Die "Sieben Nächte"1
von Simon Strauß schlugen im letzten Jahr richtig ein – da
schreibt ein Noch-nicht-Dreißiger an gegen die Gesetztheit und
Mentalität der Absicherung, gegen das gepolsterte Leben und allzu
anpassungswilligen Pragmatismus. Dagegen setzt er seine Sehnsucht
nach mehr, nach einem Mehr an Phantasie, Risikobereitschaft und
Empfindsamkeit. Eingebettet in die Geschichte vom Auftrag eines
Unbekannten, der ihn in sieben Nächten die sieben Todsünden zu
begehen auffordert, sucht der FAZ-Journalist noch einmal neu das
radikale Leben, sehnt sich nach "wilderem Denken ... Nach
Ideen ohne feste Ordnung, Utopien ohne berechenbaren Sinn, nach Ecken
und Kanten".2
Alles verhandelbar? Maybachufer, Neukölln, Berlin, 2018. |
Für dieses gefühlige Rufen
nach dem Außergewöhnlichen und die pompöse Verherrlichung von
Kraft und Mythos auf Kosten der abwägenden Ratio wurde er aber auch
angegriffen.3
Denn mit seinem pathetischen Aufruf zum Schwimmen gegen den Strom und
dem Wunsch nach einer neuen großen Erzählung unterfüttere er die
Neue Rechte intellektuell.
Ich selbst kann das aus dem
Inhalt nicht erkennen (über die Gesellschaft, in die sich der junge
Autor dafür begeben hat, wäre zu diskutieren).
Wohl scheinen Strauß
intensive Selbsterfahrung und hedonistisches Sich-spüren wichtiger
zu sein als soziale Tugenden. Auch das Vokabular, das mit Worten wie
Schicksal, Pakt und Reibung angefüllt ist, irritiert mich bisweilen.
Aber das Grundgefühl, dass
da noch mehr sein muss als eine geordnete bürgerliche Existenz
bieten kann, kenne ich gut.
Vor inzwischen zwölf Jahren
wurde ich, damals noch etwas jünger als Simon Strauß beim Abfassen
seines Büchleins, als Interessent am Jesuitenorden interviewt und
befragt (findet sich leider nicht mehr im Netz). Bei der Lektüre des
Strauß-Buches fiel ich mir selbst wieder mit meinen damaligen
Sehnsüchten ein: Besonders die Radikalität und Kompromisslosigkeit
des Ordenslebens hatten es mir angetan. Dazu die Gelübde von Armut,
Ehelosigkeit, Gehorsam. Auch die Heimat- und Bedürfnislosigkeit Jesu
faszinierten mich ungeheuer.
Aber nach diversen
Schlenkern bin ich inzwischen kirchlicher Angestellter, Familienvater
und Mitgentrifizierer eines Berliner Szenebezirks, außerdem
gesetzlich krankenversichert und abends meistens zu Hause. Der
Plunder stapelt sich, besonders im Kinderzimmer.
Damit bin ich eindeutig in
die anstrengend alltägliche Komfortzone gerutscht, in die Simon
Strauß niemals will und die ich mir für mich vor Jahr und Tag auch
nicht vorstellen konnte.
Dabei bin ich doch jetzt
zufrieden. Eine liebevolle Frau, zwei süße Kinder, ein erfüllender
Job, alles wunderbar.
Und unterliegt dieser ganzen Aufbruchs- und Freiheitsbesoffenheit nicht eine etwas spätpubertäre Vorstellung von einem Leben aus loderndem Feuer? Ist jene Ganz-und-gar-Mentalität, die auf Abwägung und Ausgleich verzichten will, nicht reichlich naiv?
Und unterliegt dieser ganzen Aufbruchs- und Freiheitsbesoffenheit nicht eine etwas spätpubertäre Vorstellung von einem Leben aus loderndem Feuer? Ist jene Ganz-und-gar-Mentalität, die auf Abwägung und Ausgleich verzichten will, nicht reichlich naiv?
Oder?
Die Sehnsucht, die Simon Strauß in säkularer Sprache auf den Punkt bringt, hat mich einmal dazu gebracht, mit allem nötigen Gepäck auf meinem Fahrrad in das Noviziat der Jesuiten einzutreten.
Die geistlichen Ideale, die
mich dazu brachten, habe ich inzwischen weitestgehend über Bord
geworfen. Zu überfordert bin ich durch meinen Alltag mit Arbeit,
Familie, sozialen Kontakten, Haushalt. Zu müde. Geistliches Leben
kommt da nur noch am Rande vor. Die Radikalität der Liebe, die Ganzhingabe, der Widerstand gegen die Gleichgültigkeit, all das sind nur Floskeln auf einem Blog.
Das Feuer ist verloschen.
Kein Blitz leuchtet mehr.
Aber wenn ich Texte wie den
von den "Sieben Nächten" an mich heranlasse, dann lodert
in mir eine Flamme auf. Auch wenn es bei mir nicht auf die Todsünden
hinauslaufen dürfte, sondern in die andere Richtung, der Impuls
bleibt derselbe.
Und das ist meine
Gespaltenheit: Das große Ideal eines freien, wilden Lebens und Jesu
Anspruch der Heiligkeit warten nur hinter einer nahgelegenen Ecke, um
meinen kleinteilig geordneten Alltag immer mal wieder mit ihrem
Feueratem anzuhauchen.
Die Wucht von Simon Strauß' Kompromisslosigkeit
erschüttert etwas in mir.
Zugleich jedoch weiß ich um die
tragende Kraft von Routine und Alltag, vertraue auf Verantwortung und unterscheidende Geduld.
Und erinnere mich daran, was ich vor
zwei Monaten zufällig beim Propheten Jeremia las: "Ich
gedenke deiner Jugendtreue, der Liebe deiner Brautzeit, wie du mir in
der Wüste gefolgt bist, im Land ohne Aussaat." (Jer 2,2)
Gottes Erinnerung an meine einst hoch
aufflammende Liebe und an meine Bereitschaft, alle Wüsten mit ihm zu
durchwandern, legt ein beinahe beruhigendes Polster um meine Seele.
Der große Hammer Sehnsucht. Nostalgieplakate, Neukölln, Berlin, 2018. |
1 S.
Strauß, Sieben Nächte. 2. Aufl. Berlin 2017.
2 Ebd.,
17.
3 Vornehmlich
von Alem Grabovac in der taz: http://www.taz.de/!5472546/. Vgl. auch
https://www.zeit.de/2018/04/simon-strauss-faz-autor-afd-faschismus-vorwurf-pro-contra/komplettansicht.