Was ist das Influencer-Potenzial eines
Jesus von Nazareth im 21. Jahrhundert?
Diese (vielleicht etwas unerwartete)
Frage stellt sich mir, wenn ich auf die Lage des Christentums in
unserer Zeit, in unserem Land schaue.
Und natürlich bin ich nicht der
Einzige, der dies tut. Mit anderen Formulierungen fragen sich das
auch eine aktuelle Publikation wie das „Mission Manifest“ oder
die Mehr-Konferenz des Gebetshauses Augsburg, es fragt sich der Papst
mit seinen eingängigen Sprachbildern, es fragen diverse Theologen
und geistliche Autoren wie Heiner
Wilmer, Anselm
Grün und Tomas Halik, etwas fokussierter auf die Institution
Kirche ebenso Erik Flügge, Martin
Werle und Thomas Frings.
Und natürlich finden sie alle auch
ihre jeweiligen Antworten darauf.
Nur dass eben keine Antwort bisher so
fruchtbar ist, dass Christsein wieder in wäre.
Keine Vorbilder mehr zu sehen. Predigerkirche, Erfurt, 2018. |
Die heutigen Influencer von Bibi über
Pamela Reif und LeFloid bis zu Julien Bam vermitteln einer Generation
von internetaffinen Jugendlichen Inspiration, Motivation, Ziele und
eben auch Werte durch ihre Bilder, Videos und Blogs. Als
Meinungsführer und Multiplikatoren setzen sie Akzente in Mode- und
Lebensstil.
Diese Position gewinnen sie durch eine
einfache Währung: Authentizität und Glaubwürdigkeit.
Genau das fehlt den Christen und der
Kirche dort, wo sie mit ihrer Botschaft von Glaube, Liebe und
Hoffnung punkten könnten.
Dabei waren es in den ersten
Jahrhunderten des Christentums glaubwürdige Christen, die ihr Leben
hingaben für ihren Glauben, die sich liebevoll um die Armen und
Ausgegrenzten kümmerten, die um ihrer Hoffnung willen, dass da ein
rettender Gott sei, selbst Ausgrenzung in Kauf nahmen.
Mit Vielem von dieser Botschaft ließe
sich heute anknüpfen an die Sehnsüchte der Menschen.
Wie der Obama-Hype zeigte, suchen wir
auch heute Rettergestalten, die auf die zunehmend apokalyptischer
wirkende Welt kraftvoll zugehen. Auch eine neue Bewegung von
Ganzheitlichkeit, Achtsamkeit und Innerlichkeit ist entstanden.
Selbst die Sharing-Kultur und das Engagement für den Erhalt unserer
biologischen Lebensgrundlagen böten genug Anhaftpunkte für die
christliche Botschaft eines Schöpfergottes.
Warum gelingt es uns Christen nicht, an
diesen Eckpunkten einzusteigen und das Influencer-Potenzial Jesu zu
heben?
Zumal ich mich frage, woher die
Glaubwürdigkeit der real existierenden Influencer üerhaupt kommt.
Es ist schon äußerst zweifelhaft, ob die enggeführte Beschäftigung
mit sich selbst und dem eigenen Aussehen gute und lebenswerte Ziele
und Werte sind. Zudem verdienen Influencer ihr Geld absurderweise mit
product-placement – das heißt, sie vertreten ihre
Lifestyle-Botschaft gerade nicht aus innerer Überzeugung, sondern
für Bezahlung.
Um so mehr drängt sich mir die Frage
auf, weshalb dagegen ein ansprechender Inhalt wie die Botschaft Jesu
von einem liebevoll-barmherzigen Vater so ins Hintertreffen gerät.
Ich habe darauf keine letzten
Antworten, aber eine Reihe von Ahnungen:
Die Institution – "Alt
und vertraut" sind nicht mehr die Werte, die heute noch greifen.
Dickleibig und schwerfällig der Zeit hinterherhumpelnd wirkt die
Kirche in unserer Gesellschaft.
Und dann die mediale Repräsentation
durch eine Reihe alter Männer – wem soll das schmecken?
Schöne Bänke, leer gehalten. Erfurter Dom, Langhaus, 2018. |
Die Bedingungen – Der Anspruch
eines dauerhaften Glaubens an Menschen, die in einer rasenden Welt
voll ständig wechselnder Optionen aufwachsen, ist, gelinde gesagt,
hoch.
Wenn der Absprung nicht mitgedacht
werden kann, kann es zu schnell gefährlich werden.
Die Moral – Ich sage nur:
Sexualethik. Wo Kirche darauf reduziert wird oder sich selbst darauf
reduziert, bleibt wenig Influence übrig. Moralinsaure
Selbstverkürzung: Braucht kein Mensch.
Die Gespaltenheit –
Innerkirchliche Streitereien wie derzeit zwischen Rom und der
Deutschen Bischofskonferenz, aber auch die Konflikte zwischen den
Konfessionen wirken nach außen wie Luxusärger. Ist vielleicht
authentisch, aber Glaubwürdigkeit wächst anders.
Die Arroganz – Schließt an
die Thematik Moral an. Wer ständig einlinige Kommunikation fährt
(vulgo: predigt statt zuhört), vermittelt mit einem
Oben-unten-Gestus: "wir können, du nicht". Wo Ausprobieren
nicht zur Basisausstattung jedes Christen gehört, wird es schnell
langweilig.
Die Ästhetik – Gebäude und
Habitus, Gottesdienstgestaltung und Liedgut, Blumenkübel hier und
Fensterbilder da – all das stößt Menschen meiner Generation eher
ab als dass es anzieht.
Der Sprung – Vielleicht der
entscheidende Störfaktor für Menschen, die den Christengott noch
nicht (oder nur von Kindheitsbibelstunde) kennen: Dass da ein Gott
sei. Man muss vertrauen und beten, auch wenn man es noch nie getan
hat. Das hat nichts Süßliches, nichts Neckisches, sondern kostet
richtig was.
Trotz all dieser Hindernisse (und noch
mehr müssen ungenannt bleiben) glaube ich trotzdem noch, dass das
Ganze eine Chance hat:
Denn Jesus war der Glaubwürdigste von
allen.
Ein Radikaler, der sich um der Sache
Gottes Willen für nichts nur zu schade war.
Holt die Leute ab, wo sie sind und
nimmt sie mit auf ein Abenteuer der Barmherzigkeit.
Entflammt sie für die Welt und für
Gott zugleich.
Entgrenzt und polt um auf Zuwendung und
Grenzüberschreitung.
Die Liebe, die Jesus predigt, ist
hochpersönlich. Zugleich vergemeinschaftet sie und führt Menschen
unterschiedlichster Herkunft und Prägung zusammen.
Jesus führt aus den Sackgassen des
Alltags raus und weitet die Lebensperspektive.
Maximale Zuwendung und zugleich klarste
Worte.
Authentisch und liebevoll.
Zuwendung ohne Vorleistung.
Vielleicht wird Jesus ja irgendwann
nochmal ein Influencer.
Wenn wir die Bibel neu lesen können
und (gewollt oder ungewollt) genug Ballast abgeschüttelt haben.
Schöner Blick - auf eine Wand? Kreuzgang, Erfurter Dom, 2018. |