Das Gefängnis, denke ich oft, ist kein
guter Boden für einen Menschen, der dorthin kommt.
Die Langeweile, die Versuchungen,
Drogen zu nehmen, die teilweise unangenehmen Nachbarn, das Empfinden
von Willkür durch "das System", der Abbruch vieler
Kontakte nach draußen, die Entbehrung sinnvoller Tätigkeiten, die
weitgehende Unklarheit, wann Erleichterungen möglich sind, die
ewiggleiche Rhythmus der Tage, die größtenteils herrschende
Entmündigung und viele andere Dinge führen dazu, dass die
wenigsten Menschen sich gut entfalten können.
Der bekannte Satz aus dem Evangelium
des Sonntags (Joh 12,20-33), nachdem das Weizenkorn in die Erde
fallen und sterben müsse, damit es Frucht bringen kann (Joh 12,24),
birgt in sich viele ungenannte Voraussetzungen und eine Menge
möglicher Abwege.
Am Beispiel des Gefängnisses möchte
ich zwei nennen.
Kanal mit totem Holz. Brandenburg, 2016. |
Wenn das Weizenkorn in sumpfige Erde
fällt, verschimmelt es.
So ist Gefängnis oft: Keine Luft zum
Atmen, wenig anregende Abwechslungen, immer das gleiche Milieu –
ein Alptraum, aus dem man nicht entweichen kann. Das gleiche klebrige
Umfeld, das einen ins Gefängnis gebracht hat, ist weiterhin da,
echte Freundschaft gibt es nicht häufig.
Bewegung, Veränderung und
Weiterentwicklung sind selten möglich, also bleibt alles so, wie es
war. Und der Same vergammelt innerlich, wird faul und matschig.
Eine Voraussetzung zum Wachsen wäre
also der Takt der Veränderung, die frischen Anregungen des Wassers
ebenso wie locker-leichte Umgebung guter Erde.
Wenn das Weizenkorn zwischen die Steine
gerät, vertrocknet es und wird aufgerieben.
An allen Ecken und Enden lauern
Menschen, die etwas von einem Gefangenen wollen. Seien es die
diensttuenden Beamten, die Sozialarbeiterinnen, die Mithäftlinge,
die Psychologinnen oder sonstwer. Die andauernden Ansprüche trocknen
den Samen aus.
Die Härte des alltäglichen Umgangs
reibt am Charakter, mal durch unbarmherzige Bedienstete, die es als
ihre persönliche Aufgabe ansehen, den Alltag schwer zu machen
(Sicher, es gibt auch andere!), mal durch den Loyalitätsdruck, der
seitens der Mitgefangenen aufgebaut wird.
Zweckfreie Begegnungen, die
Kraftquellen aufschließen und keine Forderungen stellen – das ist
u.a. Aufgabe der Seelsorge, damit der raue Alltag und die Umgebung,
die oft genug keine Energie zu geben vermag, zur Fruchtbarkeit
führen.
Die eingangs genannten
Problemstellungen aus dem Gefängnis treffen in vielerlei Hinsicht
allerdings auch auf monastische Gemeinschaften in der katholischen
Kirche zu – der wesentliche Unterschied allerdings ist
(hoffentlich), dass Mönche und Nonnen ihren Aufenthalt im Kloster
als sinnvolle Lebensgestaltung ansehen.
Das Johannesevangelium bezieht das Wort
vom Weizenkorn auf Jesus und seinen Tod. Jesu Haft und Hinrichtung
war in vielerlei Hinsicht kein guter Boden – willkürlich, brutal,
bedrängend und unbarmherzig.
Aber auch für ihn gilt der genannte
entscheidende Unterschied: er hat in seinem "ureigenen Tod"
(H. Schürmann) göttlichen Sinn gefunden: "Was soll ich
sagen: Vater rette mich aus dieser Stunde? Aber deshalb bin ich in
diese Stunde gekommen." (v27)
Dieses Vertrauen in Gottes Führung hat
sein Leiden und seinen Tod zu einem fruchtbaren Werk gemacht.
Nachbemerkung:
Natürlich können Menschen und
Pflanzen auch unter widrigen Bedingungen gut gedeihen, wie mir eine
Bemerkung von Erling Kagge in seinem einsichtsreichen Buch "Stille.
Ein Wegweiser" noch einmal vor Augen führte. Auf einem
Parkplatz mitten in New York "bemerkte ich einen einzelnen
Baum, der sich an der Fassade eines heruntergekommenen Hauses
hochdrückte. [...] Warum stand der Baum genau dort? Wie hatte er es
geschafft, mit seinen Blättern, Knospen und Blüten, seiner Rinde,
seinem Moos, seinen Zweigen und kleinen Tieren die Jahreszeiten zu
überleben? Eines der großen Mysterien der Welt ist, wie organische
Schönheit still aus der Erde wächst. Genau dort, auf wenigen
asphaltfreien Quadratzentimetern Erde, war es noch faszinierender.
[...] Beinahe wäre ich hinübergegangen und hätte ihn umarmt und
gestreichelt."1
Auch Letzteres ist im Gefängnis von
Zeit zu Zeit sinnvoll und nötig.
Grün in der Stadt. Neukölln, Berlin, 2017. |
1 E.
Kagge, Stille. Ein Wegweiser. 3. Aufl. Berlin 2018, 62f.