Samstag, 17. März 2018

Wenn das Weizenkorn in die Erde fällt und verschimmelt. Gefängnis und Evangelium

Das Gefängnis, denke ich oft, ist kein guter Boden für einen Menschen, der dorthin kommt.

Die Langeweile, die Versuchungen, Drogen zu nehmen, die teilweise unangenehmen Nachbarn, das Empfinden von Willkür durch "das System", der Abbruch vieler Kontakte nach draußen, die Entbehrung sinnvoller Tätigkeiten, die weitgehende Unklarheit, wann Erleichterungen möglich sind, die ewiggleiche Rhythmus der Tage, die größtenteils herrschende Entmündigung und viele andere Dinge führen dazu, dass die wenigsten Menschen sich gut entfalten können.

Der bekannte Satz aus dem Evangelium des Sonntags (Joh 12,20-33), nachdem das Weizenkorn in die Erde fallen und sterben müsse, damit es Frucht bringen kann (Joh 12,24), birgt in sich viele ungenannte Voraussetzungen und eine Menge möglicher Abwege.
Am Beispiel des Gefängnisses möchte ich zwei nennen.

Kanal mit totem Holz.
Brandenburg, 2016.
Wenn das Weizenkorn in sumpfige Erde fällt, verschimmelt es.
So ist Gefängnis oft: Keine Luft zum Atmen, wenig anregende Abwechslungen, immer das gleiche Milieu – ein Alptraum, aus dem man nicht entweichen kann. Das gleiche klebrige Umfeld, das einen ins Gefängnis gebracht hat, ist weiterhin da, echte Freundschaft gibt es nicht häufig.
Bewegung, Veränderung und Weiterentwicklung sind selten möglich, also bleibt alles so, wie es war. Und der Same vergammelt innerlich, wird faul und matschig.
Eine Voraussetzung zum Wachsen wäre also der Takt der Veränderung, die frischen Anregungen des Wassers ebenso wie locker-leichte Umgebung guter Erde.

Wenn das Weizenkorn zwischen die Steine gerät, vertrocknet es und wird aufgerieben.
An allen Ecken und Enden lauern Menschen, die etwas von einem Gefangenen wollen. Seien es die diensttuenden Beamten, die Sozialarbeiterinnen, die Mithäftlinge, die Psychologinnen oder sonstwer. Die andauernden Ansprüche trocknen den Samen aus.
Die Härte des alltäglichen Umgangs reibt am Charakter, mal durch unbarmherzige Bedienstete, die es als ihre persönliche Aufgabe ansehen, den Alltag schwer zu machen (Sicher, es gibt auch andere!), mal durch den Loyalitätsdruck, der seitens der Mitgefangenen aufgebaut wird.
Zweckfreie Begegnungen, die Kraftquellen aufschließen und keine Forderungen stellen – das ist u.a. Aufgabe der Seelsorge, damit der raue Alltag und die Umgebung, die oft genug keine Energie zu geben vermag, zur Fruchtbarkeit führen.

Die eingangs genannten Problemstellungen aus dem Gefängnis treffen in vielerlei Hinsicht allerdings auch auf monastische Gemeinschaften in der katholischen Kirche zu – der wesentliche Unterschied allerdings ist (hoffentlich), dass Mönche und Nonnen ihren Aufenthalt im Kloster als sinnvolle Lebensgestaltung ansehen.

Das Johannesevangelium bezieht das Wort vom Weizenkorn auf Jesus und seinen Tod. Jesu Haft und Hinrichtung war in vielerlei Hinsicht kein guter Boden – willkürlich, brutal, bedrängend und unbarmherzig.
Aber auch für ihn gilt der genannte entscheidende Unterschied: er hat in seinem "ureigenen Tod" (H. Schürmann) göttlichen Sinn gefunden: "Was soll ich sagen: Vater rette mich aus dieser Stunde? Aber deshalb bin ich in diese Stunde gekommen." (v27)

Dieses Vertrauen in Gottes Führung hat sein Leiden und seinen Tod zu einem fruchtbaren Werk gemacht.
 
Nachbemerkung:
Natürlich können Menschen und Pflanzen auch unter widrigen Bedingungen gut gedeihen, wie mir eine Bemerkung von Erling Kagge in seinem einsichtsreichen Buch "Stille. Ein Wegweiser" noch einmal vor Augen führte. Auf einem Parkplatz mitten in New York "bemerkte ich einen einzelnen Baum, der sich an der Fassade eines heruntergekommenen Hauses hochdrückte. [...] Warum stand der Baum genau dort? Wie hatte er es geschafft, mit seinen Blättern, Knospen und Blüten, seiner Rinde, seinem Moos, seinen Zweigen und kleinen Tieren die Jahreszeiten zu überleben? Eines der großen Mysterien der Welt ist, wie organische Schönheit still aus der Erde wächst. Genau dort, auf wenigen asphaltfreien Quadratzentimetern Erde, war es noch faszinierender. [...] Beinahe wäre ich hinübergegangen und hätte ihn umarmt und gestreichelt."1
Auch Letzteres ist im Gefängnis von Zeit zu Zeit sinnvoll und nötig.

Grün in der Stadt.
Neukölln, Berlin, 2017.


1   E. Kagge, Stille. Ein Wegweiser. 3. Aufl. Berlin 2018, 62f.