marx dafür aus, dass die
Kirchen Menschen dazu befähigen müssten, die Unübersichtlichkeiten
der komplexen Gesellschaft auszuhalten. Die Aufgabe bestünde dann
darin, dass Christsein als ein Qualitätssprung für das eigene Leben
erfahren werden könne.
Was nehme ich mit aus diesem Abend? Zum
einen den nachhakenden und präzisen Hans Joas, wie immer klar und
fundiert. Dann den gesprächsfreudigen Kardinal Marx, der sich bzw.
seine Dissertation auch gern kritisieren lässt, der diplomatisch und
konzilsfest keine kirchlichen Entwicklungen vorwegnimmt und doch eine
große weitdenkende Offenheit mitbringt. Der schließlich bei dem
schönen Satz ankommt: "Gott ist immer größer als die Kirche."
Amen.