Zum Evangelium Mk 3,20-35 vom 10. Sonntag im Jahreskreis (Lesejahr B). Der Predigt erster Teil. (Zweiter Teil hier)
Sie hielten Jesus also für einen
Verrückten. Seine Familie behauptet, er sei von Sinnen und will ihn
wohl am liebsten einsperren, seine Gegner holen gleich die ganz große
Keule raus und erklären, dass er vom Teufel selbst besessen sei.
Wie kamen sie zu diesen Behauptungen?
Ein schmaler Grat. Spielplatz, Neukölln, Berlin, 2018. |
Wenn wir die Evangelien lesen, so
wissen wir heute, dass Vieles darin geglättet und im Rückblick
sogar verklärt wurde, manche Aussprüche und Begebenheiten fassen
Jesu Sprechen und Handeln zusammen, andere Worte wurden ihm in den
Mund gelegt und ganz Weniges stammt wohl von ihm selbst.
Was allerdings sicher ist, ist die
Tatsache, dass Jesus viele Feinde hatte. Nicht nur sein Tod, sondern
auch seine vielen Auseinandersetzungen zuvor zeigen das.
Und wir kennen das ja bis heute:
Menschen, die nicht der Norm entsprechen oder irgendwie aus der Reihe
tanzen, haben es schwer mit der trägen Masse der Gesellschaft und
werden komisch angeschaut oder sogar ausgegrenzt.
Jesus gab sich alle Mühe, aus der
Reihe zu tanzen – und seinen Gegnern damit allen Anlass, ihn
mindestens für komisch und wirr, wenn nicht sogar für verrückt zu
halten:
I.
Er befasst sich mit den Leuten, die
keiner mag, mit den besonders Anstrengenden, den Gefährlichen, den
Gefallenen und Zurückgelassenen: Zöllner, Prostituierte,
Aussätzige, Nicht-Juden, Kinder, Verrückte und Kranke.
Wer sich so nah an solche Menschen
heranwagt, so denkt man noch immer, der ist sicher auch ein bisschen
daneben.
II.
Aber er geht nicht nur nahe ran,
sondern er verändert auch viele Menschen. Zöllner geben ihr altes
Leben auf, Blinde sehen, Lahme gehen, Aussätzige werden rein...
Und das ist wirklich verrückt – die
alten Ordnungen zerbrechen, er holt Tagelöhner, Kollaborateure,
Handwerker, Fromme, Revoluzzer in den Kreis seiner Schüler und fängt
mit ihnen ein neues Leben an. Das klingt verrückt – und nicht
zuletzt auch gefährlich.
III.
Er erhebt den Anspruch, im Namen
Gottes zu sprechen. Seine Auslegung der Schrift geht über die
üblichen Verschärfungen oder Präzisierungen der Schriftkundigen
hinaus. Er bezeichnet sich selbst als den Maßstab, der über Sabbat
und Tora entscheidet.
Das macht kein vernünftiger Mensch,
schon gar nicht in einer religiös geprägten und politisch besetzten
Gesellschaft wie dem Israel der Römerzeit.
Kein Wunder also, dass Jesus für
verrückt gehalten wird. Alle sind überfordert mit ihm, nicht zuletzt seine Familie.
Für einen Verrückten ist es ja immer
die Welt, mit der etwas nicht stimmt – und nicht er selbst. Gegen diese verrückte Welt leistet er Widerstand.
Bei Jesus aber stimmt diese Perspektive tatsächlich
– denn mit seinem Verhalten, das nicht richtig in unsere Welt passt, will er ja gerade die neue, "verrückte" Welt Gottes
heraufführen.
Verrückte, kaputte Welt. Neukölln, Berlin, 2016. |