Freitag, 30. März 2018

Karfreitag. Von einem, der die Schulden übernimmt.

Am Karfreitag ist keine lange Predigt vorgesehen. Die Texte und die Liturgie wirken für sich.
Zugleich wird hier das Zentrum des christlichen Glaubens gefeiert und da wäre es doch schade, wenn es keine Erläuterungen gibt. Darum einige wenige Gedanken.

Stellen Sie sich vor, Sie haben einen Haufen Schulden. Ich weiß, gerade hier im Gefängnis werden viele sich das sehr leicht vorstellen können und schon bei dem Gedanken Herzrasen bekommen. Die Anderen kennen es mindestens aus der Nähe. Anwalts- oder Gerichtskosten, Schulden wegen des Tabakkonsums ohne vorherigen Einkauf, Privatinsolvenz, Geldstrafen und so fort.
Fast alle der Männer, mit denen ich spreche, kennen dieses Problem, Schulden zu haben.
Aber niemand spricht gern darüber.
Es ist peinlich, es ist schweißtreibend, es ist versklavend und zermürbend, es sitzt einem ständig im Nacken. Ein ekelhaftes Gefühl, dass immer irgendjemand etwas haben will von mir.

Zwei Arme an einem Kreuzbalken?
Grünheide, 2017.
Und nun stellen Sie sich vor, da kommt einer, der alle diese Schulden übernimmt. Ohne etwas dafür zu verlangen. Das ist in diesem Fall das Entscheidende.

Denn genau darum geht es am Karfreitag. Jesus nimmt unsere Schuld fort, ohne dass wir etwas dafür tun müssen.
Allerdings sind es nicht unsere Finanzen, die übernommen werden, so schön das vielleicht wäre.

Nein, Jesus nimmt alles, was sich im Laufe eines Lebens aufhäuft an Aggression und Wut, an Ärger über die Nachbarn, an kleinen Gemeinheiten, an hinterhältigen Gedanken, an "Das zahl ich dir heim"-Sprüchen, an Betrügereien und Unehrlichkeiten, an Gewalttätigkeiten, an Kontaktabbrüchen, an Geschrei und an ich weiß nicht welchen Kleinigkeiten und Großuntaten.
Ob es uns bewusst ist oder nicht, ob es uns leid tut oder nicht, ob es unser Gewissen belastet oder nicht - alles, was sich unter Schuld summieren lässt, nimmt er weg.
Und das ist - im übertragenen Sinne - nicht leichtgewichtig. Er hat ganz schön zu schleppen daran.

Aber wie?
Der Normalfall ist der, den beispielsweise der Film "Drive" von 2011 erzählt.
Der namenlose Fluchtwagenfahrer (Ryan Gosling), lernt, Schrecken jedes Inhaftierten, eine junge hübsche Frau kennen, deren Mann im Gefängnis sitzt. Man kommt sich näher, nicht zu nah, aber ein paar Ausflüge, spielen mit dem Sohn, romantische Blicke sind schon drin. Er scheint ein guter Mensch zu sein, dieser Fahrer.
Dann wird der Mann, Standard, gespielt von Oscar Isaac, entlassen und kommt nach Haus. Alles ändert sich. Vor allem zeigt sich, dass der Haftentlassene eine Menge mitgemacht hat und natürlich: er bringt Schulden mit. Die Gläubiger kommen und verprügeln ihn. Außerdem bedrohen sie die Familie, weshalb nun der Fahrer aktiv wird. Er springt bei einem abgekarteten Überfall, mit dem die Schuld beglichen werden soll, als Fahrer ein.
Nun geht alles schief: Standard wird getötet, der Fahrer kann fliehen und versucht für den Rest des Filmes, das erbeutete Geld loszuwerden und durch das Begleichen der Schuld die Frau mit dem Jungen zu retten.
Wer stirbt hier für die Schuld?
Der Schuldner selbst stirbt, auch wenn er Hilfe bekommt. Aber was nützt ihm das?
Am Ende ist der Fahrer zwar wegen seines Einsatzes stark mitgenommen, aber er lebt noch – im Gegensatz zum Schuldner, der Opfer seiner Schuld wird.

Im christlichen Glauben ist es anders: Am Ende lebt der Schuldner noch – aber der Retter, Jesus, ist gestorben. Für die Schuld der anderen wirft er sich in die Bresche.

Hier toben theologische Grabenkämpfe:
Kann ein anderer stellvertretend für mich die letzte Verantwortung übernehmen? Tut Jesus das überhaupt? Wie kann mir (und allen Menschen) zugute kommen ("angerechnet" werden), was Jesus getan hat? Kann Gott nicht einfach so alles vergeben? Und so fort.
Ich kann das nicht ausdiskutieren, schon gar nicht hier.

Alles anders bei Gott.
Tabernakel-Schatten, Stella Maris, Binz, 2016.
Totzdem einige Stichpunkte:
 
Sie kennen es – jeder hat einen Anwalt. Aber der Anwalt hilft erstens nur gegen Entgelt und zweitens übernimmt er am Ende nicht die Strafe, auch wenn er hoffentlich etwas Gutes bewirkt hat. Niemand kann für einen anderen bestraft werden, selbst wenn er das wollte und für einen anderen in Haft gehen würde. Geldstrafen kann die Oma noch bezahlen – aber dann hört es auch schon auf. Für manche Dinge muss man in unserem Rechtssystem selbst geradestehen, diese Verantwortung kann uns keiner abnehmen.
Nicht so bei Gott.

Und: Ich als Tabakverteiler bin sicher kein Erlöser. Auch wenn es manchem schon so vorgekommen sein mag, wenn er mit katholischem Tabak einen Teil seiner Schulden bezahlen konnte. Sei's drum, mich stört das nicht, solange es nicht meine Hauptaufgabe wird. Aber mich kostet es nichts, wenn ich dies tue.
Nicht so bei Gott.

Vor Gericht geht es um Bestrafung. Jemand hat ein Verbrechen begangen und damit Schuld auf sich geladen, dafür soll er nun sühnen. Seine Bestrafung fordert die medial eingeschworene Gesellschaft und das Rechtsbuch, wenn auch aus verschiedenen Gründen.
Nicht so bei Gott.

Ryan Gosling im Film ist sicher nett. Und er meint es gut. (Allerdings hat er selber ganz klar etwas davon, dass der eigentliche Schuldner stirbt, auch wenn er es nicht will.) Aber er liebt nicht den verschuldeten Standard, sondern seine Frau.
Nicht so bei Gott.

Bei Gott ist es nach christlicher Überzeugung so:
Gott selbst leidet mit den Menschen mit unter der Last ihrer Schuld. Denn Schuld bedeutet Belastung, für die Opfer sowieso, aber auch für die Täter, die Schuldigen. Und in Jesus leidet er ganz real mit, für die Schuldigen, auf der Seite der Opfer: Der ewige Sohn, wird ein endlicher Mensch und lässt sich aus Liebe treffen von all dem Bösen im Menschen, von all den Sünden, die ihn schließlich ganz praktisch am Kreuz umbringen. Da ist er ganz sterblicher Mensch.
In seinem Tod stirbt das, was die Menschen von Gott trennt, mit ihm. Das heißt, die Schuld ist fort, der Tod stirbt mit Jesus in dessen Tod.
Nicht wir Menschen müssen das leisten, nein, er selbst stellt uns wieder richtig. Wir sind zwar verantwortlich für das, was wir tun, aber Gott umarmt auch unsere Verantwortungslosigkeit.

Das Christentum steht darum für eine religiöse Richtungsumkehr, die Joseph Ratzinger in seiner "Einführung in das Christentum" besonders betont:
"Gott wartet nicht, bis die Schuldigen kommen und sich versöhnen, er geht ihnen zuerst entgegen und versöhnt sie. [...] [Das Kreuz] steht nicht da als die Versöhnungsleistung, die die Menschheit dem zürnenden Gott anbietet, sondern als Ausdruck jener törichten Liebe Gottes, die sich weggibt, in die Erniedrigung hinein, um so den Menschen zu retten; es ist sein Zugehen auf uns, nicht umgekehrt."1
Wenn ich oben gesagt habe, das Gott nichts dafür haben will, stimmte das nur zur Hälfte.

Wir müssen uns schon lieben lassen von dieser "törichten Liebe Gottes", die bis ans Kreuz geht für uns. Das sind unsere "Kosten".

Gleiches gilt beim Thema Strafe: Der evangelische Theologe K.-P. Jörns betont Gottes übergroße Liebe, die andere Maßstäbe setzt: „Wenn wir Schuld auf uns laden, ist nicht Strafe oder gar Todesstrafe die Antwort, sondern Vergebung, und zwar ohne dass zuvor Blut hat fließen müssen! Allein aus Liebe zum Leben.2
Jörns will betonen, dass es zur Versöhnung mit Gott kein blutiges Opfer als Strafersatz brauchte, wie die Theologie lange Zeit behauptete. Gott liebt uns auch so. Aber diese Liebe führt in der Brutalität der Welt manchmal bis dahin, dass Blut fließt, auch wenn es nach Gottes Willen gar nicht sein müsste. Schuld kostet eben.

Entscheidend ist, dass wir zu dem stehen, was wir getan haben und uns lieben lassen von diesem Gott, der alles für uns gegeben hat – das wird uns verändern und in die Versöhnung mit Gott führen.
Das ist die wahre Resozialisierung der Schuldigen: Sich lieben lassen, bis ans Kreuz.

Resozialisierung im Dunkel?
Neukölln, Berlin, 2017.


1   J. Ratzinger, Einführung in das Christentum. 2. Aufl. München 1972, 206.
2
   Der Sonntag, Nr. 7 vom 18.02.2018