Mittwoch, 6. Juni 2018

Jesus der Influencer!?

Was ist das Influencer-Potenzial eines Jesus von Nazareth im 21. Jahrhundert?

Diese (vielleicht etwas unerwartete) Frage stellt sich mir, wenn ich auf die Lage des Christentums in unserer Zeit, in unserem Land schaue.
Und natürlich bin ich nicht der Einzige, der dies tut. Mit anderen Formulierungen fragen sich das auch eine aktuelle Publikation wie das „Mission Manifest“ oder die Mehr-Konferenz des Gebetshauses Augsburg, es fragt sich der Papst mit seinen eingängigen Sprachbildern, es fragen diverse Theologen und geistliche Autoren wie Heiner Wilmer, Anselm Grün und Tomas Halik, etwas fokussierter auf die Institution Kirche ebenso Erik Flügge, Martin Werle und Thomas Frings.
Und natürlich finden sie alle auch ihre jeweiligen Antworten darauf.
Nur dass eben keine Antwort bisher so fruchtbar ist, dass Christsein wieder in wäre.

Keine Vorbilder mehr zu sehen.
Predigerkirche, Erfurt, 2018.
Die heutigen Influencer von Bibi über Pamela Reif und LeFloid bis zu Julien Bam vermitteln einer Generation von internetaffinen Jugendlichen Inspiration, Motivation, Ziele und eben auch Werte durch ihre Bilder, Videos und Blogs. Als Meinungsführer und Multiplikatoren setzen sie Akzente in Mode- und Lebensstil.
Diese Position gewinnen sie durch eine einfache Währung: Authentizität und Glaubwürdigkeit.

Genau das fehlt den Christen und der Kirche dort, wo sie mit ihrer Botschaft von Glaube, Liebe und Hoffnung punkten könnten.
Dabei waren es in den ersten Jahrhunderten des Christentums glaubwürdige Christen, die ihr Leben hingaben für ihren Glauben, die sich liebevoll um die Armen und Ausgegrenzten kümmerten, die um ihrer Hoffnung willen, dass da ein rettender Gott sei, selbst Ausgrenzung in Kauf nahmen.

Mit Vielem von dieser Botschaft ließe sich heute anknüpfen an die Sehnsüchte der Menschen.
Wie der Obama-Hype zeigte, suchen wir auch heute Rettergestalten, die auf die zunehmend apokalyptischer wirkende Welt kraftvoll zugehen. Auch eine neue Bewegung von Ganzheitlichkeit, Achtsamkeit und Innerlichkeit ist entstanden. Selbst die Sharing-Kultur und das Engagement für den Erhalt unserer biologischen Lebensgrundlagen böten genug Anhaftpunkte für die christliche Botschaft eines Schöpfergottes.

Warum gelingt es uns Christen nicht, an diesen Eckpunkten einzusteigen und das Influencer-Potenzial Jesu zu heben?
Zumal ich mich frage, woher die Glaubwürdigkeit der real existierenden Influencer üerhaupt kommt. Es ist schon äußerst zweifelhaft, ob die enggeführte Beschäftigung mit sich selbst und dem eigenen Aussehen gute und lebenswerte Ziele und Werte sind. Zudem verdienen Influencer ihr Geld absurderweise mit product-placement – das heißt, sie vertreten ihre Lifestyle-Botschaft gerade nicht aus innerer Überzeugung, sondern für Bezahlung.
Um so mehr drängt sich mir die Frage auf, weshalb dagegen ein ansprechender Inhalt wie die Botschaft Jesu von einem liebevoll-barmherzigen Vater so ins Hintertreffen gerät.
Ich habe darauf keine letzten Antworten, aber eine Reihe von Ahnungen:

Die Institution – "Alt und vertraut" sind nicht mehr die Werte, die heute noch greifen. Dickleibig und schwerfällig der Zeit hinterherhumpelnd wirkt die Kirche in unserer Gesellschaft.
Und dann die mediale Repräsentation durch eine Reihe alter Männer – wem soll das schmecken?

Schöne Bänke, leer gehalten.
Erfurter Dom, Langhaus, 2018.
Die Bedingungen – Der Anspruch eines dauerhaften Glaubens an Menschen, die in einer rasenden Welt voll ständig wechselnder Optionen aufwachsen, ist, gelinde gesagt, hoch.
Wenn der Absprung nicht mitgedacht werden kann, kann es zu schnell gefährlich werden.

Die Moral – Ich sage nur: Sexualethik. Wo Kirche darauf reduziert wird oder sich selbst darauf reduziert, bleibt wenig Influence übrig. Moralinsaure Selbstverkürzung: Braucht kein Mensch.

Die Gespaltenheit – Innerkirchliche Streitereien wie derzeit zwischen Rom und der Deutschen Bischofskonferenz, aber auch die Konflikte zwischen den Konfessionen wirken nach außen wie Luxusärger. Ist vielleicht authentisch, aber Glaubwürdigkeit wächst anders.

Die Arroganz – Schließt an die Thematik Moral an. Wer ständig einlinige Kommunikation fährt (vulgo: predigt statt zuhört), vermittelt mit einem Oben-unten-Gestus: "wir können, du nicht". Wo Ausprobieren nicht zur Basisausstattung jedes Christen gehört, wird es schnell langweilig.

Die Ästhetik – Gebäude und Habitus, Gottesdienstgestaltung und Liedgut, Blumenkübel hier und Fensterbilder da – all das stößt Menschen meiner Generation eher ab als dass es anzieht.

Der Sprung – Vielleicht der entscheidende Störfaktor für Menschen, die den Christengott noch nicht (oder nur von Kindheitsbibelstunde) kennen: Dass da ein Gott sei. Man muss vertrauen und beten, auch wenn man es noch nie getan hat. Das hat nichts Süßliches, nichts Neckisches, sondern kostet richtig was.

Trotz all dieser Hindernisse (und noch mehr müssen ungenannt bleiben) glaube ich trotzdem noch, dass das Ganze eine Chance hat:

Denn Jesus war der Glaubwürdigste von allen.
Ein Radikaler, der sich um der Sache Gottes Willen für nichts nur zu schade war.
Holt die Leute ab, wo sie sind und nimmt sie mit auf ein Abenteuer der Barmherzigkeit.
Entflammt sie für die Welt und für Gott zugleich.
Entgrenzt und polt um auf Zuwendung und Grenzüberschreitung.

Die Liebe, die Jesus predigt, ist hochpersönlich. Zugleich vergemeinschaftet sie und führt Menschen unterschiedlichster Herkunft und Prägung zusammen.
Jesus führt aus den Sackgassen des Alltags raus und weitet die Lebensperspektive.
Maximale Zuwendung und zugleich klarste Worte.
Authentisch und liebevoll.
Zuwendung ohne Vorleistung.

Vielleicht wird Jesus ja irgendwann nochmal ein Influencer.
Wenn wir die Bibel neu lesen können und (gewollt oder ungewollt) genug Ballast abgeschüttelt haben.

Schöner Blick - auf eine Wand?
Kreuzgang, Erfurter Dom, 2018.