In der erzieherischen Interaktion mit
Kindern, noch dazu den eigenen, stellt sich mir als Theologen immer
mal die Frage, welches Gottes- und Menschenbild ich denn durch mein
praktisches Handeln vermittle. Konkret formuliert: Wie müssten meine
Kinder sich Gott vorstellen, wenn sie (unbewusst) Maß nehmen an
meinem Eingehen auf sie und diese Erfahrungen auf ihr Gottesbild
übertragen?
Damit will ich natürlich keine
quasigöttliche Anmaßung vornehmen, sondern gehe einfach davon aus,
dass menschliche Beziehungserfahrungen Einfluss haben auf unsere
Vorstellungen von Gott – im Guten wie im Schlechten.
Licht im Abgang. Melanchthonhaus, Wittenberg, 2015. |
Einerseits wünsche ich mir, dass das
Urvertrauen, angenommen zu sein und bedingungslos geliebt zu werden,
die grundlegende Prägung ist, die dann auch in der langsam
wachsenden persönlichen Beziehung zu Gott fruchtbar werden kann.
Andererseits erhoffe ich natürlich,
dass durch mein Mitleben Tat- und Entschlusskraft geweckt werden und
der Mut zum eigenverantwortlichen Handeln wächst.
Gnadentheologisch ausgelegt gibt es
wohl unterschiedliche Phasen und Situationen, in denen mal das eine,
mal das andere stärker betont werden müssen. Etwas schematisiert
lassen sich drei Vorstellungsmodelle unterscheiden.
1
Das eher paulinisch-protestantische
Modell ist das der reinen Gnade, das zum Kind sagen würde:
"Du musst dir meine Liebe nicht
erkaufen. Ich schenke sie dir ohne Gegenleistung."
Ein solches Verständnis von Gott und
Mensch wäre ganz im Sinne der gestrigen Lesung aus dem Epheserbrief,
in dem es hieß: "aus Gnade seid ihr durch den Glauben
gerettet, nicht aus eigener Kraft – Gott hat es geschenkt - , nicht
aufgrund eurer Werke, damit keiner sich rühmen kann." (Eph
2,8f)
2
Ein anderes, eher mittleres Modell ist
das katholisch-orthodoxe, das darauf baut, dass Gott uns zur
Mitwirkung mit der Gnade auffordert. Hier wäre der typische Satz an
das Kind:
"Mach doch wenigstens ein bisschen
mit."
oder, von der anderen Seite:
"Lass dir helfen, damit es
klappt."
Beispielhaft dafür steht in der Bibel
Maria, deren Zusage "Mir geschehe, wie du es gesagt hast"
(Lk 1,38) die Bedingung für Gottes Handeln an ihr ist. Die freie
Einwilligung des Menschen für Gottes Eintreten in dessen Leben
eröffnet Raum für ein Beziehungsgeschehen.
3
Das dritte Modell betont die
Möglichkeit des Menschen, verantwortlich zu handeln. Religiöse
Ethik ist weitgehend auf dieser Vorstellung aufgebaut. Dem Kind
gegenüber äußert dieses Denken:
"Das schaffst du doch schon
allein. Streng dich etwas an, dann klappt es!"
Die Imperative der Bergpredigt stellen
diese Art von Ansprüchen an den Menschen, auch wenn sie oftmals eine
moralische Überforderung zu sein scheinen, wenn es darin zum
Beispiel heißt: "Liebt eure Feinde und betet für die, die
euch verfolgen" (Mt 5,44). Dies dauerhaft aus eigener Kraft
schaffen zu wollen, zeugte wohl von starker Selbstüberschätzung,
weshalb die Ethik der Bergpredigt eingeordnet werden muss in das
Gesamt der biblischen Botschaft.
In der Erziehung ist klar, dass es
unterschiedliche Phasen der kindlichen Entwicklung gibt. So wird mal
dieses und mal jenes nötig sein.
Vielleicht gilt dies in der
Gnadentheologie analog, wenn biblisch gedacht die extremen
Straßengräben vermieden werden.
Gesunde Basis einer situativ
angepassten Gnadentheologie ist in Erziehung und Theologie nach
meiner Meinung eine lebendige Beziehung zwischen Eltern und Kind
genauso wie zwischen Gott und Mensch.
Stabile Persönlichkeiten vertrauen dem liebenden Gott – und sich selbst.
Miteinander statt Gegeneinander. Bauhausarchiv, Tiergarten, Berlin, 2015. |