Mittwoch, 22. Januar 2020

Regeltreue ist kein christliches Primärziel. Drei Fragen zum Tagesevangelium

Eigentlich sollte ich heute einen Gottesdienst im Haftkrankenhaus feiern. Aber durch verschiedene Umstände sitze ich nun zu Hause und stelle die Fragen, die sich aus dem Tagesevangelium (Mk 3,1-6) ergeben, einfach hier im Blog.


"Was ist am Sabbat erlaubt"? (v4)

Regelkonform?
Charottenburg, Berlin, 2019.
So fragt Jesus die, die darauf lauern, dass er das Gesetz übertritt.
Ich finde es super, dass es einen Tag in der Woche gibt, an dem Ruhe herrscht – jedenfalls mehr oder weniger. Für Christen ist es der Sonntag, für Juden, auch für Jesus und die Gläubigen seiner Zeit, war und ist es der Sabbat. Es ist eine Ausnahme. Ein Innehalten. Ein Atemholen.
Doch selbstverständlich gibt es Situationen, wo es nötig oder sinnvoll ist, trotzdem zu arbeiten.
Allerdings gilt es, gut zu unterscheiden:
Was ist für mich Ruhe und Alltagsunterbrechung? Durch was kann ich Kraft schöpfen? Und an was für einem Punkt verzichte ich auf die Pause? Welche Ausnahmen genehmige ich mir?


"Und er sah sie der Reihe nach an, voll Zorn und Trauer über ihr verstocktes Herz" (v5)

Von Jesus sind hier so deutlich wie selten im Evangelium Emotionen überliefert. Doch die Engherzigkeit und Aggression von Menschen, die ohne Empathie für Schwache und Leidende ihre Regeln durchsetzen wollen, gibt es auch heute. Regeltreue ist jedoch kein christliches Primärziel (wenngleich die Kirche diesbezüglich manchmal anders agiert).
Wenn Gott auf mein eigenes Leben schaut, was würde er dann mehr sehen – Mitgefühl und Hilfsbereitschaft oder Regelobservanz und Sicherheit in den Regeln?
Mit welchen Gefühlen würde Jesus mich wohl anschauen?


Sie "fassten ... den Beschluss, Jesus umzubringen." (v6)

Es ist eigentlich lächerlich, aus welcher Banalität sich hier solche Aggressionen aufbauen. Nur wegen einem relativ kleinen Regelbruch durch Jesus, so suggeriert uns der Evangelist, hat man ihn schon auf der Abschussliste.
Ich frage mich an dieser Stelle: Woher nur diese ungeheure Aggression? Welches Weltbild gerät da durch Jesus ins Wanken, das mit aller Macht und um jeden Preis geschützt werden muss?
Oder, vielleicht eine Nummer kleiner und persönlicher:
An welchem Punkt werde ich selbst leicht angepickst und überreagiere vielleicht auch mal? Was braucht es, um mich aus der Deckung zu locken und meine Aggression zu wecken?



PS: Die Frage nach der Regeltreue hätte im Knast noch einen ganz speziellen Reiz und eine ganz besondere Dynamik bekommen. Aber für die LeserInnen des Blogs mag es auf diese Weise genügen...

PPS: Ähnlich-unähnliche Gedanken zum gleichen Evangelium hier.

Überreaktion?
Zinnowitz, Usedom, 2019.

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