Montag, 31. März 2014

Mit Paulus in der Imperativschneiderei

In was könnte man Fastenzeit-Gedanken besser kleiden als in die Imperative des Völkerapostels Paulus an die Gemeinde in Thessaloniki? Am Ende des ersten erhaltenen Briefes gibt er alles, damit in modischen Trendfarben die wichtigsten Dinge noch eingenäht werden.

Tulpen, Neukölln, Berlin, 2014.
"Haltet Frieden untereinander!" (5,13) – Basissatz ohne Staub, der angesichts der vielgepriesenen Verschiedenheit, in der tolerante Menschen miteinander umgehen lernen müssen, regelmäßig aus dem Schrank geholt werden kann. Irdischer Frieden, von Elie Wiesel provokant auf menschliche Verantwortung hin zugespitzt: "Die Menschheit muss sich daran erinnern, dass Friede kein Geschenk Gottes für seine Geschöpfe ist. Er ist ein Geschenk, das wir uns gegenseitig machen."1

"Ermutigt die Ängstlichen, nehmt euch der Schwachen an, seid geduldig mit allen!" (5,14) – Ein Seelsorge-Grundkurs: Trost und Ermutigung im Kampf gegen die Angst, der Blick und die Tat für diejenigen, die nicht aus eigener Kraft weiterkommen und über allem die göttlichste aller Tugenden, die Geduld.

"Freut euch zu jeder Zeit!" (5,16) – Die bleibende Herausforderung: Paulus ist sie so wichtig, dass er seinen Gemeinden immer wieder Freude aufgibt (Phil 2,18; 3,1; 2Kor 13,11 u.ö.) und die Galater sogar fragt: "Wo ist eure Begeisterung geblieben?" (Gal 4,15). Kommt aus dem Nähkästchen einer liebevoll gepflegten Beziehung zu Christus.

"Betet ohne Unterlass!" (5,17) – Große Aufforderung, die eine Entmottung verträgt. Ob sie so zu verstehen ist, wie der gebetshungrige russische Pilger sie verstand, sei dahingestellt. Er fand jedenfalls in der "Blütenlese" (Philokalia) der Väter eine Meditationsanleitung von Simeon dem Neuen Theologen, die ihm fürs erste half: "Setze dich schweigend und einsam hin, neige den Kopf, schließe die Augen, atme leicht, schaue mit deiner Einbildung in das Innere deines Herzens, führe des Verstand, d.h. den Gedanken aus dem Kopf in das Herz. Sprich nun beim Atmen: 'Herr Jesus Christus, erbarme Dich meiner', sprich es leise mit den Lippen oder nur mit dem Verstande. Bemühe dich, zerstreuende Gedanken zu vertreiben, habe Ruhe und Geduld vor allem und wiederhole diese Beschäftigung recht häufig."2

"Dankt für alles!" (5,18) – Bei Luther heißt dies in noch schönerem Deutsch: "Seid dankbar in allen Dingen!" Erinnert mich an Ignatius, der schreibt, dass die Lernenden "Gott in allen Dingen suchen und finden"3 sollen. Im Exerzitienbuch wird der Dank zum Schlüssel der Liebe: Beim weiten Blick auf die Welt und das eigene Leben wird Gottes Gegenwart mit dankbarer Liebe haltbar vernäht.4

"Löscht den Geist nicht aus!" (5,19) – Ein Satz für geistbeseelte Interpreten. In allem Handeln und Wandeln ein offenes Ohr für das Hintergrundrauschen haben? Die Liebe tun im Geschäft des Alltags? Sich anfeuern lassen vom Spiritus Dei? Die eigenen Charismen nicht unterbuttern? Mit Geschenken so umgehen, dass die Nähmaschine Funken schlägt?

Mammutrüssel, Plänterwald, Berlin, 2014.
"Prüft alles, und behaltet das Gute!" (5,21) – Geprüft werden muss nur dort, wo die Güte fraglich ist. Das Gute vom scheinbar Guten unterscheiden zu lernen ist darum auch bei Ignatius im Blick: Selbst wer gute Absichten hat, kann das Gute leicht verlieren, wenn er sich täuschen lässt und sich die Dinge zurechtbiegt. In der personalen Sprache des Exerzitienbuches: "Es ist dem bösen Engel eigen, der Gestalt unter einem Lichtengel annimmt, bei der frommen Seele einzutreten und bei sich selbst hinauszugehen" – darum reicht nicht die gute Absicht oder ein guter Beginn, sondern um das Gute tatsächlich zu behalten, muss "der Anfang, die Mitte und das Ende alles gut" sein.5
Denn nach der Unterscheidung kommt die eigentliche Herausforderung: Erst nach der Prüfung nur das Gute behalten!

"Meidet das Böse in jeder Gestalt!" (5,22) – Ergibt sich aus eben Gesagtem. Merke: Die Gestalt ändert sich. Bunte Kleider sind nicht immer dran.

Des Apostels Flickschneiderei holt weit aus: das eigene Leben, die Menschen ringsum, Gott – sie alle kommen vor, in allem findet sich Möglichkeit, das eigene Leben anzuschauen und neu auszurichten, in allem atmet österliche Auferstehungshoffnung. 




1   E. Wiesel, Nobelvorlesung in Oslo. In: Ders., Gesang der Toten. Erinnerungen und Zeugnis. Freiburg i.Br., Basel, Wien 1987, 191.
2   Zit. n.: E.-M. Bachmann / G. Schröder (Hgg.), Quellen des Geistes. Erfahrungen großer russischer Beter. Leipzig 1975, 34.
3   Vgl. Ignatius von Loyola, Trost und Weisung. Geistliche Briefe. Zürich, Einsiedeln, Köln 1971, 118f.
4   Vgl. Ignatius von Loyola, Geistliche Übungen und erläuternde Texte. Leipzig 1978, 99ff (GÜ 230-237).
5   Ignatius von Loyola, Geistliche Übungen und erläuternde Texte. Leipzig 1978, 140f (GÜ 332ff).