Karl Rahner war für mich eine
Offenbarung. Trotz endloser Sätze mit abwägenden und nach
überallhin sich abgrenzenden Formulierungen habe ich durch ihn das
Denken, wenn schon nicht neu, dann immerhin tiefer durchdenken
gelernt.
Nun ist er 30 Jahre tot, es wird seiner
gedacht,
seine Theologie wird für relevant oder überholt erklärt
– mit Gewinn lesbar aber ist er immer noch, einige kleinere
Schriften werden seit einigen Jahren sogar für den Hausgebrauch neu
herausgegeben.
Stuhl, Britzer Garten, Neukölln, Berlin, 2014. |
Noch dazu hat Karl Rahner wirklich alle
wichtigen Themen beackert: Erkenntnistheorie, Gottesfrage,
Christologie, Anthropologie, Ekklesiologie, Sakramentenlehre,
Eschatologie und alle möglichen weiteren spirituellen und
theologischen Gebiete und Grenzfragen – und immer wieder reflektiert er auch die ignatianischen Grundlagen seines Denkens. Mit drei
Textausschnitten möchte ich drei Aspekte erinnern.
Die so genannte anthropologische Wende,
die seine Schriften in der Theologie seiner Zeit mitvollzogen haben,
halte ich nicht nur theologisch, sondern auch pastoral für
bedeutsam, da auch Rahner selbst sich immer wieder bemüht hat, die
große Frage nach Gott seelsorglich fruchtbar herunterzubrechen für
alle:
„Wird es einmal Menschen geben,
die grundsätzlich und in jeder Phase ihrer Existenz kein Ohr mehr
haben für das Wort: Gott? Wird es einmal Menschen geben, die nicht
mehr über dieses und jenes Fragbare in seiner endlosen Vielfalt
hinaus nach dem Unsagbaren fragen? Wird es einmal Menschen geben, die
sich immer und mit wirklichem Erfolg verbieten, das Geheimnis
schlechthin nahe sein zu lassen, das als Eines und Umfassendes, als
Urgrund und Urziel namenlos in ihrem Dasein waltet; das gibt, daß
wir, liebend »Du« sagend, uns in seinen Abgrund fallen lassen und
so frei werden können? Was wäre, wenn solches möglich und
Wirklichkeit würde?“1
Das
Fragen nach Gott theologisch in den Horizont der Neuzeit zu stellen
war eines der großen Anliegen Karl Rahners, für das er die kantische
Transzendentalphilosophie auf die Theologie anwandte und das alles
Denken sprengende Reden von Gott abhob von jedweder kategorialen Rede
über die Dinge dieser Welt. Denn unter diese ist Gott eben nicht wie eine
Entität unter anderen vorfindlich und einordenbar, vielmehr stellt
er Gerüst und Horizont für alle in der Welt seienden Dinge
dar.
Treppe, Bremen, 2014. |
Und
doch hat dieser allem enthobene Gott, von dem nur analog zu sprechen
ist, sich selbst den Menschen mitgeteilt. Karl Rahner in einem
letzten großen Auftritt zu seinem 80. Geburtstag einen
vielbeachteten Vortrag gehalten, in dem er sehr persönlich von
unserer Rede über Gott genauso wie von Gottes Reden zu uns spricht:
„Die eigentliche und
einzige Mitte des Christentums und seiner Botschaft ist darum für
mich die wirkliche Selbstmitteilung Gottes in seiner eigensten
Wirklichkeit und Herrlichkeit an die Kreatur, ist das Bekenntnis zu
der unwahrscheinlichsten Wahrheit, dass Gott selbst mit seiner
unendlichen Wirklichkeit und Herrlichkeit, Heiligkeit, Freiheit und
Liebe wirklich ohne Abstrich bei uns selbst in der Kreatürlichkeit
unserer Existenz ankommen kann.“2
Zuletzt einen Textausschnitt
aus dem frühen Buch "Von der Not und dem Segen des Gebetes".
Der Text erinnert mich daran, dass in unserem ganzen Leben mehr ist als der
Augenschein zeigt und dass anderes relevant sein kann als das zunächst für maßgeblich Gehaltene:
„Der Geist Gottes ist
uns ins Herz gegeben. Er erforscht und erfüllt auch die Tiefen
unseres Herzens. Er ist in uns überströmend ausgegossen. Er ist
Salbung und Siegel des inneren Menschen. Er ist die Erfüllung aller
bodenlosen Abgründe unseres Wesens. Er ist die erste Gabe und das
Angeld des ewigen Lebens. Er ist das Leben in uns, durch das wir
schon hinter den Tod gekommen sind. Er ist das Glück ohne Grenzen,
das die Bäche unserer Tränen in unseren letzten Quellen schon zum
Versiegen gebracht hat, auch wenn sie das Flachland unserer
Alltagserfahrung noch so sehr überschwemmen. Er ist der inwendige
Gott, die Heiligkeit des Herzens, sein verborgenes Frohlocken, seine
Kraft, die wundersam noch da ist, wo wir am Ende sind mit unserem
Witz und unserer Kraft. Er ist in uns, so dass wir eigentlich im
Innersten schon wissen, obwohl wir blinde Toren sind, denn Er weiß,
und Er ist unser; Er ist es, der in uns liebt, verschwenderisch
liebt, frohlockend liebt, liebt, nicht selbstisch begehrt; und diese
Liebe ist unser, denn Er ist die ewige Liebe Gottes, und Er ist
unser, Er ist unsere Liebe, obwohl wir kalte, enge, kleinliche Herzen
haben! Er ist die ewige Jugend in der verzweiflungsvollen Senilität
unserer Zeit und unserer Herzen. Er ist das Lachen, das hinter
unserem Weinen schon leise aufklingt, Er ist die Zuversicht, die
trägt."3
Ein Augenöffner war dieser Karl Rahner,
einer, der theologisch immerzu wegverwies auf den größeren Gott,
damit Christen und Nichtchristen mit dem Sehenden im Evangelium
dieses Sonntags zu diesem Christus kommen und sagen können: "Ich
glaube, Herr!" (Joh 9,38)
Himmel, Gerüst und Schuhe über dem Görlitzer Park, Kreuzberg, Berlin, 2014. |
1 K.
Rahner, Das Alte neu sagen. Eine fiktive 'Rede des Ignatius von
Loyola an einen Jesuiten von heute'. Köln 2001, 40. Auch zu finden
unter:
https://www.kath.de/akademie/rahner/Download/Vortraege/inhalt-pdf/_rahner-alte.pdf.
3 K. Rahner, Von der Not und dem Segen des Gebetes. Freiburg i.Br. 1958, 34f.