Donnerstag, 23. Januar 2020

"Leb wohl, mein Herz." Helmuth James von Moltke schreibt den letzten Brief an seine Frau.

Helmuth James von Moltke gehört zu den großen Persönlichkeiten des Widerstandes gegen den Nationalsozialismus. Als Mitinitiator des Kreisauer Kreises wollte er eine andere gesellschaftliche und ethische Ordnung errichten als jene, die vom NS-Regime erzwungen wurde.

Dafür bezahlte er am 23. Januar 1945, heute vor 75 Jahren, mit dem Leben. Er wurde hingerichtet in Plötzensee, dem Gefängnis, in dem ich derzeit als Gefängnisseelsorger arbeite.

Die letzten Monate vor seinem Tod stand er noch einmal in intensivem Kontakt mit seiner Frau Freya von Moltke. Nach der Verhaftung im Januar 1944 verbrachte Moltke die meiste Haftzeit im Gefängnis des Konzentrationslagers Ravensbrück.
Seit dem 28. September 1944 war er in Tegel inhaftiert.
Dort half der evangelische Gefängnispfarrer Harald Poelchau unter der beständigen Gefahr entdeckt und selbst hingerichtet zu werden, fast täglich die Briefe zwischen Freya und Helmuth zu schmuggeln. Sie sind ein Dokument der Liebe, publiziert als "Abschiedsbriefe Gefängnis Tegel. September 1944 – Januar 1945."1

Licht durch die Gitter.
Festung Hohensalzburg, Salzburg, 2019.
Während dieser Zeit in Tegel konnte das Paar sich fünf Mal sprechen, das letzte Mal nur wenige Tage vor der Hinrichtung, am 16. Januar 1945. Zwischendurch versuchte Freya einerseits, das Leben auf Gut Kreisau zu organisieren und andererseits, für ihren Mann an verschiedenen Stellen noch irgendetwas zu erreichen. Vergeblich, wie sich herausstellen sollte.
Moltke selbst wiederum reflektierte natürlich viel in eigener Sache, doch er las auch viel, zunächst vor allem landwirtschaftliche und theologische Literatur, in den letzten Monaten in Tegel widmete er sich sehr intensiv der Lektüre der Heiligen Schrift.
Von praktischen Belangen, strategischen Erwägungen und vom tiefen gemeinsamen Glauben sind auch die letzten Nachrichten geprägt, die sich das Paar sendet.

In den letzten Zeilen, die ihn von Freya noch erreichen bevor sie sich am 19. Januar auf den Weg nach Kreisau macht, kann Helmuth am Ende lesen:

"Sieh Dir die Losungen an: 5. Mos. 8,18 Phil 4,13
Ich nehme Dich mit und bleibe Dir nah in großer, heißer, starker, ungetrübter und so Gott will unangefochtener Liebe".2

Helmuth schreibt am 21. und 22. Januar einen Antwortbrief und, im klaren Bewusstsein des baldigen Todes (ohne den genauen Termin zu kennen), auch am Tag seiner Hinrichtung noch einmal, nüchtern und tröstend zugleich:

"Wo magst du sein, mein Herz? Ob Du in Berlin, oder ob Du umgekehrt bist? Solltest Du etwa diesen Brief nach meinem Tod bekommen und nicht in Berlin sein, so denke nicht, ich sei darüber traurig gewesen, dass du nicht hier bist. Darüber sind wir beide durch die Lehre der letzten 3 ½ Monate erhaben geworden. Bist Du da, so ist das eine zusätzliche Freude, und sehen wir uns noch einmal, so sind wir darüber sehr glücklich. Sobald feststeht, dass Du hier nichts mehr für mich tun kannst, musst Du mich verlassen und nach Hause fahren, denn da wird jetzt allerhand fällig sein. [...] Bekämpfe nur die Panik."

Über sich selbst schreibt er ähnlich klar und froh:

"Mir geht es gut, mein Herz. Ich bin nicht unruhig oder friedlos. Nein, kein bisschen. Ich bin ganz bereit und entschlossen, mich Gottes Führung nicht nur gezwungen, sondern willig und freudig anzuvertrauen und zu wissen, dass er unser, auch Dein, meines Liebsten, Bestes will. [...]
Leb wohl, mein Herz. Der Herr behüte Dich und uns."3

Die Liebe scheint in dieser Krisensituation zu wachsen.
Am Ende folgt eine nachträgliche Notiz, die Helmuth James von Moltkes letzte Worte darstellen (bisweilen spricht er seine Frau in der männlichen Form an):

Eine von Vielen.
Neukölln, Berlin, 2020.
"Mein Lieber, wie schön zu wissen, dass Du da bist. Wie sehr lieb. Eben brachte [der Wachtmeister] mir frisches Fleisch, Schlagsahne und Semmeln. Sonst nichts anderes, als dass ich Dich, mein sehr liebes Herz, sehr lieb habe und dabei bleibt's. J."4

So sterben zu gehen!
Gelassen und vertrauensvoll, ohne Groll, im Bewusstsein, dass Gott alles in Händen hält und einen Plan mit allem hat, dass das Getane es wert war und dass die Liebe trägt – eine solche Haltung gibt Halt in trüben Zeiten.

Am gleichen Tag schrieb Freya in den Morgenstunden noch einen Brief über ihre Reise nach Kreisau und zurück am 22. Januar, den Helmuth als ihre letzte Nachricht vor der Hinrichtung noch erhielt und der mit den Worten endet:

"Ich trug Dich so fest bei mir. Das war sehr schön zu fühlen."5



1   2. Aufl. München 2011. Zu den Daten vgl. v.a. die Einleitung (13-34) und die Biographische Notiz (575-580). Die Rechtschreibung wurde in den meisten Fällen der neuen Rechtschreibung angepasst.
2   Ebd., 529.
3   Ebd., 537.
4   Ebd., 538.
5   Ebd., 541.

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