Elie Wiesel ist tot.
Der Autor und
Friedensnobelpreisträger, dem das eigene Überleben in Buchenwald
und das massenhafte Sterben seines Volkes angesichts eines
schweigenden Gottes zum beherrschenden Thema seiner Schriften wurde,
er ist nun im Alter von 87 Jahren gestorben.
Sein aus tiefer jüdischer
Frömmigkeit inspiriertes Werk verdient es nach meiner Meinung,
wieder und wieder gelesen zu werden. Denn in seinen Romanen und
Erinnerungen, Essays und Reden spiegelt sich das Ringen eines
Versehrten um den Gott Israels mitsamt den Zweifeln am
Bundesversprechen gegenüber seinem Volk, das sich im Holocaust dann
so verlassen fühlte.
Blick ins Dunkle. Pei-Bau des DHM, Berlin-Mitte, 2015. |
In dem Dokumentarfilm "Herr
Zwilling und Frau Zuckermann" von Volker Koepp erzählt die
greise Frau Zuckermann von einem Jom Kippur in ihrer Heimat, die ganz
nahe der Heimat Wiesels liegt:
"Alle Juden und
Jüdinnen sind in den Tempel ..., in den 55 Synagogen, die es in
Czernowitz gegeben hat, gesessen und haben Gott gebeten um ein gutes
Schicksal. Und nachher hat Gott sie alle betrogen und hat ihnen das
böseste Schicksal beschert, das es überhaupt ..., das überhaupt
einen Menschen treffen kann."
Dieses Gefühl des
Verratenseins kannte auch Wiesel gut. Er fand sich in ständigem
Fragen nach diesem Gott, den er im Talmudstudium aus den Gedanken der
Alten kennengelernt hatte und der nun nicht mehr verstehbar war.
Gleich der biblischen Hiobsgestalt versuchte er an Gott und am
Glauben an den Menschen festzuhalten:
"Ich ziehe es vor,
mich auf die Seite Hiobs zu stellen, der die Fragen und nicht die
Antworten, das Schweigen und nicht das Reden gewählt hat. Hiob hat
seine eigene Tragödie niemals begriffen, die letzten Endes nur die
Tragödie eines von Gott verratenen Menschen ist; ungleich schwerer
wiegt es, von seinesgleichen verraten zu werden."1
Doch es gab keine gültigen
Antworten mehr über die Menschen und keine brauchbare Rede mehr über
Gott. Der Kulturbruch, den das fabrikmäßige Morden in Auschwitz
darstellte, stellte für Gläubige wie für Ungläubige alles in
Frage – vor allem angesichts dessen, dass das Leben einfach
weiterging. Im Gespräch mit Jorge Semprun drückt Wiesel das Dilemma der Zeugen so aus: "Schweigen ist verboten, Sprechen ist
unmöglich."2
Darum und trotzdem stellte
Wiesel sein Leben nach dem Krieg in den Dienst der Versöhnung und
der Verständigung, trotz aller Ernüchterung.
Er wählte den Weg des
Schreibens und des Sprechens über seine Erfahrungen. Es ging um das
Mitteilen des Unglaublichen, dass auch nach dem Überleben, im Gefühl
der Schuld gegenüber den Toten, noch Dank und Glaube möglich ist:
"Keiner ist so der Dankbarkeit fähig wie jemand, der dem
Königreich der Nacht entkommen ist. Wir wissen, dass jeder Moment
ein Moment der Gnade ist, jede Stunde ein Geschenk; sie nicht zu
teilen hieße sie zu verraten."3
Die Verantwortung für das Kommende dagegen sieht er in die Hände der Menschen gelegt. So lässt er seinen Romanhelden Gregor aus "Die Pforten des Waldes" sagen:
"Ob der Messias
kommt oder nicht, gleichviel. Wir werden ohne ihn auskommen müssen.
... Wir werden aufrichtig sein, demütig und stark, dann wird er
kommen, tausendmal am Tag. Er wird kein Gesicht haben, denn er wird
tausend Gesichter haben."4
Das ist Gottes Gegenwart
unter den Menschen, das ist die Aufgabe der Menschen, unsere Aufgabe,
nicht die Hoffnung auf das Gute zu verlieren.
Elie Wiesel hat sich dieser Aufgabe bis zu seinem Tod gestellt.
Friede seinem Andenken.
Baustoffreste. Schöneberg, Berlin, 2016. |
1 E.
Wiesel, Gesang der Toten. Erinnerungen und Zeugnis. Freiburg i.Br.
1987, 160f.
2 E.
Wiesel / J. Semprun, Schweigen ist unmöglich. Frankfurt a.M.
edition suhrkamp 2012, 18.
3 E.
Wiesel, Gesang der Toten. A.a.O., 180f.