Dienstag, 27. Februar 2018

Augenfasten. Eine Anregung im Gefängnis (und anderswo)

"Jeder, der eine Frau ansieht, um sie zu begehren, hat in seinem Herzen schon Ehebruch mit ihr begangen.
Wenn dich dein rechtes Auge zum Bösen verführt, dann reiß es aus und wirf es weg!
Denn es ist besser für dich, dass eines deiner Glieder verloren geht, als dass dein ganzer Leib in die Hölle geworfen wird." (Mt 5,28-29)

Eine Aussage, die es in sich hat! Jesus, der sie in der Bergpredigt ausspricht, macht damit klar, dass es nicht immer ganz furchtbare Dinge sein müssen, die uns von Gott oder von einander entfernen. Manchmal reicht ein Blick.

Nur Himmel.
Über Niedergrunstedt, 2017.
Aber vielleicht fange ich noch ein bißchen allgemeiner an. Ich für mich kann sagen: Manche Dinge muss ich nicht sehen!
Derzeit gehe ich auf dem Weg ins Gefängnis regelmäßig an einer Werbung für eine Art Zirkus-Freakshow vorbei und es ekelt mich jedesmal, wenn ich diese Werbung sehe. Aber zugleich bin ich auch nicht wirklich fähig, nicht hinzusehen. Die Ekelbilder spielen ja gerade damit, dass ich hinschaue, um angewidert wieder wegzusehen.

Auch wenn ich die Einrichtung mancher Zellen mit den vielen Bildern mehr oder weniger schöner und mehr oder weniger nackter Frauen sehe, denke ich manchmal: Das möchte ich eigentlich nicht sehen, das muss ich eigentlich nicht sehen.
Aber ich schaue dann eben doch manchmal hin.

Was hat es also auf sich mit diesen Dingen, die ich sehen oder nicht sehen will?

Der Jesuit und Kollegsrektor Klaus Mertes hat 2009 ein paar Gedanken zu diesem Thema aufgeschrieben. Er berichtete vom Wirbel um die Internetseite "spickmich.de", auf der Lehrer bewertet werden können und das beschäftigt ihn: "Jetzt stand ich vor zwei Fragen. Erstens: Stehe auch ich drin und wenn ja, wie werde ich dort bewertet? Zweitens: Soll ich im Internet nachschauen, um das zu überprüfen? ganz im Hintergrund regte sich dabei die Neugier: Es wird sich bei dieser Gelegenheit nicht vermeiden lassen, mit halbem Auge zu sehen,welche anderen Kollegen und Kolleginnen dort wie bewertet werden. Nach einigen Überlegungen entschied ich: Ich werde mir dieses Portal erst gar nicht ansehen."

Er benennt das mit dem alten Wort "Keuschheit": "Völlige Enthaltsamkeit des Hinsehens und auch des Hinhörens. Sie ist wie ein Schutzmantel für meine Beziehung zu den Menschen, mit denen ich zusammenlebe. Ihr geistlicher Feind ist die voyeuristische Neugierde. Dieser Drang nach Sehen- und Mitredenwollen dringt von außen in Intimsphären ein und verstört die Beteiligten in ihrem Blick aufeinander."1

Es geht also nicht so sehr darum, dass "man" so etwas nicht tut oder dass es moralisch nicht geboten ist, sondern in erster Linie darum, dass mir viele Dinge einfach nicht gut tun.
Ich muss mich also entscheiden. Bei nackten Frauen ebenso wie bei Ekelbildern, Horrorfilmen, Gewaltdarstellungen, Bewertungen und und und.

Das Sehen und die Bilder prägen mich zuinnerst. Das ist es, was Jesus meint, wenn er sagt, dass lüstern zu schauen schon wie Ehebruch ist.
Das Sehen bleibt nicht außen. Es geht tief in mich hinein und rührt an mein Innerstes.
Von Zeit zu Zeit ist das ja auch bis in die Träume hinein zu spüren.

Darum ist diese Entscheidung so wichtig: 
Welche Bilder will ich überhaupt in mich hereinlassen? 
Von welchen Bildern will ich umgeben sein, auch ganz konkret in meinem Haftraum? 
Welche Bilder sollen mich und mein Denken prägen?

Ich lade dazu ein, am Abend eines Tages einmal ein paar Minuten ohne Radio und ohne Telefon in größtmöglicher Stille, so das möglich ist, die inneren Bilder des Tages hochkommen zu lassen. 
Was ich oft sehe und was ich hier gar nicht mehr sehe. 
Was mein Herz anrührt, wenn ich es sehe.

Und vielleicht kann es auch helfen, ein paar Tage mal bestimmten Bildern aus dem Weg zu gehen. Oder den Fernseher aus zu lassen. Auch gegen innere Widerstände.

Das kann mir helfen, den Geist freizubekommen, was Gott mir für mein Leben zeigen möchte.
Und es wird, wie Klaus Mertes es nennt, auch eine Art "Schutzmantel" für mich selbst sein.


1   K. Mertes, Ganz und gar wegsehen. In: Jesuiten. 3/2009, 16f; hier: 16.