Montag, 11. Juni 2018

Gespalten 2 – "agree to disagree" und Frank Richters Aufruf "Hört endlich zu!"

Da sich mir die Parallelen nur so aufdrängen, hier noch ein Beispiel zu dem Jesuswort des letzten Sonntagsevangeliums: Wenn etwas "in sich gespalten ist, kann es keinen Bestand haben." (Mk 3,24)
Frank Richter, ehemaliger Direktor der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung, macht die zentrale Aufforderung seines aktuellen Büchleins auch zu dessen Titel: "Hört endlich zu!"1
 Darin beklagt er vornehmlich die weitgehende Diskursunfähigkeit sowohl vieler liberaler Bürger als auch jener "besorgten Bürger", die sich von der Globalisierung und allem Fremden unter Druck gesetzt fühlen, in ihrer Auseinandersetzung mit den Positionen der je andern Seite.

Verhinderter Blick auf den Sächsischen Landtag.
Elbufer, Dresden, 2017.
Besonders bei den BürgerInnen aus der ehemaligen DDR diagnostiziert Richter eine verbreitete Unfähigkeit und fehlende Bereitschaft, sich mit dem demokratischen System jenseits technizistischer Vorstellungen von Mehrheitsentscheidungen auseinanderzusetzen.
Die Unfähigkeit, einander zuzuhören und einander als gleiche und vollwertige Gesprächspartner anzuerkennen, korrespondiert nach Richter mit der Schwierigkeit der politisch Verantwortlichen, "den Menschen in einer komplizierten und für sie unübersichtlichen Welt vernünftige Erklärungen und glaubwürdige Perspektiven so zu vermitteln, das sie diese verstehen und akzeptieren können, oder, noch besser, diese gemeinsam mit ihnen zu entwickeln".2

Gegen diese faktische Spaltung in jene, die politische Debatten setzen und mitbestimmen und jene, die sich davon abgekoppelt fühlen, setzt der ehemalige Theologe und DDR-Bürgerrechtler seine Erfahrungen im Umgang mit dem 13. Februar als Tag der Erinnerung an die Zerstörung Dresdens. Bevor linke und rechte Gruppen einander im Jahr 2012 nach langem Disput (und gewaltsamen Auseinandersetzungen im Jahr 2011) zugestanden, unterschiedliche Blickwinkel auf das historische Ereignis und sein Gedenken haben zu können, investierte er mit anderen eine lange moderierende Arbeit, um Stück für Stück Vertrauen wiederherzustellen. "Eine Basis des wechselseitigen Respekts vor dem guten Willen der politischen Gegner führte schließlich zu tatsächlich angenehmen und konstruktiven Gesprächen."3
Etwas grundsätzlicher fügt er hinzu: "Ich halte das 'agree to disagree' für eine politische Kulturleistung. Wir sind uns einig, dass wir uns nicht einig sind. Wir streiten hart in der Sache und bleiben als Menschen gut beieinander, weil uns eine demokratische Überzeugung verbindet und die Basis des Zusammenlebens erhalten bleibt."4

Die Rückbesinnung auf Respekt und eine gemeinsame Wertgrundlage kann also ein Weg sein, Spaltung zu überwinden. Aber dafür braucht es ganz praktisch Dialog und Auseinandersetzung, und gerade das ist bisweilen von beiden Seiten nicht gewollt.5
Frank Richter nämlich hat seinen Einsatz gegen die Aufspaltung in voneinander abgeschlossene Lager und für einen Dialog mit den Anhängern von Pegida teuer mit Angriffen gegen seine Person bezahlt. Von linken Gruppierungen (und nicht nur von diesen) wurde er als "Pegidaversteher"6 beschimpft und bekam zu hören, dass man sich beim Zuhören mit Menschenfeinden gemein mache, weshalb ein Dialog sich verbiete.

Ich glaube jedoch, Einigkeit oder auch nur Verständnis für die eigene Position erreicht man nicht, indem man sich gegenseitig mundtot macht oder verteufelt oder gänzlich ignoriert.
Bei aller nötigen Kritik an inhaltlichen Positionen führt kein Weg am zivilisierenden Dialog vorbei.
Dieser ist nicht immer sofort möglich und wird oft genug boykottiert. Aber auf ausgrenzendes Verhalten mit Ausgrenzung zu reagieren, kann nicht effektiv sein. Und wer „von vornherein weiß, mit wem er - aus welchen Gründen auch immer - nicht sprechen kann oder darf, irrt möglicherweise und verschenkt eine Chance, seiner Auffassung Geltung zu verschaffen.

Was sonst noch übrig ist.
Ausgrabung hinter dem Kulturpalast, Dresden, 2017.

1   F. Richter, Hört endlich zu! Weil Demokratie Auseinandersetzung bedeutet. Berlin 2018.
2   Ebd., 61.
3   Ebd., 76.
4   Ebd., 77f.
5   Vgl. dazu aktuell den Blick nach Dresden und einige bürgerlich-reaktionäre Spalter: https://www.zeit.de/zeit-magazin/2018/21/dresden-deutschland-pegida-uwe-tellkam.