"Warum guckst du zu mir?"
So fragte meine Tochter neulich, als
ich sie nach dem Zu-Bett-Bringen noch anschaute.
"Weil ich dich liebhabe",
habe ich geantwortet.
Und vielleicht ist in einem solchen
Satz auch etwas zum Verständnis des Osterfestes ausgesagt. Denn wie
ein liebevoller Vater (und ein solcher bemühe auch ich mich zu
sein), so schaut Gott voller Liebe auf uns, egal wo und in welchem
Zustand wir uns gerade befinden.
Was heißt es aber, wenn jemand einen
anderen liebt? Es gibt einen wundervollen Satz von dem Philosophen
Gabriel Marcel, der das expliziert: „Einen Menschen lieben heißt
sagen: Du wirst nicht sterben.“
Genau das ist es ja, was Liebe will:
dass es dem Anderen gut geht, dass er lebt und nicht sterben muss.
Buntes Leuchten über dem Todeszeichen St. Ignatius, Frankfurt a.M., 2018. |
Allerdings hört sich dieser Satz ein
bisschen zu schön an, denn was liegt denn tatsächlich in der Macht
eines Liebenden? Wir können unsere geliebten Menschen vielleicht ein
wenig schützen, wir können sie umsorgen, ihnen in der Not helfen,
vielleicht ihr Leben mit medizinischer Hilfe verlängern, aber das
war es dann auch schon.
Der einzige Liebende, der diesen Satz
tatsächlich sinnvoll sagen könnte, wäre Gott.
Wenn wir aber die Ostergeschichte
anschauen, dann sehen wir vor allem, dass auch Jesus, den wir
Christen ja als Gottes Sohn verehren, sterben muss. Hat Gott seinen
Sohn also nicht geliebt? Hat er nicht auf ihn geschaut, weil er
Besseres zu tun hatte? Oder konnte er ihn nicht retten?
Um dies zu beantworten, hilft es, noch
weiter zu schauen.
Denn da sticht in der beginnenden
Ostergeschichte noch ein zweiter Satz ins Auge, der auch von der
Liebe und vom Leben handelt, allerdings ganz anders.
Jesus sagt ihn zu seinen Freunden in
den so genannten Abschiedsreden im Johannesevangelium, am Abend bevor
er stirbt:
"Es gibt keine größere Liebe,
als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt." (Joh
15,13).
Das, so glauben wir Christen, war Jesu
persönliche Deutung seines eigenen Todes. Er nimmt die Last des
Menschseins auf sich, trägt die menschliche Schuld und stirbt seinenTod für die Freunde. Und noch mehr: seine Liebe ist nicht nur
radikal gegenüber seinen Freunden, sondern sogar den Feinden (also
vor allem seinen Mördern) gegenüber (vgl. Röm 5,10).
Diese Liebe also führt zum Tod,
während der andere Satz ja sagte, dass Liebe eben nicht zum Tod
führen würde.
Was denn nun?
Eine mögliche Antwort liegt im
Verständnis des Sterbens. Wenn die Liebe es ganz ernst meint, dann
setzt sie im äußersten Fall wohl auch ihr Leben für die geliebte
Person ein. Aber aus christlicher Perspektive kann dieses Sterben
nicht das Letzte sein.
Wenn Gott uns sagt, dass wir nicht
sterben müssen, dann meint dass, das der Tod unseres Körpers nicht
das letzte Wort hat, sondern er uns über dieses biologische Leben
hinaus Leben schenkt. "Du wirst nicht sterben" meint dann:
"Ich schenke dir neues Leben. Mein Leben."
Bunter Blick ins Helle. St. Nikolaus, Wittenau, 2017. |
Das ist die frohe Botschaft von Ostern.
Egal, ob wir wachen oder schlafen. Ob wir leben oder sterben. Ob wir
an Gott glauben oder nicht. Er will uns neues Leben schenken. Und
dieses neue und ewige Leben beginnt nicht erst nach dem irdischen
Tod, sondern schon jetzt, wenn wir uns Gottes Liebe anvertrauen,
nicht mehr uns selbst in den Blick nehmen und aus seinem Geist leben.
Paulus sagt klipp und klar, was für jeden Getauften gilt: "Nicht
mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir." (Gal 2,20)
Der erste Johannesbrief überträgt
diesen Gedanken auf unser jetziges Leben und macht die Konsequenzen
klar. Denn zu behaupten, das ewige Leben des auferstandenen Christus
in sich zu haben, ist reichlich vermessen.
Deswegen nennt er ein Kriterium:
"Wir wissen, dass wir aus dem
Tod in das Leben hinübergegangen sind, weil wir die Brüder lieben.
Wer nicht liebt, bleibt im Tod." (1Joh 3,14)
Hier schließt sich der Kreis: Jesu
Liebe ging bis in den Tod. Gottes Liebe aber ließ ihn nicht im Tod,
sondern beschenkte ihn neu mit Leben. Alles, was Gott tut, geschieht aus Liebe. Sei es Tod oder sei es Leben. Dieses neue Leben ist uns allen
verheißen. Schon jetzt. Unsere Liebe ist das Zeichen dafür, dass
wir aus diesem neuen Leben der Auferstehung leben.
Das gilt hoffentlich auch für meine
unvollkommene Vaterliebe.
Kleiner Bonus aus dem Osterevangelium:
Die Frauen, die am Ostersonntagmorgen
mit dem Salböl zum Grab gehen, fügen noch eine weitere Komponente
hinzu: Sie lieben Jesus sogar im Tod. Nur deshalb gehen sie zur
Grabstätte dieses Hingerichteten: Weil sie in ihrer Trauer
wenigstens etwas für den von ihnen verehrten Rabbi tun wollen. Ihre
Liebe macht ihn zwar nicht lebendig, aber sie sorgt dafür, dass sie
die ersten Zeuginnen der Auferstehung werden. Auch diese erste
Verkündigung also ist Frucht einer Liebe.
Bunte Zukunft im Himmelsfenster. Christian-Schreiber-Haus Alt-Buchhorst, Grünheide, 2016. |