Da sich mir die Parallelen nur so
aufdrängen, hier noch ein Beispiel zu dem Jesuswort des letzten
Sonntagsevangeliums: Wenn etwas "in sich gespalten ist, kann
es keinen Bestand haben." (Mk 3,24)
Frank Richter,
ehemaliger Direktor der Sächsischen Landeszentrale für politische
Bildung, macht die zentrale Aufforderung seines aktuellen Büchleins
auch zu dessen Titel: "Hört endlich zu!"1
Darin beklagt er vornehmlich die
weitgehende Diskursunfähigkeit sowohl vieler liberaler Bürger als
auch jener "besorgten Bürger", die sich von der
Globalisierung und allem Fremden unter Druck gesetzt fühlen, in
ihrer Auseinandersetzung mit den Positionen der je andern Seite.
Verhinderter Blick auf den Sächsischen Landtag. Elbufer, Dresden, 2017. |
Besonders bei den BürgerInnen aus der
ehemaligen DDR diagnostiziert Richter eine verbreitete Unfähigkeit
und fehlende Bereitschaft, sich mit dem demokratischen System
jenseits technizistischer Vorstellungen von Mehrheitsentscheidungen
auseinanderzusetzen.
Die Unfähigkeit, einander zuzuhören
und einander als gleiche und vollwertige Gesprächspartner
anzuerkennen, korrespondiert nach Richter mit der Schwierigkeit der
politisch Verantwortlichen, "den Menschen in einer
komplizierten und für sie unübersichtlichen Welt vernünftige
Erklärungen und glaubwürdige Perspektiven so zu vermitteln, das sie
diese verstehen und akzeptieren können, oder, noch besser, diese
gemeinsam mit ihnen zu entwickeln".2
Gegen diese faktische Spaltung in jene,
die politische Debatten setzen und mitbestimmen und jene, die sich
davon abgekoppelt fühlen, setzt der ehemalige Theologe und
DDR-Bürgerrechtler seine Erfahrungen im Umgang mit dem 13. Februar
als Tag der Erinnerung an die Zerstörung Dresdens. Bevor linke und
rechte Gruppen einander im Jahr 2012 nach langem Disput (und
gewaltsamen Auseinandersetzungen im Jahr 2011) zugestanden,
unterschiedliche Blickwinkel auf das historische Ereignis und sein
Gedenken haben zu können, investierte er mit anderen eine lange
moderierende Arbeit, um Stück für Stück Vertrauen
wiederherzustellen. "Eine Basis des wechselseitigen Respekts
vor dem guten Willen der politischen Gegner führte schließlich zu
tatsächlich angenehmen und konstruktiven Gesprächen."3
Etwas grundsätzlicher fügt er hinzu:
"Ich halte das 'agree to disagree' für eine politische
Kulturleistung. Wir sind uns einig, dass wir uns nicht einig sind.
Wir streiten hart in der Sache und bleiben als Menschen gut
beieinander, weil uns eine demokratische Überzeugung verbindet und
die Basis des Zusammenlebens erhalten bleibt."4
Die Rückbesinnung auf Respekt und eine
gemeinsame Wertgrundlage kann also ein Weg sein, Spaltung zu
überwinden. Aber dafür braucht es ganz praktisch Dialog und
Auseinandersetzung, und gerade das ist bisweilen von beiden Seiten
nicht gewollt.5
Frank Richter nämlich hat seinen
Einsatz gegen die Aufspaltung in voneinander abgeschlossene Lager und
für einen Dialog mit den Anhängern von Pegida teuer mit Angriffen
gegen seine Person bezahlt. Von linken Gruppierungen (und nicht nur
von diesen) wurde er als "Pegidaversteher"6
beschimpft und bekam zu hören, dass man sich beim Zuhören mit
Menschenfeinden gemein mache, weshalb ein Dialog sich verbiete.
Ich glaube jedoch, Einigkeit oder auch
nur Verständnis für die eigene Position erreicht man nicht, indem
man sich gegenseitig mundtot macht oder verteufelt oder gänzlich
ignoriert.
Bei aller nötigen Kritik an
inhaltlichen Positionen führt kein Weg am zivilisierenden Dialog
vorbei.
Dieser ist nicht immer sofort möglich und wird oft genug boykottiert. Aber auf ausgrenzendes Verhalten mit Ausgrenzung zu reagieren, kann nicht effektiv sein. Und wer „von vornherein weiß, mit wem er - aus welchen Gründen auch immer - nicht sprechen kann oder darf, irrt möglicherweise und verschenkt eine Chance, seiner Auffassung Geltung zu verschaffen.“
Dieser ist nicht immer sofort möglich und wird oft genug boykottiert. Aber auf ausgrenzendes Verhalten mit Ausgrenzung zu reagieren, kann nicht effektiv sein. Und wer „von vornherein weiß, mit wem er - aus welchen Gründen auch immer - nicht sprechen kann oder darf, irrt möglicherweise und verschenkt eine Chance, seiner Auffassung Geltung zu verschaffen.“
Was sonst noch übrig ist. Ausgrabung hinter dem Kulturpalast, Dresden, 2017. |
1 F.
Richter, Hört endlich zu! Weil Demokratie Auseinandersetzung
bedeutet. Berlin 2018.
2 Ebd.,
61.
3 Ebd.,
76.
4 Ebd.,
77f.
5 Vgl.
dazu aktuell den Blick nach Dresden und einige
bürgerlich-reaktionäre Spalter:
https://www.zeit.de/zeit-magazin/2018/21/dresden-deutschland-pegida-uwe-tellkam.