Ich knie vor meinem Gott und bete.
Der Wind zerrt an meiner Jacke, die
Gischt spritzt mir ins Gesicht.
Wieder und wieder spülen Wellen
blasiges Wasser vor mich hin und der Sand umschließt meine
Unterschenkel warm. Hier habe ich festen Halt.
Wenn mein Blick über die Brandung
hinausgeht, sehe ich das grüne Gewoge der Wellen und ich höre ihr
rhythmisches Rauschen.
Keine Weite, wenig Tiefe. Nur Spiegel. Seddiner See, 2016. |
Vor mir liegt das Meer.
Das Meer ist mein Horizont.
Angesichts der Weite des Meeres und
seiner beruhigend gleichmäßigen Bewegungen finden viele Menschen in
eine spirituelle Stimmung, die ihnen anderswo fehlt. Das Meer ist ein
Ort, prädestiniert für religiöse Offenheit, auch wenn gelebte
Religion im Alltag sonst eher auf dem Rückzug ist.
Besonders der scheinbar ins Endlose
geweitete Blick inspiriert und öffnet den Geist, schenkt neue
Perspektiven.
Doch Weite ist nicht alles.
Das Meer zu verstehen heißt in die
Tiefe zu gehen, die Oberfläche zu durchdringen und es von innen zu
erkunden.
Ja, die Weite kann berauschend wirken,
kann tatsächlich eine Art spirituellen Aufbruch eröffnen. Aber das
Meer ist nicht nur Oberfläche, es ist nicht nur friedlich, weit und
glatt.
Vom Strand aus kann ich das Meer nicht
erfassen.
Um das Meer wirklich zu erfahren, muss
ich von ihm erfasst werden. Ich muss meine Beobachterposition im Sand
verlassen, muss den festen Grund und mit ihm meine Gewissheiten
aufgeben. „Duc in altum“ heißt das biblische Stichwort dazu,
„Fahr hinaus ins Tiefe!“ (Lk 5,4).
Gefährlich und dunkel kann das Meer
dann sein. Gewalt schlummert unter seiner glatten Oberfläche. Es
kann mich verschlingen, hinunterreißen, irgendwann wieder ausspucken
und an ein anderes Land spülen.
Diese Gefahr besteht, wenn ich mich dem
Meer aussetze. Ich verliere die Kontrolle und vielleicht mein Leben.
Denn das Meer bedeutet nicht nur Urlaub machen, sondern es bedeutet
auch Schiffbruch und Tod.
Aber vom Strand aus, mit dem Blick in
die herrliche Weite, finde ich Gott nicht, finde ich nicht das tiefe
Meer.
Während meiner radikalen Gedanken bin
ich immer schön im warmen Sand sitzen geblieben.
Aber beten heißt den Strand zu
verlassen und einzutauchen ins Meer. Erst wenn ich keinen Grund mehr
spüren kann, bekomme ich eine Ahnung vom Meer, eine Ahnung von
Gott.
Geschrieben auf Hiddensee aus Anlass
der Blogparade des Deutschen Historischen Museums „Europa und das
Meer. - Was bedeutet mir das Meer?“ #dhmmeer