Nach Terroranschlägen, wie sie in
Paris verübt wurden, kann man als sich in dieser Web-Öffentlichkeit
äußernder Mensch nicht kommentarlos übergehen zum weiteren
Geschehen, wenn man sich zu allgemeinen Themen äußert.
Oder doch?
Natürlich kann man. Die großen
Aufreger sind durch, Betroffenheit wurde allerorten spürbar
geäußert, Trauerbekundung scheint heute schon kein Gebot der Stunde
mehr zu sein und pietätlos wäre es auch nicht.
Aber ich persönlich stelle mir die
Frage, wie belanglos ich denn nun weitermachen kann – und will.
Konkreter und zugleich weiter gefasst
gefragt: Ändert sich unser Blick auf menschliche Gewaltpotentiale,
auf menschliches Leiden? Oder stumpfen wir ab mit jeder neuen
Katastrophe? Sind wir übersättigt von all dem Grauen?
Barrieren im Blick. Rostock, 2015. |
Durch unsere Medienkonsumgewohnheiten
haben wir ja oft einen feststellenden Nachrichtenüberblicksblick
eingeübt, so dass meist keine Möglichkeit mehr besteht, sich auch
nur ansatzweise einzufühlen in den Horror, den wir täglich sehen.
Wie könnte ich jedes Unglück, über
das weltweit berichtet wird, so an mich heranlassen, dass es mich
wirklich betrifft?
Warum werden nicht die Anschläge in
Beirut oder der fortdauernde Krieg in Syrien und an all den anderen
Unruheherden der Welt das überragende Thema der Nachrichten und
meiner Reaktion darauf?
Weil mir die Franzosen geografisch oder
menschlich näher sind?
Doch nicht wirklich!
Was meine Offenheit für die politische
Weltwirklichkeit betrifft, habe ich also wenig Hoffnung. Und
vielleicht ist das, auch für die Welt im allgemeinen ganz gut so, um
mich nicht zu überfordern.
Amos Oz trifft es in seinem aktuellen
Buch "Judas" darum ganz gut, wenn er den alten Gerschom Wald zu dem
jungen Schmuel sagen lässt:
"Fast alle Menschen gehen mit
geschlossenen Augen durchs Leben, von ihrer Geburt bis zu ihrem Tod.
Auch Sie und ich, Schmuel, mein Lieber. Mit geschlossenen Augen.
Würden wir die Augen auch nur eine Sekunde öffnen, würden wir auf
der Stelle einen schrecklichen Schrei ausstoßen, wir würden
schreien und nicht aufhören zu schreien. Und wenn wir nicht Tag und
Nacht schreien, ist das der Beweis, dass unsere Augen geschlossen
sind. Und jetzt seien Sie so gut und lesen ein wenig in Ihrem Buch,
und wir wollen schweigen."1
Drei kurze Überlegungen dazu:
Eins: Ließen wir uns ein auf die ganze
grausige Wirklichkeit, wir würden es nicht aushalten. Trotzdem
können wir behaglich sitzen und weiterlesen, in den meisten Fällen
bleibt uns noch nicht einmal etwas anderes übrig.
Zwei: Die Aussagen erinnern an die
biblischen Aussagen über Gott, dessen unmittelbares Erscheinen kein
Mensch auszuhalten imstande wäre, sondern sterben müsse, wenn er
IHN sehen würde (vgl. z.B. Ex 33,20). Gut also, dass unsere Augen
geschlossen sind. (s.a. die daran anschließenden Überlegungen zum
Wahnsinn hier.)
Drei: Dem gegenüber wird über
denselben Gott gesagt, dass er die Augen nicht vor dem menschlichen
Leiden verschließt, prominent heißt es beispielsweise bei der
Beauftragung des Mose, das Volk Israel zu retten: "Ich habe
das Elend meines Volkes in Ägypten gesehen." (Ex 3,7)
Ich kann belanglos weitermachen. Muss
sogar die Niederungen meines Alltags normal leben können. Kann nicht
gottgleich jedes Leid aufnehmen. Finde mich, auch als Gläubiger, mit
meinen geschlossenen Augen ab. Und kann doch wenigstens ab und zu
teilnehmen an Seinem Blick auf uns, um "das Elend"
nicht gänzlich an mir vorbeigehen zu lassen.
Verhüllung. Rixdorf, Berlin, 2015. |
1 A.
Oz, Judas. Berlin 6. Aufl. 2015, 228.